Als Lenz mit ihr fertig war, sah sie ihn entgeistert an. Sie hatte Schmerzen und sie war angeekelt von ihm. Das zu äußern, traute sie sich jedoch nicht. Die Angst, bei den anderen Gästen als spießig und verklemmt angesehen zu werden, wog schwer. Lenz ließ sie achtlos zurück, wo sie lag und ging an die Bar. Dort saß der Ehemann und spülte den Frust hinunter.
„Du musst deine Alte zu Hause mal anständig durchficken, nicht immer nur glotzen, wie andere das für dich erledigen“, sagte Lenz mit einem diabolischen Lächeln.
Der Mann sah ihn überrascht und sprachlos an. Die Chefin des Hauses, die hinter der Theke stand, ermahnte ihn, sich an den Verhaltenscodex des Clubs halten.
„Ich glaube, du solltest dich auch mal anständig durchbürsten lassen“, erwiderte er. Er kippte seinen Drink runter, knallte das Glas auf die Theke und ging sich anziehen. Dann verließ den Club, ohne die Prostituierte mitzunehmen. Er wurde nie mehr im Surprise gesehen.
*
Am vierten Abend, nachdem sie in Bremen gewesen waren, kam Vogel in Lenz’ Büro. Er hörte, dass er mit Kovacic telefonierte und ihm fiel auf, dass er ihn Mirko nannte – sie hatten sich auf das ‚Du’ verständigt.
Lenz machte Zeichen, dass er sofort zu ihm kommen werde, er wolle nur noch das Telefongespräch zu Ende führen. Er sprach noch etwa eine halbe Stunde mit Kovacic.
Als er endlich in Vogels Büro kam, teilte er ihm mit, dass er sich am nächsten Tag nochmals mit Kovacic auf halber Strecke treffen wolle. Er, Vogel, müsse nicht mitkommen, wenn er viel zu tun habe. Vogel ahnte, dass die beiden sich jetzt einig waren und dass sie die Sache auf Biegen und Brechen durchziehen wollten. Er schwieg dazu.
„Ich sprach mit Mirko gerade über das Projekt. Wir wollen die Angelegenheit mal durchzurechnen“, sagte Lenz. „Wir hatten überlegt, wie wir mit den alten Gebäuden umgehen, die auf dem Gelände stehen. Ich denke da insbesondere an das sechsstöckige alte Verwaltungsgebäude. Reißt man das ab oder wird das gesprengt?“
„Sprengen kannst du vergessen“, winkte Vogel ab, „da ist viel zu viel rund herum, was kaputt gehen würde. Das muss man abtragen.“
„Ich würde mich morgen gern mit einem Experten darüber unterhalten“, erwiderte Lenz. „Ich nehme ja an, dass du damit noch keine Erfahrung gemacht hast. Kannst du mir eine entsprechende Firma nennen oder mir sagen, wo man solche Sprengstoffe beziehen kann?“
Vogel glaubte nicht an eine Sprengung, er nannte Lenz eine Adresse und erläuterte ihm die verschiedenen Sprengstoffe für unterschiedliche Anforderungen. Er würde die Sache aber einem Abrissunternehmen übertragen – die seien die Profis.
Zeven, Samstag 03. Mai 2008, 11.00 Uhr
Lenz und Kovacic trafen sich am nächsten Tag um elf Uhr in einem Gasthaus in Zeven zwischen Hamburg und Bremen. Lenz hatte diesen Termin gemacht. Er wollte nichts am Telefon herauslassen, lieber wollte er es mit Kovacic unter vier Augen besprechen.
„Hallo Mirko, schön, dass du kommen konntest.“
„Jetzt bin ich aber gespannt, worum es geht. Das klang sehr konspirativ, was du vorhast“, antwortete Kovacic.
Sie bestellten sich zwei Cappuccino. Lenz wartete, bis die Kellnerin gegangen war.
„Wir haben uns in den vergangenen Wochen sehr bemüht, eine Bank zu finden und uns nach Partnern für ein Konsortium umgesehen. Leider alles vergeblich.“
„Du willst doch nicht etwa hinwerfen“, unterbrach ihn Kovacic.
„Nein, im Gegenteil.“
„Jetzt mach’s nicht so geheimnisvoll.“
Lenz legte sich die Worte zurecht: „Ich weiß nicht recht, wie ich beginnen soll ...“
„Das klingt ja, als ob du etwas Verbotenes vorhast“, sagte Kovacic lachend.
Lenz sah sich im Raum um. Dann blickte er auf seine Hände, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte und schließlich sah er Kovacic direkt in die Augen.
