1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 „Vorsicht!“
Kreischend krachte ein menschlicher Körper vor ihm auf das Deck.
Unsanft packte ihn daraufhin jemand am Kragen und versetzte ihm links und rechts eine Ohrfeige.
„Wach endlich auf!“ schrie Emma ihn an. „Sonst bringst du uns noch beide um!“
Charlie kam wieder zu sich. Irgendwie hatte ihn seine Begleiterin mittschiffs manövriert. Vor sich erkannte er die Leiche von Jerome. Ein Scharfschütze hatte ihn vom Masttopp geschossen. Eine Kugel steckte in seinem Hals. Aus dem zerschmetterten Hinterkopf strömte das Blut.
Dann war das Trommelfeuer vorüber.
Die ‚Trafalgar’ war fürs Erste an ihnen vorbei gesegelt.
Emma ließ Charlies Kragen los.
Sie erblickten Spunk, der wie ein Wahnsinniger zum Achterdeck stürmte und dem Schlachtschiff seine Harpune hinterher warf.
„Nehmt das, ihr Schweine!“ brüllte er, schäumend vor Wut.
Harmlos landete die Harpune im Wasser.
Die Marinesoldaten nahmen Spunk ins Visier und schossen ihn nieder.
„Die kommen zurück“, sagte Emma. „Uns bleibt nicht viel Zeit!“
Neben ihnen knarrte und knackte es. Der von der Kanonade stark beschädigte Großmast brach. Knirschend bog sich die tonnenschwere Konstruktion. Armlange Splitter platzten an der Bruchstelle aus dem Holz, bis er schließlich nachgab. Im Fallen verfing er sich in der Vertakelung des Heckmastes und riss diesen mit um. Ein Ächzen ging durch das Schiff.
Die ‚Eleanore’ hatte kapitale Schlagseite. Charlies Blicke wanderten über das zertrümmerte Oberdeck. Hier und da regte sich noch jemand. Man hörte Stöhnen und Wimmern.
Emma griff wieder nach seinem Arm und zog ihn mit sich. „Los, komm!“ drängte sie. „Wir müssen runter vom Schiff!“
Über auf Deck gestürzte Rahen und zerfleddertes Segeltuch arbeiteten sie sich zurück zum Bug vor. Der Fockmast war etwa auf halber Höhe glatt weggeschossen worden. Nur noch ein paar Taue hielten die Reste von Bugspriet und Klüverbaum zusammen.
Geradewegs steuerte Emma auf das beschädigte Fangboot zu, an dem Charlie zuvor gearbeitet hatte. Die Wucht der Kanonade hatte es durch die Reling brechen lassen. Es hing bereits halb über Bord. Eine gekrümmte Gestalt kroch davor auf den Planken.
Es war der alte Abraham.
Charlie eilte auf ihn zu. Behutsam drehte er den Alten auf den Rücken.
Abraham schien durch Charlie hindurch zu sehen. Seine Augen suchten die junge Frau. Blutstropfen rannen aus seinen Mundwinkeln. Ein gurgelndes Husten entwich ihm, als er zu sprechen versuchte.
„Verfluchte Hexe!“ keuchte er nur noch und starb.
Emma schenkte ihm keine Beachtung.
Ein Blick nach achtern ließ erkennen, dass die ‚Trafalgar’ beidrehte und für einen zweiten Angriff zurückkam.
„Los, fass mit an!“
Gemeinsam stemmten sie sich gegen das Bootswrack, um es von Bord zu schieben. An einem letzten Halteseil blieb es hängen und baumelte von der Reling. Emma zog ein Messer aus dem Schaft ihres Stiefels und kappte damit das Seil. Ein paar Meter weiter unten hörte man das Wrack auf die Wasseroberfläche klatschen.
„Vertraust du mir?“
Charlie Plumpton nickte.
„Dann spring!“
Kieloben trieb das Boot im Meer. Es war umringt von Trümmern sowie ein paar toten Seeleuten.
„Und was jetzt?“ wollte Charlie wissen.
Wassertretend klammerten sie sich an den Rand des Fangbootes.
Emma warf den Kopf nach hinten, um ihr Gesicht von nassen Haarsträhnen zu befreien.
„Wir müssen irgendwie an Bord des anderen Schiffes gelangen, ohne dabei entdeckt zu werden“, lautete ihre nüchterne Antwort.
Charlie prustete einen Schwall Salzwasser aus, den ihm der leichte Wellengang in den Mund gespült hatte.
