1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Der Eigenthümer des viereckigen Lichterbootes war mit an Bord gekommen und lehnte an der Schanzkleidung, das Einladen seiner Fracht zu überwachen. Was an Bord übrigens vorging, schien ihn nicht im Mindesten zu interessiren, denn er hatte nur Augen für die aus seinem Boot eingestauten Güter. Der Assessor stand kaum zwei Schritte von ihm entfernt, aber der Bootsmann drehte ihm den Rücken /37/ zu und überhörte auch ein paar höflich und leise an ihn gerichtete Fragen des alten Mannes. Wer von ihm etwas erfahren wollte, mußte laut sprechen.
„Heda - Hans!" rief er da plötzlich in deutscher Sprache dem Einen der unten beschäftigten Leute zu - „Donnerslag, pack' nich Alles da hinüber zu Stürbord. Du willst uns woll den Kasten umdrehn?"
„Aber die Passagiere! -" rief der Mann zurück.
„Die mögen sehn, wo sie Platz finden," lautete die Antwort, „hierüber damit, Junge, wir können ja auch sonst das eine Ruder gar nicht führen."
„Verzeihen Sie," faßte sich der Assessor da ein Herz, als er den Mann deutsch sprechen hörte, indem er dem über Bord Gelehnten leicht und schüchtern auf die breiten Schultern klopfte. -
„Ja!" sagte der Seemann und drehte den Kopf nach ihm um.
„Kennen Sie einen gewissen Herrn Siebert hier in Californien?" frug jetzt der Assessor, fest entschlossen, der fraglichen Sache ernst zu Leibe zu rücken. Die Frau horchte auf, als sie den Namen hörte.
„Ja, mein guter Mann," antwortete aber der Bootseigenthümer, seine Aufmerksamkeit wieder dem eigenen Fahrzeug zuwendend, „Californien ist groß, und in dem mögen schon eine gute Portion Sieberts herumlaufen. Einen Gottlieb Siebert hab' ich hier übrigens gekannt, wenn es der sein soll.“
„Gottlieb heißt mein Mann!" rief da die Frau, indem sie rasch ans den Bootführer zutrat, „kennt Ihr den, guter Freund, und ist er in San Francisco?"
„Hm," sagte der Mann und drehte sich nach ihr um - „Jhr seid seine Frau? - ja ich weiß - er hat sie von Deutschland erwartet."
„Ist er in San Francisco?" bat die Frau. -
„Wenigstens nicht weit davon," murmelte der Deutsche leise vor sich hin und spuckte seinen Tabakssaft über Bord – „thut mir leid, Madame, den - haben wir aber vorgestern begraben.“ /38/ „Begraben?" schrie die Frau und faßte in Todesangst den Arm des Mannes, der ihr die furchtbare Kunde mitgetheilt. Selbst der Assessor setzte das kleinste Kind, das er bis dahin auf dem Arm gehalten, rasch an Deck nieder, denn er fürchtete, daß er es fallen ließe - so war ihm der Schreck in die Glieder gefahren. Der Deutsche nickte aber mit dem Kopfe und sagte:
„Ja - thut mir leid, aber - erfahren hättet Ihr's doch müssen, und so ist's vielleicht besser, Ihr hört es gleich vom Anfang an. Er ist an einer Art Ruhr gestorben, und die Sache muß entsetzlich schnell gegangen sein, denn Abends waren wir noch zusammen, und am Morgen lag er in seinem Bette todt."
Die Frau Siebert war in die Kniee gesunken und barg das Gesicht in den Händen, und einzelne der Passagiere drängten herbei, zu hören, was vorgefallen.
„Siebert ist todt!" ging da die Kunde von Mund zu Mund - „na, das ist eine schöne Geschichte - die arme Frau, die sitzt jetzt da. Und was ist aus seinem Gold geworden?"
Der Deutsche zuckte die Achseln.
„'s ist eine böse Wirthschaft hier in dem Californien," meinte er. „Es sollte mir lieb sein, wenn die Frau noch 'was davon vorfände, aber - es sind schon zwei Tage her. Na, fragt da 'nmal in Nergel's deutschem Boarding-Haus an - halt da, Hans - nimm nichts mehr ein - wir haben genug. Was jetzt nicht mit kann, muß bis zur nächsten Fuhre bleiben. Hinunter mit Euch - jeder Mutter Sohn, der an Land will. - Wir stoßen jetzt ab, und wer nicht drin ist, bleibt zurück!"
Der Mann schwang sich dabei auf die Schanzkleidung und hinüber, und wollte eben nach unten gleiten, als der Assessor noch einmal seinen Arm ergriff.
„Wie hieß das Haus, das Sie uns nannten, in dem Herr Siebert gewohnt hat?" frug er rasch und ängstlich.
