1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Ich meine, er war immerhin Kriegsveteran und Marineoffizier, und das hat man immer noch gemerkt, auch wenn er seit seiner Entlassung hauptsächlich Großmutters Geld verwaltet und vergeudet hat und seine Rosen verhätschelt, und mit mir macht er es im Grunde genauso, er stutzt mich, damit ich später um so schöner blühe, und bringt mir Tischmanieren bei und ein bisschen Boxen und vor allem Krocket, was viel edler ist als Golf, weil man damit kein Geld verdienen kann, nicht einmal ein Stipendium; und ich habe den Verdacht, dass er es einfach mit Kricket verwechselt hat und später zu feige war, das zuzugeben, falls er es überhaupt gemerkt hat. Jedenfalls waren ihm Fitness und Anstand das Wichtigste, viel wichtiger als schulische Erfolge, um die sich nur charakterlose Streber und Emporkömmlinge bemühten, die es sonst aus Mangel an wahren, angeborenen Qualitäten zu nichts bringen. Wie bei den Rosen war bei Kindern die Züchtung das Entscheidende, und dann kam es nur noch darauf an, dass sie gut gedeihen können und sich entfalten vom Mehltau der Moderne unbehelligt, ohne Radio und ohne Fernseher bis auf das Schwarz-Weiß-Gerät in Bessies Küche, das Guckloch in die Hölle, wie er es nannte. Eine Hölle, in der es immer schneit, so sehr flimmert das Bild! Comics immerhin waren erlaubt, vielleicht, weil er sie aus seiner eigenen Kindheit kannte und die Krazy Kids immer noch liebte, vielleicht einfach, weil es unter seiner Würde war, sich mit ihnen zu beschäftigen. Er hat eine Menge über Militärgeschichte und Pflanzenzucht gelesen und drei Zeitungen für seine Investitionen abonniert, die immer daneben gingen, was ihn aber nicht störte, weil Geld vulgär war und ohnehin nicht seins. Rechnen war etwas für Krämerseelen, die es nötig hatten. Wer auf sich hielt, konnte kaum mehr als Lesen und Schreiben und hatte höchstens noch einen gediegenen Verstand, was immer das war, jedenfalls nichts, was man auf der Schule hätte lernen können, wo nur Respektlosigkeit und Relativismus unterrichtet und haufenweise unnötiges Wissen eingetrichtert wurden, das die natürliche Grazie, den angeborenen Adel entstellt und die Kinder ihren Wurzeln entfremdet und in willenlose Roboter und Arbeitssklaven verwandelt, denen Rosen und Kitchener egal sind. Und Großmutter fürchtete die modernen Krankheitserreger im Klassenzimmer, denen auch mit Toddys kaum beizukommen war; und man vermisst es nicht, wenn man es eh nicht kennt, denn ich wusste ja nicht, dass man eigentlich das Haus verlässt und mit anderen in die Schule geht, und als ich nach ein paar Jahren doch auf ein Walldorf-inspiriertes Privatinstitut für Problem- und Spezialfälle komme, bin ich kaum schlechter als die anderen, denn die haben ihre Kindheit mit Wachsmalkreiden und Klanghölzern zugebracht und können ihren Namen besser tanzen als schreiben, während ich längst orthographisch korrekt, wenn auch völlig benebelt aus einem Märchenland jenseits des vertrauten Raum-Zeit-Kontinuums berichte und mir wegen meiner Noten keine Sorgen zu machen brauche, weil egal, was passiert, Princeton nimmt mich eh wegen der Spende von Urgroßvater, und wenn ich damit fertig bin, gehe ich an die Wall Street und verkaufe Anleihen oder Aktien oder sowas, was in Ordnung ist, so lange ich mich nicht daran verliere und nicht vergesse aufzuhören, sobald ich ein Vermögen gemacht habe und mich wesentlichen Interessen widmen kann wie Rosen oder Kitchener oder einem Setter wie Sam, irgendwas, Hauptsache, ich werde nicht von Gier getrieben, Ehrgeiz oder praktischen Interessen und entkomme dem Räderwerk der Zeit und lasse mich nicht zerfleischen, denn nichts bildet den Gentleman wie die Muße; und ich helfe ihm dabei, bin sein Lehrling, und reiche ihm die Scheren, Messer, Schaufeln und Sprühbehälter für die Rosen, schleppe seinen Fotoapparat mit dem Holzstativ, frisiere Sam, setze ihn ins Licht und sorge dafür, dass er stillhält während der halben Sekunde, welche die verdammte Plattenkamera für eine Aufnahme braucht, und schreibe jeden Tag einen Aufsatz, in dem die Abenteuer meines alter egos Superchunk mit Flügeln aus Kodein und Alkohol klingen wie ein Polizeireport.
