Peter Gnas - Schlussstein

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Rotberg sah auf in den blauen Himmel, an dem kaum eine Wolke zu sehen war. Die Sonne schien auf die verletzte Stadt herab. Dann glitt sein Blick nachdenklich über die Fassade des altehrwürdigen Rathauses.
"Sieh dir mal die Bögen der Arkaden an. Sie sind gemauert. Es gibt antike Rundbögen, die tragen sich vollkommen ohne Mörtel. Die Last des eigenen Gewichts hält sie stabil. Ganz oben in der Mitte sitzt der Schlussstein. Hier hat er die Form eines Kopfes, innen in den Arkaden ist es ein einfacher Ziegelstein."
Sabrina Hamm folgte seinem Blick, sie hatte sich die Details dieses Bauwerks noch nie so genau angesehen.
"Die Baumeister haben das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben und verfeinert. Die Gebäude sind quasi ein Abbild der sich entwickelnden Gesellschaft. Es gab immer wieder Rückschläge durch barbarische Zeiten und Herrscher – im Ganzen betrachtet, hat das Positive sich aber stets weiterentwickelt."
Rotberg dachte einen Moment nach. Sabrina Hamm mochte ihn nicht unterbrechen.
"Dieses schöne Rathaus ist ein Symbol für das, was gewachsen ist. Bremen als freie selbstständige Stadt. Nur in Freiheit kann eine Gesellschaft etwas so Schönes hervorbringen. Jede Begrenzung durch totalitäre Systeme bedeutet nicht nur Stillstand, sondern Rückschritt. Dein schönes Mobiltelefon zum Beispiel – es kann nur in einem Kopf entstehen, der frei ist. In einem Kopf, der sich darauf verlässt, dass die Gesellschaft ihn braucht, ihn trägt und fördert. Das ist wie mit diesem Bogen: Er trägt das, was über ihm ist und hält das zusammen, was unter ihm ist."
In Bremen gab es eine Explosion in einem Kindergarten. Die Stadt ist geschockt über viele verletzte und getötete Kinder. Kriminalhauptkommissar Sebastian Rotberg und sein Team beginnen mit den Ermittlungen zu dem Unglück. Alle Hinweise auf Schuldige laufen jedoch ins Leere bis ein für das Geschehen Verantwortlicher einen Fehler begeht. Spuren führen von Bremen nach Hamburg und ins Ausland.

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Schlussstein

Kriminalroman von Peter Gnas

Peter M. Gnas ist 1955 in Bremen geboren und hat dort Kunst studiert. Seit Jahrzehnten arbeitet er selbstständig als Grafik-Designer und Texter in Stuttgart. Kreativität in Wort und Bild tragen ihn durch sein gesamtes Leben. Neben der zielgerichteten schöpferischen Tätigkeit im Marketing arbeitet er frei künstlerisch in Wort und Bild. Der Kriminalroman „SchlussStein“ ist seine erste größere literarische Arbeit.

Impressum

Deutsche Erstveröffentlichung

© 2016 by Peter M. Gnas

Herstellung und Verlag: Peter M. Gnas

Umschlaggestaltung: Die Zeitgenossen GmbH, Stuttgart

Umschlagfotos: bb-doll (iStock) und 3D-Agentur (depositphotos)

Bremen, Montag 09. Februar 2009, 07.35 Uhr

“Was ist passiert? Oh Gott, was ist da los?“

Rose Stein, die Leiterin der Kindertagesstätte im Erdbeerweg in Bremen, war nach einem gewaltigen Knall aus dem Büro gestürmt. Von dem Gang, der zu den Gruppenräumen führte, standen nur die letzten vier Meter vor ihrem Zimmer – dahinter lagen Trümmer. Es brannte, jemand schrie, Kinder kreischten und weinten. Rose Stein lief dorthin, wo noch vor wenigen Augenblicken ihre Schützlinge spielten. Sie sah in die Augen von Jessica Molln, Erzieherin in der Gruppe Blau.

