Hätte er nichts gesagt, ich hätte mich vielleicht noch beherrschen können, doch nun ist es aus und ich heule los. Markus kniet sich vor meinen Stuhl, legt meinen Kopf an seine Brust und klopft mir zärtlich den Rücken.
Nach einem Weilchen mache ich mich von ihm los und suche die Papiertaschentücher auf dem Schreibtisch. Markus sieht den Karton zuerst und reicht mir die Schachtel. Ich wische mir die Augen ab, schnäuze mich geräuschvoll und sage:
„Entschuldige, Markus, aber manchmal, wenn man über Mustafa spricht überkommt mich eine große Traurigkeit.“
„Ich hätte dich nicht darauf ansprechen dürfen. Aber ich wusste nicht, dass du noch so sehr trauerst. Ab und zu tut es ganz gut zu weinen. Außerdem machen Tränen schöne Augen.“ Dabei lächelt er vorsichtig. „Du hattest ziemlich jung geheiratet.“
„Ja. Ich war einundzwanzig.“ Jetzt geht es mir besser. Sicherlich ist es gut, wenn Markus diesen traurigen Teil meines Lebens kennt.
„Sag mal, wie hatte deine Familie reagiert?“, will er nun wissen.
„Och, meine Eltern hatten mich vor ein Ultimatum gestellt. Entweder heirate ich nicht und ich bleibe ihre Tochter oder sie haben keine Tochter mehr. Na ja, seitdem habe ich eben keine Eltern mehr. Sie waren gegen die Ehe ohne Mustafa je kennen gelernt zu haben. Ganz ehrlich, ich habe mich meiner Eltern ob ihres Verhaltens geschämt. Aber das ist lange her.“
„Seither hast du nichts mehr von ihnen gehört? Meinst du nicht, dass sie ihr Verhalten bereuen?“
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. So wie ich sie einschätze“, sage ich.
„Ja, das musst du natürlich besser wissen.“ Er nickt verständnisvoll.
„So, Markus, wir haben lange genug gesprochen. Lass mich noch die Übersetzungen überarbeiten. Morgen Vormittag werden sie abgeholt.“
„Ja, natürlich, mach nur. Entschuldige.“ Und er setzt sich mit dem Buch übers Fliegen wieder in den Sessel.
Gegen elf Uhr bin ich fertig. Wir setzen uns kurz ins Wohnzimmer auf das Sofa. Er hat sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt. Sein Arm liegt auf meiner Schulter und er will wissen:
„Angelika, du bereust es immer noch, von deinem verstorbenen Mann keine Kinder zu haben?“
„Ja.“
„Deswegen darfst du dich jetzt aber nicht einigeln.“
„Sollte ich nicht. Ich weiß“, gebe ich abschließend zu.
Als Markus sein Bier ausgetrunken hat, schlage ich vor, ins Bett zu gehen.
„Ja, es ist schon spät“, gibt er zu.
„Musst du morgen früh raus?“, will ich wissen.
„Nicht zum Arbeiten, aber ich muss mal ein wenig Einkaufen und bei mir zu Hause nach dem Rechten sehen. Kommst du mit?“
„Das kommt darauf an. Morgen kommt jemand vorbei und holt die Übersetzungen ab. Wir sehen uns spätestens für die Sauna." Mein anderer Termin ist ausgefallen, also möchte ich doch mit Markus gehen.
Nun schlägt er sich mit der flachen Hand an die Stirn: „Das hatte ich dir ja gar nicht gesagt. Ein Freund hat mich angerufen. Normalerweise spiele ich mit ihm Squash und habe für morgen Nachmittag einen Termin ausgemacht. Wir spielen eine Stunde und gehen anschließend in die Sauna. Du kannst mitkommen und schon in die Sauna gehen oder zuschauen. Du spielst nicht Squash?“
„Nein. Wenn es dir Recht ist, gehe ich nicht mit. Ich werde versuchen, hier eine Stunde zu belegen.“ Ohne es zuzugeben, bin ich doch etwas geknickt. Was soll ich rumhocken, während er Squash spielt. Das ist doch Schwachsinn. Außerdem ist es ein Unterschied ob ich mit Markus in die Sauna gehe oder ob da noch jemand anwesend ist. Aber ich spreche meine Gedanken nicht aus.
„Weißt du, wir spielen fast jeden Samstag zusammen. Ich wollte ihn nicht auf das Abstellgleis stellen und wollte Beides verbinden“, erklärt er mir.
„Kein Problem“, gebe ich klein bei. Weshalb soll ich überreagieren. Schließlich hat Markus ebenfalls seinen Freundeskreis.
