Ich habe latent Hunger.
Auf dem Heimweg rief mein Vater an, ich ging nicht dran, da am Steuer. Ich überlege mir, was ich sage, wenn ich gleich zurückrufe. „Hallo Papa, danke für deinen Anruf, ich konnte gerade gar nicht dran gehen, ich saß am Steuer. Euch wollte ich heute Mittag auch noch anrufen, aber dann fiel mir ein, dass ihr Mittagsschlaf macht, dann habe ich gewartet. Und jetzt hast du angerufen. Wie geht‘s dir so?“ Und dann ganz naiv, Smalltalk, ich habe heute Kuchen gebacken, putzen, arbeiten, lesen, normaler Sonntag. Dann werde ich die Mutter verlangen. Freundlich, gelassen. Frage: „Wann kommst du mal wieder?“ AW: „Ich würde euch gerne mal wieder besuchen, aber im Moment habe ich viel zu tun, aber das wird bald auch wieder anders sein.“ Ich bin fast 30 und habe noch so Angst vor meinen Eltern?
16.58 Uhr mit Papa und Mama telefoniert. Gespräch war gut, locker, übers Wetter, Topflappen und die Entsorgung von Christbäumen geredet. Easy. Stolz.
Jetzt werde ich arbeiten.
17.48 Uhr ich arbeite immer noch. Mein bester Freund der Hunger ist weiter unterschwellig da.
18.09 Uhr Hunger ist wieder bissl weg. Arbeit läuft.
18.49 Uhr ich hatte keine Lust mehr. Habe mir medizinische Einweghandschuhe bestellt. Safety first.
18.53 Uhr nochmals drei Mails beantwortet.
19.10 Uhr Wäsche abgehängt und eingeräumt. Dabei Musik hören. Habe vor kurzem bei Brice eine französische Musik gehört, so alte Lieder von Frauen a la Edith Piaf, wusste gar nicht mehr, dass mir das so gut gefällt. Das fiel mir gerade wieder ein. Aber das genau finde ich nicht. Aber habe auch nicht lange gesucht. Egal, ich höre einfach, ist schön.
19.11 Uhr ich geh jetzt kochen. Kochen zubereiten ging so schnell, habe die Zeit genutzt, weil ich ein Fuchs bin und Gemüse für morgen vorbereitet habe.
20.07 Uhr fertig mit Essen (4 Bratwürste 400g, 8 Kartoffeln, Bohnen, 1 Birne, 5 Trauben). Schon beim Essen werde ich müde. Ich bin genervt. Jeden Abend das gleiche. Allein kochen, allein essen, abspülen. Langweilig. Wer bin ich? Warum bin ich so, wie ich bin?
20.20 Uhr Küche heute zum 3. Mal sauber gemacht. Verkehrte Welt. Meine Schwägerin, die weder richtig kochen kann und schon gar niemals Kuchen backt, hat eine riesige Küche mit tollen Geräten. Meine Mutter, die Kuchen nur zu Geburtstagen oder anderen Festen macht, hat ungefähr 20 Kuchenformen und Bleche und 5 Kuchenboxen. Ich habe eine Kuchenform, keine Box und meine Küche ist alles andere als groß.
Aber so war das schon immer bei mir. Als ich anfing mit Sport hatte ich jahrelang keine richtige Sportkleidung. Ich war top fit und die anderen hatten Adidas Shirts und teure Turnschuhe. Ich male gerne und habe ein Pinsel-Set von Aldi. Auf der anderen Seite: Lieber so herum als umgekehrt. Ich komme mit dem, was ich habe zurecht. Im Karton kann man auch Kuchen transportieren und irgendwann werde ich mich auch mit solchem Luxusdingen eindecken.
20.45 Uhr ich schaue weiter Couch. Gibt nichts Neues. Immer noch nicht entschieden. Bettsofa? Oder nicht? Ich esse dir restlichen Trauben und Hunger kommt wieder. Klar, wenn man immer zu Hause ist.
Um 21 Uhr werde ich nochmals Mails beantworten.
Morgen schaue ich mir vielleicht nochmals ein Sofa an. So, keine Lust mehr auf Schwankungen. Ich will ein Gästebett. Punkt. Und wenn mich der Bezug nervt, mache ich einen Überwurf drüber. Habe zwei im Schrank, wie neu, die ich nie benutze. GÄSTEBETT. Larissa ist nämlich ein soziales Wesen. Zu viel Zeit für Sofa. Ich kaufe mir das, was ich mir angesehen habe. Sonst ist es weg und ich ärgere mich.
21.03 Uhr heute noch putzen. Keine Lust. Mein Popo tut weh, den ganzen Tag sitze ich auf diesen Küchenstühlen.
Ich suche einen schönen Delphin im Internet. Brauche Motiv zum Malen.
21.08 Uhr Heizung im Bad auf 5, wozu denn? Ich habe einen großen Pickel über der Lippe. Ich mache ihn weg. Tut höllisch weh, blöde Stelle. Warum nur bei mir? Warum hasst mich alles?