„Was ist passiert, Jessica?“

Sie schaute entsetzt ins Leere.

„Bitte kümmere dich um die Kleinen, ich rufe die Feuerwehr!“

Sie reagierte nicht. Sie drückte die Finger gegen die Ohren und machte Bewegungen als bohre sie darin. Rose Stein rannte in ihr Büro, sie griff zum Telefon: „Eins, eins, zwo!“ sprach sie beim Tippen der Nummer. Kein Ton „Mist, null vorwählen“, fluchte sie. Wieder nichts. Sie warf den schnurlosen Hörer auf den Schreibtisch und kramte in der Handtasche nach dem Mobiltelefon. „Eins, eins, zwo!“ Musste man die Ortsvorwahl wählen, überlegte sie, während sie lauschte. Ein Freizeichen – noch eines.

„Feuerwehr Bremen, Notrufzentrale“, meldete sich eine sachliche Männerstimme.

Rose Stein berichtete, was in den letzten zwei Minuten geschehen war. Nach dem Auflegen stürmte sie in die zerstörte Küche, die neben dem Büro von dem verbliebenen Flur abging. Niemand war zu sehen.

„Frau Specht? Frau Bülow?“ Keiner da. Sie eilte dorthin, wo sie versucht hatte mit Jessica Molln zu sprechen. Die stand wenige Meter entfernt. Sie hatte die Hände in einer Geste des Entsetzens vor Mund und Nase gefaltet. Jessica Molln war erstarrt – Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Von weitem hörte man Martinshörner, es mussten dutzende sein. Anwohner kamen. Einige standen wie gebannt, andere begleiteten die Kinder aus den Trümmern. Nachbarn des Kindergartens nahmen die Kleinen in Empfang und brachten sie in das Haus auf der gegenüberliegenden Seite der Anliegerstraße. Sämtliche Scheiben des Gebäudes waren zerborsten, im Vorgarten lagen Trümmerstücke. An mehreren Stellen war der Putz zerstört. Es sah aus wie nach einem Angriff in den Kampfgebieten dieser Welt.

Bremen, Montag 09. Februar 2009, 07.50 Uhr

Sebastian Rotberg, Erster Kriminalhauptkommissar aus der Polizeizentrale Bremen Vahr, war von der Notrufzentrale benachrichtigt worden. Rotberg deutete seiner Kollegin Sabrina Hamm mit einer Geste an, dass sie ihn begleiten solle. Während beide zu dem Einsatzwagen eilten, zogen Sie Ihre Jacken an.

„Was ist passiert?“, wollte sie wissen.

„Es gab eine Gasexplosion in einem Kindergarten im Erdbeerweg. Weißt du, wo der ist?“

Sabrina Hamm zuckte die Schultern. Im Auto angekommen fragten sie über Funk nach dem Weg.

Rotberg und Sabrina Hamm arbeiteten seit zwei Jahren zusammen. In den ersten Monaten hatte Rotberg Probleme damit, dass man seiner Abteilung noch eine Frau zugeteilt hatte. Er hatte gehofft, einen männlichen Mitarbeiter zu bekommen. Immer wieder versuchte er, sie bei der Verteilung wichtiger Aufgaben zu übergehen und ihr untergeordnete Arbeiten zu übertragen. Es hatte ihn insgeheim geärgert, dass sie keine Fehler machte und alles ohne Murren über sich ergehen ließ.

Die Kollegen sprachen ihn nach einigen Wochen an, dass er die feinen Spitzen ihr gegenüber lassen solle, das würde nur Ärger geben. Rotberg zürnte mit sich selbst, dass er sich anstellte wie ein Trottel. Jeder hatte es bemerkt.

Eines Abends klopfte sie an den Türrahmen von Rotbergs Büro, das die meistens offen stand. Er schaute auf.

„Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich?“, fragte Sabrina Hamm vorsichtig.

Jetzt bloß nichts anmerken lassen und keine Macho-Allüren, dachte er und sah sie über die Lesebrille hinweg an.