Danach machen wir uns beide für das Bett fertig. Wir sind zu müde um irgendwelche Dummheiten zu begehen und schlafen aneinander gekuschelt schnell ein.
Auch ohne Wecker stehe ich meistens um acht Uhr auf. Das ist meine Zeit. Markus lasse ich schlafen. In aller Ruhe möchte ich zuerst meine Gymnastik machen.
Ich bin noch in mein Sportprogramm vertieft als Markus nur mit Boxershorts bekleidet das Wohnzimmer betritt und mir interessiert zuschaut.
Publikum bin ich nicht gewöhnt, also halte ich kurz inne und lächle ihn unsicher an.
„Mach ruhig weiter“, fordert er mich auf. „Ich gehe ins Bad und hole dann frische Brötchen fürs Frühstück.“
„Semmeln“, verbessere ich ihn.
„Wie bitte?“ Er schaut mich fragend an.
„Hier heißen die Brötchen Semmeln.“
Er lacht. „Gut, Semmeln“, und beugt sich zu mir herab um mir einen flüchtigen Kuss aufs Haar zu hauchen.
„Guten Morgen, Markus“, sage ich nun. Immer noch kann ich nicht über meinen Schatten springen und ihn mit einem Kosenamen ansprechen.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Liebes“, erwidert er freudig. Immer nennt er mich Liebes, Liebling oder Schätzchen. Weshalb kann ich das nicht?
Als er sich abwendet rufe ich ihm nach: „Der Wohnungsschlüssel hängt am Haken neben der Türe. Zumindest hoffe ich das“, murmle ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Er hat es nicht gehört und setzt seinen Weg fort.
Ich bleibe alleine im Wohnzimmer zurück und fahre mit meinem persönlichen Sportprogramm fort.
Nach einer Weile höre ich Markus aus dem Bad kommen. Bestimmt kehrt er ins Schlafzimmer zurück. Kurze Zeit später steht er diesmal vollständig angezogen in der Wohnzimmertüre.
„Ich geh dann mal.“
„Bis später“, sage ich nur, lege meine Hand an die Lippen und puste ihm einen Kuss zu. Er tut es mir nach, dreht sich um, zieht seine Jacke an, nimmt die Schuhe in die Hand und öffnet die Wohnungstüre. Vor der Türe stellt er die Schuhe ab und greift sich den Schlüssel vom Haken. Ich war folglich ordentlich und habe den Schlüssel wirklich an seinem Platz aufgehängt.
Markus fragt nicht wo die Bäckerei ist, aber er wird schon eine finden.
Ich beende mein Programm und stelle mich unter die Dusche. Als ich angezogen bin mache ich schnell das Bett und reiße das Fenster im Schlafzimmer auf.
In der Küche beginne ich das Frühstück vorzubereiten. Markus wird schon den Weg zur Bäckerei und zurück finden und irgendwann aufkreuzen.
Ich warte nicht lange als er mit dem Schlüssel die Türe öffnet, die Schuhe abstellt, in die Küche kommt und mich auf den Mund küsst. In der Hand hält er eine große Papiertüte. Für drei bis vier Semmeln ist sie definitiv zu groß.
Ich zeige auf die Tüte und erkundige mich: „Sind die Brötchen größer als die Semmeln oder hast du die Bäckerei leergekauft?
Zuerst schaut Markus mich erstaunt an, dann grinst er. „Weißt du, Schatz, es ist unser erstes Wochenend-Semmel-Brötchen-Frühstück. Ich wusste nicht was du gerne isst, also habe ich eine kleine Auswahl mitgebracht. Den Rest kannst du einfrieren.“
Praktisch dieser Mensch, denke ich mir und muss lächeln. Laut sage ich: „Ja, in der Tat hattest du eine unglaublich schwere Entscheidung zu treffen. Beziehungsweise du hast sie nur teilweise getroffen. Den Rest werde ich einfrieren, wenn du ihn nicht mitnehmen willst.“
Er schüttelt den Kopf. Nun legt er die Tüte auf den Tisch, den ich schon gedeckt habe. Schnell schalte ich das Wasser für den Kaffee an und stelle den Milchtopf in die Mikrowelle.
Markus kehrt in die Küche zurück. „Hast du einen Brotkorb?“
Ich zeige wortlos auf den Tisch, auf dem der gähnend leere Brotkorb darauf wartet mit Semmeln gefüllt zu werden. Markus holt einige Teile heraus. Den Rest legt er auf die Ablage.
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