„Das ist nicht ganz falsch“, meinte Lenz schließlich.
„Ich hatte auch schon an einen Bankraub gedacht oder an einen Überfall auf Geldtransporter.“
„Wirklich?“, fragte Lenz.
„Ja, wirklich“, Kovacic schien erstaunt zu sein, dass etwas Ähnliches anscheinend auch in Lenz vorging.
„Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“, wollte Lenz wissen.
„Zu keinem“, Kovacic sah ihm forschend in die Augen. „Bist du konkreter in deinen Gedanken geworden?“
„Konkreter?“, Lenz überlegte, „so kann man das nicht nennen. Ich hatte mich einfach mordsmäßig darüber geärgert, dass wir nicht weiterkommen. Und da hatte ich erst nur so eine Schnapsidee – ein Bankraub oder etwas Ähnliches.“
„Und?“
„Was holt man aus einer Bank raus? Fünftausend, fünfzigtausend, fünfhunderttausend? Hilft uns das?“
„Das hatte ich auch gedacht“, meinte Kovacic.
Der Cappuccino wurde gebracht – wieder warteten sie ab, bis die Kellnerin ging.
„Deswegen hatte ich an einen Geldtransporter gedacht – da können schon mal zwei oder drei Millionen drin sein“, fuhr Kovacic fort.
„Und? Bringt uns das weiter?“
„Nicht? Zwei Millionen Eigenkapital – da redet eine Bank schon ganz anders mit uns.“
„Schon möglich. Das sollte allerdings jeder von uns einzahlen“, antwortete Lenz.
„Hast du darüber schon mit deinem Kompagnon geredet?“
„Mit Vogel? Nee, der macht sich doch sofort in die Hose“, erwiderte Lenz. „Mit dem rede ich, wenn wir uns einig sind.“
Kovacic beugte sich vor und fragte leise, ob Lenz das wirklich durchziehen wolle. Lenz zuckte geheimnisvoll mit den Schultern.
„Würdest du mitmachen?“
Kovacic pustete die Luft mit einem Stoß aus und sah Lenz an.
„Du bist ja ein abgebrühter Hund“, meinte er.
„Bedeutet das jetzt ja oder nein?“
Kovacic drehte die Tasse zwischen den Fingern. Er dachte nach.
„Wenn du das durchziehst, bin ich dabei“, sagte er schließlich.
Lenz beugte sich vor: „Um jeden Preis?“
„Was heißt das?“
„Auch wenn bei der Sache jemand zu Schaden kommt?“, wollte Lenz wissen.
„Verletzte?“
Lenz machte eine vieldeutige Augenbewegung.
„Tote?“, fragte Kovacic flüsternd.
Lenz machte eine vage Bewegung mit Kopf und Schultern.
„Was hast du vor?“
Lenz trank seinen Cappuccino in einem Zug leer. Er gab der Kellnerin ein Zeichen und bestellte noch zwei.
„Wenn wir zu zögerlich sind, kommt nichts dabei heraus. Wenn wir eine ordentliche Summe kassieren wollen, müssen wir hart sein.“ Lenz sah Kovacic fest in die Augen. „Wenn wir von vornherein zeigen, dass wir es ernst meinen, dann ist der Erfolg garantiert.“
„Wenn ich dich jetzt richtig interpretiere, denkst du an keinen gewöhnlichen Bankraub und auch an keinen Geldtransporter, oder?“
„Es sei denn, du kennst eine Bank, bei der wir vierzig oder fünfzig Millionen holen können.“
„Fünfzig Millionen?“ Kovacic sah ihn verblüfft an: „Dann brauchen wir den Auftrag in Hamburg nicht mehr.“
„Weiß nicht. Je nachdem, ob wir danach eine bürgerliche Existenz weiterführen wollen oder nicht.“
„Ach so“, Kovacic trommelte mit den Fingern seiner rechten Hand auf den Tisch – er war sehr angespannt. „Und wenn man uns schnappt?“
„Wir müssen dafür sorgen, dass das nicht passiert.“
„Du hast einen konkreten Plan, oder?“
„Ja“, antwortete Lenz knapp.
„Also, ich höre.“
„Ich will dich nur ungern gleich damit überfallen. Ich hatte mir überlegt, dass du eventuell erst mal nach Bremen zurückfährst und darüber Klarheit gewinnst, ob du eine Karriere als Schwerverbrecher starten willst. Und ob du bereit wärst, wirklich knallhart vorzugehen.“
Lenz sah ihn eindringlich an. Er versuchte, in seinen Augen zu lesen. Die Kellnerin brachte die Cappuccinos.
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