„Bist du wahnsinnig?“
„Denk nach, Plum!“ gab Emma zurück. „Glaubst du wirklich, die werden irgendwelche Zeugen zurücklassen, die darüber berichten könnten, was hier passiert ist? Die werden den Kahn hier versenken und nicht eher abziehen, bis sie sicher sind, dass keiner überlebt hat! Der einzige Ort, an dem sie nicht suchen werden, ist ihr eigenes Schiff! Das ist unsere einzige Chance!“
Die ‚Trafalgar’ kam langsam auf sie zu. Sie hatte sämtliche Segel eingeholt und brachte sich in nun Position, die Backbordseite der weidwunden ‚Eleanore’ unter Beschuss zu nehmen.
„Unter das Boot ... schnell!“ raunte Emma Charlie zu.
Sie tauchten mit ihren Köpfen in dem Hohlraum unter dem Bootskörper. Durch die fehlenden Planken des zerstörten Bugs konnte Emma nach draußen spähen.
„Sie werden ganz auf ihre Steuerbordbatterien konzentriert sein“, ließ sie Charlie wissen. „Wir müssen auf die andere Seite! Los, Plum! Schwimm! Aber nicht zu schnell ... wir müssen wie Treibgut wirken...“
Mit den Händen fassten sie die Ruderbänke des Fangboots. Vorsichtig schwammen sie vorwärts. Stück für Stück lösten sie sich von den treibenden Trümmern.
„Warum nennst du mich ‚Plum’?“ fragte Charlie.
Emma grinste ihn an.
„Es passt zu dir!“ sagte sie bloß.
Plötzlich durchfuhr ein heftiger Schlag das Boot. Beinahe hätte Charlie vor Schreck die Ruderbank losgelassen.
Die ‚Trafalgar’ hatte sie gerammt.
Sie machte allerdings kaum noch Fahrt. Langsam schrammte das Boot am Schiffsrumpf entlang, bis es endlich zum Stillstand kam.
Emma blickte hinaus.
Sie lagen an Backbord. Massig türmte sich die Bordwand des Schlachtschiffs vor ihr auf. Knapp zwei Meter über der Wasserlinie befanden sich die geschlossenen Kanonenluken des unteren Batteriedecks.
„Dann wollen wir mal“, murmelte sie.
„Was, wenn sie zum anderen Ende der Welt segeln?“ schoss es Charlie auf einmal durch den Kopf.
„Unwahrscheinlich“, erwiderte Emma leise. „Sie hat keinen großen Tiefgang. Glaube kaum, dass sie viel Proviant geladen hat ... vielleicht noch nicht einmal volle Besatzung. Still jetzt! Und versuch, das Boot ruhig zu halten...“
Durch das Loch im Bug zog sie sich auf den Rumpf des Fangboots, während Charlie im Inneren versuchte, dem Seegang entgegen zu wirken. Schließlich gelang es ihr sich aufzurichten und Halt an der Schiffswand zu finden. Ihre linke Hand bekam die Aussparung vor einer Kanonenluke zu fassen. Querverstrebungen außen am Schiff ließen sich als Fußtritt nutzen.
„Okay ... jetzt du!“ ließ sie Charlie wissen.
Mühsam kämpfte sich dieser auf das Boot. Es schaukelte und schwankte auf den Wellen, schlug ein ums andere Mal an der ‚Trafalgar’ an.
Emma streckte ihre rechte Hand aus, um ihm zu helfen.
Charlie sah zu ihr auf.
Das durchnässte weiße Hemd klebte förmlich an ihrem Körper.
Deutlich sichtbar zeichneten sich darunter ihre Brüste ab.
Sie hatte kleine, feste Brüste.
„Träumst du, oder was?“
Charlie griff nach ihrer Hand.
Donnerschläge ließen das Schiff erzittern. Die ‚Trafalgar’ hatte die ‚Eleanore’ wieder unter Feuer genommen.
Charlie rutschte ab.
„Hab dich!“ reagierte Emma sofort.
Fest schloss sich ihre Hand um seine.
Endlich fand auch Charlie nun sicheren Halt.
Das zerstörte Fangboot trieb langsam von der Bordwand der ‚Trafalgar’ fort.
Emma zückte das Messer aus ihrem Stiefel und stieß es in die Ritze am Rand der Kanonenluke. Behutsam schob sie damit die Klappe einen Spalt breit auf und spähte hindurch.
Das Deck war breit: mehr als zehn Meter. Auf der gegenüberliegenden Seite sah sie Männer, die eifrigst damit beschäftigt waren, die Kanonen nachzuladen. Schwere 32-Pfünder Munition wanderte in die Mündungen der langen Rohre. Ladestöcke stopften sie tief in die Läufe. Befehle wurden gebrüllt.
Emma bedeutete Charlie, sich still zu verhalten. Dann öffnete sie die Luke ganz. Sie war gerade groß genug, dass man sich hindurch zwängen konnte. Behände zog sie sich hoch und schlüpfte ins Innere.
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