Im Moment stand jedoch der Oberst Tarpen von Radewitz zwischen ihnen und mir. Ich nannte ihn einen wirklichen Freund und Beschützer, den mir der Zufall geschenkt hatte. Ein glücklicher Umstand hatte unser beider Schicksal miteinander verwoben. Das Zimmer, in dem ich schlief, gehörte eigentlich ihm. Großzügig hatte er mir dieses überlassen und war zu seinen Offizierskameraden gezogen.
Er diente im Stab der Tschechischen Legion und war ihr Kriegskamerad. Deswegen wagten sie es niemand hier, sich mir ungebührlich oder gar offen zu nähern. Sie betrachteten mich als seine Geliebte. Man bestiehlt einen Kameraden und Kampfgefährten nun einmal nicht.
Ihr solltet froh darüber sein, dachte ich in Richtung der Balztruppe. Bisher hatte niemand die Erfüllung seiner Wünsche überlebt. Schon einige waren an ihrer widerwärtigen Gier gestorben.
In diesem Augenblick kehrte auch schon Tarpen von seiner Besprechung im Stab zurück. Sie war diesmal ungewöhnlich kurz gewesen. Erstaunt sah er zu mir und ich zu ihm. Beide hatten wir nicht erwartet, uns hier zu treffen. Galant deutete er eine Verbeugung an.
„Ich muss noch einige Papiere holen und gleich wieder zurück“, erklärte er sein schnelles Erscheinen. Als der Oberst mich näher betrachtete, wirkte er besorgt. „Du siehst ungesund und sehr blass aus. Soll ich einen Arzt holen?“
„Ich habe mich bloß erkältet! Der Fahrtwind war so eisig!“, redete ich mich heraus und eilte geschwind auf mein Zimmer. Mein Beschützer wirkte verblüfft und verstand nicht, dass ich ihn einfach stehen ließ. Sicher schob er es auf meine Unpässlichkeit. Er sollte jedoch meine ungeheuere Aufregung und ihre körperlichen Folgen keinesfalls bemerken.
Bei allen Teufeln der Hölle! Der Spiegel im Bad zeigte mir ein gruseliges Bild. Ich glich einem wilden Monster, einer lebenden Leiche. Das Weiß meiner Augen war feuerrot und selbst in der Tränenflüssigkeit etwas Blut.
Schnell öffnete ich den Messinghahn. Das heiße Wasser half mir gewöhnlich, mich zu entspannen. Es tat den kalten Gliedern gut.
Leider wurde ich enttäuscht. Nur ein eisiger Strahl rann durch meine Finger. Offenbar gab es wieder Probleme mit den Heizmitteln, denn seit dem Bürgerkrieg waren sie knapp und streng rationiert.
Was sollte ich tun? Medwedew und die Mordfantasien gingen nicht aus meinem Kopf heraus. Am liebsten wäre ich sofort zum Gefängnis gestürzt, um ihn zu strafen. Ich musste jedoch klug handeln, sonst brachte ich mich selbst in Gefahr.
Brillant, ausgeklügelt und sadistisch perfekt – so sollte das Vergeltungsmenü werden, das ich für Medwedew zusammenstellte. Übellaunig legte ich mich aufs Bett und schmiedete Marterpläne. Ich fantasierte über grausamste Details. Der Speichel im Mund lief mir in Vorfreude zusammmen. Medwedews Tod sollte ein Fest für mich werden. Er würde mir ein Stück vom Glück wiederbringen, das man mir durch die Ermordung meiner Familie geraubt hatte. Seine Hinrichtung sollte der Beginn meines Rachefeldzuges sein.
Erst kurz nach Mitternacht kehrte Tarpen von Radewitz ins Hotel zurück. Am anderen Ende des Flures hörte ich die Schritte seiner genagelten Stiefelsohlen. Nachdem er angeklopft hatte, öffnete sich knarrend die Tür.
„Da bist du endlich“, empfing ich ihn lächelnd. Die Schlange in mir wollte ihn umgarnen. Das war ein Teil meines Plans. Der Oberst sollte mir den Zugang zu dem Gefangenen ermöglichen.
„Ich habe dich unendlich vermisst“, hauchten meine Lippen voller falscher Inbrunst.
Seine erschöpfte Miene hellte sich auf. Ich wusste, dass er mich bereits liebte und von einer wunderbaren Zukunft mit mir träumte. Was für eine Illusion! Eine herzlose Bestie kann nicht lieben. Allenfalls schätzte ich ihn, mehr jedoch nicht. Diese spezielle Zuneigung schützte sein Leben. Sie durfte weder zu klein noch zu groß geraten.
