„Guten Tag, wie geht es Ihnen Bertrand?“, fragte Faris höflich, um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Er hörte sich zwei Minuten lang die Beschwerden des Verdächtigen an, dass er ein rechtschaffener Bürger sei und man ihn völlig zu Unrecht seit Tagen hier festhalte. Mit einer ungeduldigen Geste brachte der Kommissar den Mann schließlich zum Verstummen.
„Ich war gerade noch einmal auf dem Grundstück, auf dem der Dreifachmord verübt wurde“, sagte er und beobachtete sein Gegenüber scharf. Flackerte dessen Blick kurz, oder bildete Faris sich das ein?
„Gerne würde ich ihre Meinung zu einem Thema hören, das ich mir nicht so recht erklären kann“, fuhr der Kommissar fort.
„Aber ja, solange ich hier bald raus darf, helfe ich Ihnen natürlich weiter“, antwortete der Fahrer eifrig und blickte ihn scheinbar aufrichtig an. Faris nickte gespielt zufrieden.
„Genaugenommen, geht es mir um zwei Punkte“, begann er gedehnt. Sein Gegenüber sah ihn gespannt an.
„Erstens: Wie ist es Sedat gelungen, die Holzkiste zu verschließen? Hat er von innen Nägel eingeschlagen?“ – „Das wäre eine Möglichkeit“, kam die vorsichtige Reaktion des Inhaftierten. Wobei dieses Zögern noch nichts zu bedeuten hatte; es konnte auch sein, dass er Angst hatte, bei einer nicht zufrieden stellenden Antwort weiter festgehalten zu werden.
„Wir haben aber keinen Hammer gefunden“, versetzte Faris. „Warum sollte Sedat den wieder mitnehmen?“, fragte er weiter.
„Vielleicht war die Kiste ja offen?“, fragte Bertrand, doch Faris schüttelte energisch den Kopf. „Nein, das hätten die Sicherheitsmänner am Tor bemerkt. Das sind echte Profis.“
„Dann hat ihm sicherlich mein ehemaliger Kollege Ellert, der nun verschwunden ist, dabei geholfen, die Kiste zu schließen, oder?“
„Möglich“, nickte Faris und ließ den Punkt damit erst einmal auf sich beruhen. Stattdessen kam er zum nächsten Thema: „zweitens: Wie ist es Sedat gelungen, über mehrere Tage hinweg drei Personen gleichzeitig unter Kontrolle zu halten?“
Nun sah der Inhaftierte ihn sichtlich nervös an. „Ich … weiß nicht?“, fragte er verunsichert. „Wie kommen Sie darauf?“, fügte er dann lahm hinzu.
„Ganz einfach“, triumphierte Faris, „der männliche Diener war die ganze Zeit im Holzkeller, das zeigen die Spuren eindeutig.“
„Ja – und?“, wollte der Fahrer wissen. Doch es klang bei weitem nicht mehr sicher.
„Da Sedat sich einige Zeit bei Leila aufgehalten hat, obwohl die weibliche Bedienstete von den Sicherheitsmännern gesehen worden ist, komme ich zu einer einzigen Schlussfolgerung, die Sinn ergibt…“, Faris legte eine Kunstpause ein und nun konnte er die Angst des Verdächtigen förmlich riechen. Der Kommissar lächelte zufrieden, denn er war sich jetzt absolut sicher, auf der richtigen Spur zu sein.
„Jaaa?“, fragte Bertrand gedehnt.
„Es gab eine zweite Person!“, sagte Faris. Es war keine Frage, sondern drückte seine absolute Überzeugung aus.
„Wie meinen Sie das?“, sagte der Fahrer mit gespieltem Erstaunen.
„Ganz einfach“, erwiderte Faris. „Ein zweiter Mann war zusammen mit Sedat in der Kiste. Groß genug dafür ist sie ja. Diese Person hat den Diener bedroht. Deshalb war dessen Frau so kooperationsbereit, auch während Sedat bei Leila war…“, wieder hielt der Kommissar inne, bevor er fortfuhr: „Ich glaube, dass ihr flüchtiger Kollege mit Sedat vor Ort war. Er war der Helfershelfer…“
Dann beschloss er, dass er nun genug Informationen aus der Mimik seines Gefangenen entnommen hatte, sein Gefühl sagte ihm deutlich, dass sein Gegenüber Dreck am Stecken hatte.
