„Mensch, vielleicht steht schon einer draußen?“, unterbrach Mac scherzhaft. „Schau doch mal aus dem Fenster!“ Helles Lachen. Elke streifte ebenfalls lachend die Gardine zur Seite und beugte sich weit vor, bis ihre Nasenspitze die Scheibe berührte. Mit der linken Hand schirmte sie das Stubenlicht ab. „Mensch, alles voller Spitzel!“, scherzte sie nun auch wieder mit.
„Wenn die was zu saufen mithaben, sollen sie alle reinkommen“, rief Manfred. „Überhaupt, will jemand was zu trinken haben? Wir können einen Eimer Tee kochen. Was anderes haben wir nicht da.“
Es war nicht unüblich, dass nichts anderes zu trinken da war und keiner hatte es anders erwartet. Keiner der hier Versammelten hatte so viel Geld, dass er die anderen mitbeköstigen könnte. Wünschte jemand dies anders, so brachte er sich etwas mit. Oder es wurde gesammelt und jemand losgeschickt, Bier im Krug zu holen. Durch diese Art und Weise der Treffen im Freundeskreis konnten die Begegnungen öfter stattfinden. Die Ausgaben für die Bewirtung hätten sonst eventuell dazu geführt, dass Zusammenkünfte so lange wie möglich hinausgeschoben worden wären. Geld spielte also keine Rolle. Und dies eben nicht wegen des Überflusses, sondern wegen des Mangels.
Elke ging in die Küche und setzte Wasser auf. „Ja, Leute, und da gibt es auch noch so paar Möglichkeiten“, fuhr Manfred fort, „wie man da noch die Sache beschleunigen kann. Einer erzählte uns von einem gewissen Dr. Vogel in Ostberlin. Der ist Rechtsanwalt, oder so was Ähnliches und kümmert sich um die Leute, die ausreisen wollen. Ich weiß da auch noch nichts Richtiges. Auf jeden Fall fährt der einen dicken Mercedes und pendelt zwischen Ost- und Westberlin hin und her, so als gäbe es keine Mauer.“
„Ja, von dem habe ich auch schon einiges gehört“, meinte da Frieder. „Er ist tatsächlich Jurist und hat einen gewissen Sonderstatus. Er ist praktisch Anwalt zwischen Ost und West und übernimmt Fälle der Familienzusammenführung, zum Beispiel.“
„Ach, das ist ja toll. Verstehe ich nicht richtig“, wunderte sich da Volker, „und das dulden die hier?“
„Na, wieso“, antwortete Frieder, „der ist doch von den DDR-Behörden dafür eingesetzt worden, sozusagen als Vermittler. Er ist ein DDR-Anwalt. Irgendjemand muss doch dann mit den westlichen Stellen verhandeln.“
„Und die haben dem dann auch noch einen Mercedes geschenkt?“
„Na ja, der hat sicherlich dadurch eine Menge Privilegien. Ich weiß nicht, ob er das Auto geschenkt bekommen hat. Auf jeden Fall soll er ja auch wieder zurückkommen. Und da muss es ihm schon so gut gehen. Damit er wieder kommt.“
Moni hatte lange schweigend zugehört. Eine Strähne ihres Haares, die am linken Ohr vorbei herunterhing, zog sie immer wieder nachdenklich durch zwei Finger, den Kopf dabei leicht nach links gebeugt. Sie stellte sich die Zukunft der Familie D. im Westen vor. Sie erschauerte vor der Ungewissheit, vor der man zwangsläufig steht, wagt man solch einen Schritt. Und laut sagte sie zu Elke, die den Tee hereingebracht hatte und dann wieder auf dem Fußboden Platz nahm:
„Elke, ich muss da noch mal nachfragen, habt ihr da überhaupt keine Angst? Ich meine dann drüben. Man liest da ja auch immer viel von Arbeitslosigkeit und so was. Ich meine, ich glaube ja auch nicht viel von dem, was in der Zeitung steht, aber das hört man ja auch von anderen Leuten. Auch von den Westdeutschen selbst, die mal herkommen. Da war jetzt gerade in Trachau in der Kirche eine Gruppe aus Hannover und die erzählten das auch. Das ist schon wahr, die Arbeitslosigkeit gibt’s wirklich.“
„Ach, weißt du, das werden wir schon dann dort sehen. Ich glaube, dass man schon Arbeit bekommt, wenn man es wirklich will. So schlimm wird das schon nicht sein“, antwortete sie unbekümmert. „Und außerdem bekommt man dann immer noch Arbeitslosenunterstützung. Und schlechter als hier kann es uns da auch nicht gehen. Wir sind bescheiden und brauchen nicht viel.“
Der Abend zog sich noch lange hin, wie dies so üblich war. Erst spät in der Nacht verabschiedeten sich die Freunde von Elke und Manfred und schlenderten gemeinsam zur Straßenbahn, die lange, kalte Fahrt bis ins Zentrum von Dresden vor sich. Die Straßenbahn war leer, zu dieser nächtlichen Zeit keine Seltenheit, so dass sie noch lange und laut über die ungeheuerliche Neuigkeit der Familie D. diskutieren konnten.
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