„Nergel's Boarding-Haus," lautete die kurze Antwort - „in Pacific Street" - und im nächsten Augenblick war er unten bei seinen Leuten. Ihm nach drängten die Passagiere; /39/ die, die ihre Sachen schon unten hatten, um nicht zurückgelassen zu werden, die übrigen ein anderes, ähnliches Boot herbeizuwinken, das gerade nicht weit von dort vorüberfuhr und dem Rufe Folge leistete. - Kreuzte es doch nur eben zu dem Zweck in der Bai umher, Passagiere und Güter von den frisch einlaufenden Schiffen an Land zu befördern. - Um die Frau bekümmerte sich Niemand mehr, und wenn sie auch wohl - wie die Leute meinten: „schlimm daran war, jetzt ohne Mann in Californien da zu sitzen", hatten sie doch zu viel mit sich selber zu thun, um länger über eine Sache nachzudenken, an der sie doch „nichts ändern konnten".
Nur der alte Assessor war zurückgeblieben, und als das zweite Lichterboot von Bord abstieß, kauerte die Frau noch immer mit in den Händen geborgenem Antlitz auf dem Deck, und der alte Mann stand neben ihr, hielt das Jüngste wieder auf dem Arm und zeigte ihm, mit selber blutendem Herzen, die bunte lebendige Bai, das rege, lustige Schaffen und Treiben da draußen - damit es nur nicht mehr so schreien sollte.
3.
Anf kalifornischem Boden.
Auf einer so laugen Seereise, und in einen so engen Raum zusammengedrängt, gewöhnen sich auch natürlich die Passagiere aneinander. Man ißt aus einem Topf, schläft unter einem Deck mitsammen, und wird zuletzt so gewöhnt, sich „guten Morgen" zu sagen, daß man sich ordentlich unbefriedigt fühlt, wenn man nicht mit jedem neuen Tage die verschiedenen Gefährten wieder begrüßt und gesehen hat. Unterwegs werden gewöhnlich Pläne gemacht, daß man nach der Landung sich zusammenhalten, oder, wenn wirklich ent/40/fernt, schreiben wolle - und was geschieht nach der Landung? -
Werft einen Tropfen Quecksilber auf den glatten Boden und seht, was mit ihm geschieht, und so eng eine Schiffsgesellschaft auch an Bord zusammengehalten haben mag: der erste Schritt an Land, noch dazu wenn das Land der Boden eines Golddistricts ist - trennt alle Bande, löst alle Versprechungen und streut die Einzelnen wie Spreu im Winde umher.
Schon auf dem Ueberfahrtsboot existirte keine Gemeinschaft mehr. Jeder hatte auf sein eigenes Gepäck zu sehen, die verschiedenen theils in die, theils in jene Ecke geworfenen Gegenstände zusammenzusuchen, oder wenigstens im Auge zu behalten, und wie das Fahrzeug nur festen Grund berührte, keuchte was immer konnte den ziemlich steilen, staubigen, heißen Hang hinauf, so rasch als möglich in das neue Leben einzutauchen. - Wer dachte hier daran, auch nur den Reisegefährten Lebewohl zu sagen? Fanden sie diese zufällig wieder, desto besser; wo nicht - nun so war hier Kalifornien, und Jeder mußte ja doch zusehen, daß er selber durchkam.
Mr. Hetson hatte mit seiner Frau in dem leichten Boot die Landung schon weit früher erreicht, dort zufällig einen leeren Karren getroffen, der Güter an den Strand geführt, und diesen augenblicklich gemiethet, sein Gepäck in irgend ein Hotel zu schaffen. Der Karren hielt auch bald, durch die bunten Straßen dieser wunderlichen Stadt fahrend, vor einem Mittelding zwischen Zelt und Schuppen, denn die Wand rechts von der Thür bestand aus übereinander genagelten Brettern, die links aus Segeltuch. Ueber dem Eingang aber prangten mit großen schwarzen Buchstaben die Worte „Union Hotel", und er durfte nicht daran zweifeln, den erfragten Platz erreicht zu haben.
Union Hotel - der Verschlag sah eher einer Meßbude ähnlich, in der Merkwürdigkeiten um ein geringes Eintrittsgeld gezeigt werden, als einem Hotel, aber, lieber Gott, in solch' einem neuen Lande durfte man auch nicht hoffen, all' die Bequemlichkeiten des alten Vaterlandes wiederzufinden. Vielleicht hielt auch das Innere mehr, als das Aeußere ver/41/sprach, und Hetson wünschte deshalb vor allen Dingen zu erfahren, ob er hier Aufnahme, und dann ein eigenes Zimmer für sich und seine Frau bekommen könne.
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