„Das bringt mich zu der Tatsache, dass, wenn ihr Freund mit in der Kiste steckte, jemand anderer geholfen haben muss, den Deckel zu verschließen …“, erzählte Faris ruhig. Dann holte er zu seinem finalen Schlag aus: „Ich bin mir sicher, dass SIE das waren!“
Wie zu erwarten war, machte der Fahrer ein empörtes Gesicht und fing nicht nur an, seine Unschuld zu betonen, sondern spielte sogar den Beleidigten: „Was fällt Ihnen ein? Welche Beweise haben Sie für so eine ungeheure Anschuldigung?“
Faris lachte nur leise. „Wissen Sie was? Von mir aus sagen Sie gar nichts, ich werde nun diesen Raum verlassen. Dann werde ich von meinem Büro aus den Anwalt des Scheichs anrufen und ihm über diesen Durchbruch berichten. Sollen wir eine kleine Wette abschließen, wie lange es dauert, bis einige Tarmanen hier sind, die mit Ihnen reden wollen?“
Der Kommissar lachte nochmals, dann stand er auf und ging in Richtung Tür. Als er den Raum verließ, sah er noch, wie der Gefangene ihm mit einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen hinterherstarrte. Es ließ ihn kalt. Faris vermutete, dass der Mann keine Ahnung gehabt hatte, dass die beiden Eindringlinge einen mörderischen Plan verfolgten. Wer weiß, welche dumme Geschichte sie ihm aufgetischt hatten. Trotzdem war seine Mitarbeit das entscheidende Puzzleteil zum Gelingen des Coups gewesen und mit seinem eisernen Schweigen hatte er die Ermittlungen erheblich behindert. Entsprechend würde der Mann mit den Konsequenzen leben müssen.
Faris war sich sicher, dass ein wenig „zappeln lassen“ für seinen Verdächtigen jetzt gut war. Der konnte so in Ruhe darüber nachdenken, was er weiter tun wollte. Vermutlich malte er sich schon jetzt aus, was die Tarmanen mit ihm anstellen könnten. In einigen Stunden würde der Kommissar erneut nach dem Gefangenen sehen, dann würde dieser mit Informationen nur so heraussprudeln. In der Zwischenzeit würde er tatsächlich Taib Riad über diesen Erfolg informieren. Für ihn bestand kein Zweifel, dass er heute Abend bereits ein unterschriebenes Geständnis mit einer detaillierten Aussage in der Hand halten würde. Er ahnte nicht, wie recht er hatte – und wie sehr er sich gleichzeitig irrte.
Mai 1989 – Zarifa: Bergwelt – Die freien Tarmanen
„Du wirst sicherlich verstehen“, begann Sedat, „dass ich euch nicht einfach erlauben kann, hier zu bleiben. An genau der Stelle, an der das alte Lager der Rebellen war.“
„Aber ich kann mir vorstellen“, fuhr er nachdenklich fort, „dass ihr euch an einem anderen Ort ansiedeln könntet.“ In Gedanken versunken schwieg er einen Moment. Zadre hielt den Atem an, er war mehr als erleichtert, dass der alte Scheich ihm nicht gleich den Kopf hatte abschlagen lassen. Er war klug genug, sich jetzt vollkommen still zu verhalten und abzuwarten, was Sedat zu sagen hatte. Dieser fuhr in diesem Moment auch schon fort: „Die Region, von der ich spreche, liegt auf der anderen Seite des Tals, im südwestlichen Teil des Gebirges. Dort werdet ihr für mich arbeiten …“
Zadres Kopf fuhr empört nach oben. Es war offensichtlich, dass er sofort das Bild von einer Art Frondienst im Kopf hatte.
„Keine Sorge!“, versicherte Sedat spöttisch lächelnd. „Ich will euch nicht zu meinen Sklaven machen. Oder mir billige Arbeitskräfte erzwingen …“ Der Scheich schickte seine überraschten Leibwächter weg, um den Rest der Unterhaltung mit Zadre unter vier Augen zu klären. So kam es, dass Rayans Vater den Vertrag mit der Gruppe schloss, der sich fortan die „freien Tarmanen“ nannte und sich in absoluter Abgeschiedenheit um die Goldvorkommen in den Bergen von Zarifa kümmern würde.
Am Ende der blutigen Auseinandersetzungen musste Sedat nur etwa fünf halsstarrige Männer töten lassen. Die anderen entschieden sich daraufhin, dass ihnen ihr Leben doch mehr wert war, als ihr Stolz. Sie schlossen sich lieber der Gruppe an, die ins Exil gingen und die Zarifa für immer verließen. Es handelte sich um etwa sechzig Personen – Elifa und ihre Mutter waren unter ihnen.
14. Mai 2016 – Rabea Akbar: Stadt – Unterstützung und ein Plan
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