Aus dem Schlepperprogramm der Mützelfeldtwerft: Hier der Schlepper „FARGE“ der Unterweser-Reederei-AG., Bremen, 1950er Jahre
Täglich machten wir nun Fortschritte in der Ausbildung. Wir erlernten das Aufsetzen von Kabelschuhen auf Schweißkabel, Arbeiten an Umformern und Schalttafeln und die vielen kleinen Tricks, die die Erfahrung im erlernten Beruf ausmachen.
Welch tückisches Material war doch der Marmor, der damals noch für Schalttafeln verwendet wurde. Äußerlich wurde er in glatt polierten Platten geliefert, in ihm gab es aber harte und weiche Zonen. Man musste die Tafeln mit sehr viel Liebe und Verständnis behandeln, damit die Löcher, die wir für die Sicherungselemente und Schalter bohrten, auch wirklich senkrecht verliefen und nicht nachgefeilt werden mussten.
Die 1950er-Jahre waren im Schiffbau eine sehr interessante Zeit. Wir Deutschen durften auf Beschluss der Siegermächte ja nur Schiffe unter 1.000 BRT bauen. So lebten die Werften dann von den Reparaturen der überalterten Handelsschifftonnage, Staatsaufträgen, kleinen Neubauten und von der Überholung von Beuteschiffen der Engländer aus ehemaligem Kriegsmarinebestand sowie dem Beutegut, das die Engländer zur Verschrottung freigegeben hatten. Unsere Mützelfeldtwerft hatte sich auf kleine Hafenschlepper-Neubauten, Küstenmotorschiffe, Schiffsverlängerungen, Umbauten usw. spezialisiert. Der Bau der Schlepper, die nach Bremen, Hull und Newcastle on Tyne gingen, wie ich mich erinnere, beschäftigte uns über Jahre.
Die Staatsaufträge waren das Metier von Hans M.. Hier war saubere Arbeit ohne Akkord gefragt. Die Staatsdampfer, das waren kleine Hafenschlepper, Vermessungsschiffe, Bereisungsdampfer, Tonnenleger, seegehende Schlepper und die Feuerschiffe in der Elbmündung. Alle diese Schiffe waren an ihrem gelben Schornstein mit dem schwarzen oberen Rand zu erkennen.
Lotsentender MS „GREIF“
Ich erinnere mich an kleinere Lotsentender (Zubringer) und Reededampfer, wie die „ALTE LIEBE“, die beim gleichnamigen Anleger immer unter Dampf lag und Lotsen und Seeleute zu den elbauf- oder –abwärts fahrenden Schiffen brachte und abholte, an die „GRODEN“ und die „CUXHAVEN I“.
Der Lotsentender MS „GREIF“ und die Lotsendampfer „KERSTEN MILES“, „SIMON VON UTRECHT“ sowie der Tonnenleger „NEUWERK I, der auch ersatzweise als Lotsentender eingesetzt wurde, lagen abwechselnd auf Seeposition bei den Feuerschiffen.
Weiter gehörten dazu die Feuerschiffe „ELBE 3“, „ELBE 2“ und „ELBE 1“, der uralte Lotsendampfer „CAPTAIN KARPFANGER“, der Bereisungsdampfer „SCHARHÖRN“ und andere.
Bereisungsdampfer „SCHARHÖRN“
Diese Dampfer und die Feuerschiffe kamen jedes Jahr zur Überholung, wobei die Arbeiten auf verschiedene Werften verteilt wurden. Die „Kundschaft“ durfte keinesfalls verprellt werden. Der „Meister“ eines solchen Schiffes oder Bootes, eigentlich der verantwortliche Maschinist oder Ingenieur, war sich seiner Position bewusst. Das konnte so weit gehen, dass einige Meister gleich Hans M. anforderten, sobald der Dampfer auf der Werft festgemacht hatte. Menschen hatten sich gesucht und gefunden: Hans, der akkurate Arbeiter und alte Preuße und der Meister, der Typ eines Beamten. Ich war an Bord der misstrauisch beäugte „newcomer“, der sich erst noch zu bewähren hatte. Wenn ich mir meine alten Berichtshefte ansehe, lernte ich hier die gesamte Palette der Elektrikerarbeiten an Bord kennen:
Dazu gehörten z.B. die Überprüfung und Wartung der Generatoren für das Bordnetz, die Stromversorgung der UKW-Anlage, Positionslampen, Zolllampen, Decksleuchten, Scheinwerfer, Lichtmaschinen, die 110-V-Batterie und dann noch die allgemeine Überprüfung der E-Anlage. Der Meister kontrollierte meine Arbeit nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Nach Abschluss der Arbeiten gab es Geld für die Werft, und wir bekamen vom Meister eine neue „Order“. Eine Order war ein Arbeitsauftrag, wie überhaupt viele seemännische Ausdrücke in die Werftsprache übernommen wurden.