Ich putze um 22 Uhr. Das ist kein Problem. Ich brauche nicht lange zum Putzen.
22.27 Uhr Schreibtisch abgewischt, Bett frisch bezogen.
Ich geh jetzt duschen. Ich stinke und ich habe Lust auf Sex. Ich rufe ihn an, ob er kann. Er kennt mich als Sophie. Diese Männer, die ich aus dem Internet zum Bumsen suche, wissen nicht wer ich bin. Sie schlafen nicht mit Larissa. Nein, sie schlafen mit Sophie, der Sexfrau in mir.
22.50 Uhr Larissa wollte maximal 45 Minuten bei ihm bleiben. Es ist der Arzt in Altona. Larissa hatte sich vorgenommen auf die Uhr zu schauen, die Zeit einzuhalten, sonst wird Sophie wieder übertreiben. Es war wieder wie immer. Er erzählt und erzählt. Es ist immer lustig mit ihm. Er macht viele Späße, Sophie lacht. Dann muss er nochmals Pipi. Larissa nutzt die Zeit, schaut auf die Uhr, 23.23 Uhr. Sie zieht Sophie aus, damit mal endlich was geht. Er kommt zurück und findet das klasse. Der Sex geht schnell. Er fingert sie am Po. Es ist ein bisschen unangenehm, Larissa war heute dreimal auf dem Klo, ihr Po ist etwas gereizt. Sophie holt Gleitgel und lässt es jedoch zu, denn er steht drauf. Und wenn er drauf steht, dann kommt er meist schnell. So ist es auch. Sophie will eigentlich nur ein bisschen Spaß, damit es Larissa gut geht. Larissa liebt es zu sehen, wie Sophie Männer verwöhnt und als Sextoy benutzt. Er kommt durch ihre Hand. Kein Sex. Nach ca. 15 min. Das Problem ist jetzt nicht Sophie, sondern ich. Seine Augen sind nett, ich könnte noch ewig bei diesem Mann bleiben. Nicht wegen dem Sex. Ne, das mag ich nicht so mit ihm. Seinen Penisgeruch finde ich unangenehm. Und er ist sehr behaart. Dreitagebart, das kratzt immer, ich bekomme manchmal kleine Pickel davon. Und sein Oberkörper. Voller Haare. Sophie geht heute nicht mit dem Mund hin, sie hat heute keine Lust auf Haare im Mund. Danach erzählen sie wieder. Sie tut naiv, er erklärt ihr dies und das. Was sie mag ist einfach weitererzählen und dann einschlafen. Zwiespalt. Sophie will gehen, Larissa will bleiben. Irgendwann will auch ich gehen, ich merke, dass ich absolut keine Kontrolle habe.
Ich gehe aus dem Haus, ohne nachzudenken steuere ich direkt auf den Kiosk gegenüber zu. Ich frage, ob er einzelne Zigaretten verkauft. Ne, macht er nicht, nur Schachteln. Einzelne Zigaretten. Sowas gibt‘s halt auch nur in Argentinien. Ich kaufe eine Schachtel.
Zu Hause duschen und rauchen. Putzen habe ich jetzt keine Lust mehr.
Der Zigarettengeschmack ist widerlich, ich esse eine Birne. Hunger.
Ich bin nicht selbstbestimmt bei diesem Mann. Er ist in mich verliebt und ich muss aufpassen, dass ich, Larissa, keine Gefühle für ihn habe. Ich habe doch Brice.
Jetzt denke ich, was für ein Vergleich. Ich sollte mich schämen.
24.15 Uhr ich esse einen Apfel.
23.30 Uhr habe Musik Videos geschaut. Die Bohnen leer gegessen. Wieder ein Tag vorbei, an dem nichts passiert ist. Wenn es mich nicht gäbe, wäre auch egal. Es würde nichts ändern an der Welt.
23.53 Uhr habe Talentshows geschaut. Die singen alle so schön, die jungen Frauen und Mädchen.
Zigarette.
Ich esse mehr Grünzeug als eine Kuh. Kein Wunder, dass ich so eine Verdauung habe.
Doch, es würde etwas ändern. Das Jugendheim hätte heute keinen Kuchen gehabt. Der Mann keine Sophie. Ich tue doch auch etwas Gutes.
Ich gehe jetzt schlafen, morgen früh Sport. Ich geh jetzt sogar Zähne putzen.
Ich verbinde meinen Zeige- und Mittelfinger. Wie jeden Abend im Moment. Die Haut ist so trocken gewesen, dass sie aufgerissen ist. Tut weh. Ich mache Zinksalbe drauf und Pflaster bzw. Verband.
Irgendwie macht es kaum einen Unterschied, ob meine Heizung an oder aus ist.
Kalte Füße.
Ich liege im Bett und will Sex. Larissa will Sex. Ich nehme zwei Dildos für den Arsch und für die Vagina. Ich denke an meinen Therapeuten und an Brice. Die Männer dringen in mich ein. Mit dieser Vorstellung besorge ich es mir eine halbe Stunde lang bist ich wie ein Orkan explodiere.
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