Erst Doro hat mir den Zusammenhang erklärt. Dieser verfluchte Hustensaft! Kein Wunder, dass ich lieber krank als gesund war; und kaum bin ich mal gesund, muss ich raus in den Regen und halbnackt ums Haus rennen oder Krocket spielen oder auf den Sandsack einprügeln wie die Große Weiße Hoffnung persönlich, damit ich nur ja schnell wieder krank werde und unter Decken zu liegen komme, die mich erdrücken wie die Arme des Kraken, in einem Bett, das schwankt wie Hucks Floß inmitten einem Dschungel, der über mir zusammenschlägt wie ein grüner Ozean voll Ungeheuern, benommen nicht vom angeblichen Fieber, sondern von dessen Kur, dem unfehlbaren Toddy, dem universellen Heilmittel für Beschwerden körperlicher wie seelischer Natur, das sie sich bei jeder Gelegenheit auch selbst verabreicht hat, und zwar in immer größeren Dosen je mehr von ihrem Geld verschwunden ist bei Großvaters undurchsichtigen Spekulationen.
Ich frag mich, ob sie Mittagsschlaf macht. Wird sich nicht viel geändert haben daran. Könnte meine Uhr gebrauchen, wünschte, ich hätte sie noch, das Werkzeug deines Henkers, die Streckbank, die dir das Herz zerreißt und jeden Tag das Geständnis abpresst, nichts zu sein und nichts zu wissen, was auf mich irgendwie plausibel wirkte, weil hinter dem Glasboden eine goldene Sichel hin und her raste und Zahnräder unerbittlich ruckten, und die Schadenfreude war unüberhörbar, als er sie mir überreichte, die Maschine, die nur Zerstörung schafft und mehr Menschen getötet hat als alle Kriege zusammen, eine Art Initiation, etwas, um das Ende meiner Kindheit zu markieren, meiner Unschuld, und von da an spüre ich sie tatsächlich, eine zentrifugale Kraft, welche die ursprüngliche Einheit zerstört hat und uns als vereinzelte Partikel unerbittlich immer weiter ins Nichts treibt, in ein eisiges, einsames Exil, und ihr entgegengesetzt ein wortloses Sehnen nach Erfüllung, Ergänzung, Vollkommenheit, ein verzweifeltes Verlangen, irgendwie dem expandierenden Verhängnis zu entkommen und aus der Verbannung heimkehren zu dürfen und Vergebung zu erfahren, bedingungslose Aufnahme und Glück.
Hey, Mister, was tun Sie da?
Was geht dich das an? Ich besuch meine Großmutter. Ich habe mal hier gewohnt.
Bei der Hexe?
Welcher Hexe?
Na der hier! Er verdreht die Augen, als wäre ich schwer von Kapee. Ein Zwerg mit Micky-Mouse-Ohren! Sie fängt kleine Kinder, nagelt sie mit den Füßen an einen Balken im Keller und holt sich jeden Abend nen Liter Blut, aus dem sie Suppe kocht.
Falls das stimmt, haben sie es bestimmt nicht anders verdient. Bonanza-Räder, so hießen die Dinger. Dachte, die sind längst ausgestorben. Schauen aus wie neu. Kann mir nicht vorstellen, dass die beiden kleinen Pisser irgendwas von der Schrotthalde holen. Nicht in dieser Gegend! Wyatts kleine Brüder! Der bei ihr lag. Der …
Helfen Sie ihr?
Ich bring ihr gelegentlich frische Beute. Wenn ihr mit reinkommt, zeige ich euch, wie’s geht.
Den Trick kennen wir. Unsere Eltern haben uns vor Typen wie Ihnen gewarnt. Schmutzigen alten Männern!
Ich bin nicht alt. Nur von der Zeit gezeichnet, dem bleichen Schrecken.
Dann geben Sie also zu, dass Sie schmutzig sind! Triumphales Lachen.
Alle Erwachsenen sind das! Verdorben vom Wissen, verstoßen seit wir fragen nach dem Sinn.
Haben Sie es schon einmal mit Waschen versucht? Noch mehr Lachen.
Ich mache einen Schritt auf sie zu. Sie verschwinden wie Gespenster. Miese kleine Quälgeister, aber sie wissen nicht. Noch nicht!
Der hämische, weiß geschminkte Conférencier hatte das alte Jahr um Mitternacht ausgezählt wie einen angeschlagenen Boxer, der nicht mehr auf die Beine kommt; die Sylvester-Gesellschaft im Casino hatte gejubelt wie über einen vermeintlichen Sieg; die Mambas hatten einen Tusch gespielt; und die hektische, spannungsgeladene Stimmung, die ohnehin über der ganzen Insel lag, hatte sich zu einem frenetischen Tanz am Abgrund gesteigert und erst wieder beruhigt, als die Sonne aufging und offenbarte, dass sich nichts geändert hatte. Die Gäste wurden plötzlich müde und gingen nach Hause; die Musiker packten Noten und Instrumente ein; die Kellner begannen, die überall herumstehenden Gläser und Teller einzusammeln.
Читать дальше