„Ich wollte gern mit Ihnen sprechen“, sagte sie. Rotberg deutete mit einer jovialen Geste auf einen der beiden Stühle, die am kreisförmigen Teil des Schreibtisches standen. Er war bei der Arbeit sehr genau, sah man jedoch den Arbeitsplatz an, konnte man leicht den gegenteiligen Eindruck gewinnen. Er rollte mit dem Sessel an den Besprechungstisch und legte die Aktenstapel auf den Boden, die sich vor Sabrina Hamm auftürmten.

„Was kann ich für Sie tun, Frau Hamm?“

Jeden in der Abteilung redete er mit dem Vornamen an, alle duzten einander – sie sprach er weiterhin mit Frau Hamm an. Kein Wunder, dass es auffiel, dass er Probleme mit ihr hatte.

Sie sah einige Augenblicke auf einen unbestimmten Punkt auf dem Tisch. Sie wirkte nervös, das nahm er wahr. Er merkte einem Gegenüber alles an. Ihn zu belügen war ausgeschlossen. Deshalb ahnte er, was gleich zur Sprache kommen würde.

„Herr Rotberg“, sie suchte nach den passenden Worten, „Sie trauen mir wenig zu, oder?“

„Wie kommen Sie den darauf?“ Ihm wurde unbehaglich.

Jetzt nur nicht unsicher oder rot werden. Früher errötete er leicht, das hatte im Laufe der Jahre mehr und mehr nachgelassen.

„Verstehen Sie mich bitte richtig, ich tue meine Arbeit im Team ausgesprochen gern. Ich versuche alles gründlich und schnell zu erledigen. Ich hoffe, Ihnen ist das nicht entgangen.“

„Nein, natürlich nicht.“

“Die Aufgaben im Innendienst sind sehr interessant – die Routinearbeiten eher eintönig. Jeder in der Abteilung erledigt solche Dinge. Ich bin leider diejenige, die nie draußen ist – an den Tatorten.“

Sie strich mit Daumen und Zeigefinger zweimal über den Naserücken. Das tat sie immer, wenn sie unsicher war. Sie hatte diese Geste bei vielen Menschen beobachtet. Andere rieben sich ein Auge.

Rotberg rieb sich ein Auge und starrte ins Leere. Er hatte sie von Anfang an gemocht. Schon bei der Auswahl der Kandidaten auf die Stelle war sie ihm sofort aufgefallen. Sie war nicht schön im eigentlichen Sinn. Die klugen, dunklen Augen, ihre etwas zu große Nase, der geschwungene Mund, ihr kurz geschnittenes, schwarzbraunes Haar ihre sportliche Figur entsprachen eigentlich nicht dem, was ihm an Frauen gefiel. Und doch faszinierte sie ihn vom ersten Moment an. Sie hatte Vorfahren aus dem arabischen Raum. Konnte Hamm ein Name von dort sein? Er hatte keine Ahnung. Sollte er danach fragen? Nein, das würde wie ein Vorbehalt wirken. Später erfuhr er, dass die Mutter einen Mann aus dem Iran geheiratet hatte. Nach der Scheidung hatte sie dafür gesorgt, dass die Tochter ihren deutschen Mädchennamen erhielt.

Er hatte schon im Bewerbungsgespräch gespürt, dass Sabrina Hamm für ihn mehr Bedeutung bekommen könnte. Weil er kein Argument gegen die Einstellung in sein Team fand, gab er sich jovial und enthielt sich der Stimme. Natürlich sprangen alle jungen Kollegen sofort auf sie an. Es störte ihn – und er ärgerte sich darüber, dass es ihn störte. Deshalb hatte er ständig versucht räumlichen Abstand zu ihr zu halten.

Jetzt, da sie ihm gegenübersaß, spürte er, wie seine Burgmauern Risse bekamen. Er mochte sie – er hatte sie vom ersten Moment an gemocht.

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