Dampfer „HARALD OTTENS“, Nord- und Ostsee-Tonnage aus den Jahren 1900-1920, wie sie in der Nachkriegszeit noch sehr verbreitet war
Wochenlang ging das nun weiter mit den Reparaturen, und ich kam schon im ersten Lehrjahr auf einige Schiffe. Meistens waren es Fischkutter, wie z. B. der „NC 300“ oder auf den französischen Havaristen „RIEN SANS MAL“ mit einem interessanten elektrischen Schaltgetriebe, aber auch Fischdampfer, wie die „ARKTIS“, kleine Ostseedampfer und die „FRIEDA PETERS“, die bei uns auseinander geschnitten, verlängert und zum Motorschiff umgebaut wurde. 40 % der damaligen Welttonnage waren damals noch Dampfschiffe, auf unserer Werft die Mehrzahl der Havaristen.
Natürlich arbeiteten wir damals auch samstags von 07.00 bis 12.30 Uhr. Für uns Lehrlinge bedeutete dieser Tag „Großreinemachen“. Wir fegten dann die Räume der 6-kV-Hochspannungsstation in denen es stets gespenstisch brummte und summte, säuberten und ölten die großen Gleichspannungsumformer, die wir für die Landanschlüsse der auf der Werft liegenden Schiffe mit Bordnetzen aller Art brauchten und reinigten den Kompressorraum. Das E-Lager und die Werkstatt mussten aufgeräumt werden, sowie Sauerstoff- und Azetylenflaschen bei Bedarf gewechselt und neu angeschlagen werden.
Die Hochspannungs-Transformatorzellen waren ein unheimlicher Ort: Knisternde Spannung lag in der Luft, dazu das monotone Summen der Trafos. Es wurde immer wieder erzählt, dass wir einmal einen Kabelbrand in der Schiffbauhalle hatten. Ich muss aber betonen, das war vor meiner Zeit und ich kann nur vermuten, dass an der Geschichte etwas wahr war. Es musste also schnellstens die Werkhalle vom Netz getrennt werden, wofür in der Halle an den Verteilern entsprechende Hauptschalter vorgesehen waren. Auf der Werft wurden aber in Notsituationen immer „ganze Einsätze“ bevorzugt, also die rabiateste Lösung gesucht: In der Transformatorstation gab es unter der Decke Stromschienen, bei denen man durch einen Messer-Trennschalter die ganze Anlage für Wartungs- und Reparaturarbeiten abschalten konnte. Dieser Schalter war durch ein Gestänge und ein Vorhängeschloss gegen unsachgemäße Eingriffe gesichert. Nun, unser Meister soll nicht lange gefackelt haben, schloss das Vorhängeschloss auf, griff sich die lange, gegen Hochspannung isolierte Stange, die wie eine mittelalterliche Turnierlanze aussah, hielt sich seine Mütze als Blendschutz vor die Augen und ... zog den Trennschalter unter voller Last. Das soll man nicht tun, aber „Not kennt kein Gebot“. Der Zeitzeuge berichtete und überlieferte, dass es einen riesigen Knall und Blitz gab und flüssiges Metall von den geschmolzenen Messerkontakten von der Decke regnete. Der Meister hatte die Situation wahrlich „im Griff“ gehabt!
Schauder jagte einem auch der Aufenthalt im Kompressorraum ein: Hier wurde die Pressluft erzeugt, die überall auf der Werft zum Säubern, Bohren, Nieten und mehr gebraucht wurde und die stets auf Druck gehalten werden musste. Ganz still war es hier. Doch urplötzlich und nie im Voraus berechenbar, aber immer dann, wenn im Windkessel der Druck abfiel, sprangen mit einem peitschenartigen, unwahrscheinlich lautem Knall die schweren KJELLBERG-Kompressoren an. Es war, als hätte einem heimlich Gevatter „Hein Klapperbeen“ von hinten auf die Schulter geklopft, und man fuhr unwillkürlich in sich zusammen. Meinen Lehrkollegen erging es da nicht anders. Hielt man sich länger in diesem Raum auf, dann glaubte man, in dem gewaltigen Geräuschpegel Stimmen zu hören.
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