Aber ich brauchte einen Beschützer inmitten der Wirren. Er sicherte meine Existenz und gab mir die Möglichkeit zur Vergeltung.
„Schön, dass du noch wach bist. Ich hatte darauf gehofft“, erwiderte er auf meinen ungewöhnlich herzlichen Empfang. „Leider wurde unser Vormarsch gestoppt. Die Bolschewiken sind zu stark und wir Tschechen zu wenige.“ Sorgenfalten zeigten sich auf seiner hohen Stirn, die ihm eine besonders intelligente Erscheinung verlieh.
„Damit war zu rechnen“, entgegnete ich.
„Ja, die Deutschen haben ihnen für die Abtretung der Gebiete viel Geld zugesteckt“, bestätigte mein Beschützer. „Ihre Armee ist viel stärker als unsere vierzigtausend Mann.“
„Werden wir uns überhaupt halten können?“, fragte ich und forschte in seiner Miene nach der Antwort. Er hatte ein schönes Antlitz, es wirkte geradezu edel. Im Laufe der Zeit zeichnet der Charakter jedes Gesicht. Das wussten schon die Griechen.
„Zurzeit verteidigen wir uns noch. Alle hoffen auf Admiral Koltschak.“
Mit seinen schönen Händen öffnete Tarpen eine Flasche Champagner, die er mitgebracht hatte und reichte mir ein Glas. Auf grazile Weise stand ich auf und bewegte mich so, dass der Morgenmantel für kurze Momente meine nackte Brust entblößte. Sie war groß und vollkommen. Der lüsterne Blick seiner warmen Augen verriet mir, dass diese Geste ihre Wirkung bestens entfaltete. Natürlich tat ich so, als bemerkte ich das inszenierte Ungeschick nicht. Einen Augenblick lang gab sich Tarpen von Radewitz sprachlos. Seine Züge füllten sich mit den Zeichen erotischer Gier. Ja, er wollte mich. Der Gentleman in ihm protestierte verbissen, würde aber keinen großen Widerstand leisten. Ich konnte die Männer gut lesen.
„Admiral Koltschak bereitet eine Offensive für das Frühjahr vor. Wir verhandeln mit ihm. Unser General Gajda ist zuversichtlich, dass Koltschak und Denikin Erfolg haben.“ Er dozierte im förmlichen Offizierston, die Schultern gestrafft, dachte jedoch an etwas anderes. In seiner Fantasie war Verteidigung ein Fremdwort, er wollte angreifen, besetzen, erobern.
„Glaubst du es auch?“, wisperte ich mit rauchiger Stimmlage und trat dichter an ihn heran, sodass er nun sogar meine parfümierte Haut riechen konnte. Durch ein wenig Wodka, den ich zuvor getrunken hatte, war sie warm.
„Ja, er hat inzwischen durch die ausländische Hilfe ausreichend Geldmittel, um die Soldaten zu bezahlen und weitere Waffen zu kaufen. Bedauerlicherweise sind die Kosaken ein wenig kriegsmüde. Zentralrussland interessiert sie weniger als ihr eigener Hof.“
Endlich wagte er es, meine Hand zu greifen, und bedeckte diese mit innigen Küssen. Ich ließ es zu und senkte die Lider, bis sie die Hälfte der Augen verdeckten. Genussvoll stöhnte ich auf. Das gab ihm die Illusion, dass ich es genoss. Doch ich beobachtete ihn genau. Unser Gespräch stand in Gegensatz zu dem, was passierte, und diente meinem Opfer als Alibi.
„Wenn Koltschak die Bolschewiken schlägt, können wir auf direktem Weg zurück in die Heimat“, palaverte er, seine Küsse auf meinem Arm fortsetzend. „Unsere Jungs zieht es nach Hause, man hat uns zu oft betrogen. Ansonsten bleibt nur der Weg über Wladiwostok.“
Jetzt durchpulste ihn die Gier so intensiv, dass er mir jeden Wunsch erfüllen würde. Im Moment interessierten mich einzig Pawel Medwedew und die drei Komplizen, die im Gefängnis von Jekaterinburg dahinvegetierten. Ich wollte ihre qualvolle Exekution.
„Auf der Rückfahrt wurde mein Schlitten aufgehalten“, wechselte ich scheinbar zufällig das Thema und ließ Tarpen erneut meine wohlgeformten Brüste sehen. Sein Blick haftete auf meinen hellroten Warzen. Sie waren von edler Form, nicht zu groß oder zu klein und schmückten meine prallen Halbkugeln in europäischer Schönheit. Noch kein Kind hatte an ihnen gesaugt.
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