An so einem Punkt, orientierte er sich für gewöhnlich neu. Oder er versuchte, dem Sex neue Würze zu geben, wie er es nannte. In so einem Fall überredete er die Frauen, mit ihm in einen Swingerclub zu gehen. Der beste in der Umgebung hieß Surprise. Teuer – dafür gab es dort aber weniger Spießer.
Ariane Zender hatte es zunächst abgelehnt. Er hatte ihr gesagt, dass sie es nicht mit Anderen treiben müsse. Es würde ihn einfach geil machen, wenn man ihm zusah, während sie es miteinander trieben. Wenn er es mit einer mitgebrachten Partnerin tat, hatte er es gern, von den Umstehenden angefasst zu werden. Es gab auch Männer, die Verlangen auf seinen Hintern hatten. Solange es nur ums Antatschen ging, kam er damit klar.
Ariane Zender kam zwar mit, der öffentliche Sex gefiel ihr allerdings weniger. Es gab im Club zu viele Kerle, die ihr missfielen. Ehe Lenz von ihr verlangte, sich womöglich einem übergewichtigen Typen hinzugeben, wollte sie verschwinden. Sie bestellte ein Taxi und war weg, ehe er es begriff. Er war stinksauer, ließ es sich im Club aber nicht anmerken. Scheiß auf die blöde Kuh, dachte er und suchte Befriedigung mit den Frauen der anderen. Nach dem Duschen ging er an die Bar.
Lenz war im Club gut bekannt. Er kam selten, aber regelmäßig. Mal mit einer Begleitung, die er kannte, ein anderes Mal mit einer Nutte. Ein gern gesehener Kunde im Surprise. Die Besitzer bemerkten, dass die Frauen der Gäste ihn begehrten – ein Segen für ihr Geschäft, wenn auch die weiblichen Gäste mit Vergnügen wiederkamen.
An der Bar saß ein Mann, den er hier noch nie wahrgenommen hatte. Lenz nahm sein Bier und stieß mit ihm an.
„Joachim“, sagte er.
„Jonathan“, antwortete der, „Jonathan Vogel.“
„Nachnamen sind an so einem Ort eigentlich unüblich“, meinte Lenz „aber von mir aus – Joachim Lenz.“
Beide tranken einen großen Schluck Pils. „Machst du uns noch zwei“, Lenz hielt sein Glas hoch. „Bist du allein hier oder mit einer Frau?“
„Mit ’ner Frau. Ist aber ’ne Nutte.“
„Das mach’ ich auch gelegentlich. Warst du schon mal im Surprise?“
Vogel verneinte. Er erzählte, dass er gerade geschieden worden sei. Zuviel gearbeitet, zu wenig Zeit für die Familie. Er hatte seine Frau einmal gefragt, ob sie nicht Lust hätte zur Auffrischung ihrer Ehe in einen Club zu gehen. Sie hatte das entschieden abgelehnt. Dann sei er mal im Puff gewesen, seine Alte bekam es raus. Von da an sei es nur noch bergab gegangen mit der Ehe. Heute habe er beschlossen, eine Prostituierte zu bezahlen, um mit ihr einen Swingerclub auszuprobieren. Die Frau hätte ihm diesen vorgeschlagen. Sie sei mittlerweile gefahren – er wolle nur noch einen Absacker trinken.
„Das passt ja“, meinte Lenz, „meine ist auch gerade weggefahren.“
„’ne Nutte?“
„Ne, heute nicht. Die ist ‘n bisschen verklemmt, sie ist geflüchtet.“
Sie stießen mit dem frisch gezapften Pils an und unterhielten sich über den Club. Lenz erzählte von einigen Spielvarianten, die hier geboten wurden. Vogel war eher gehemmt. Er wollte dies hier mal erleben, hatte aber gemerkt, dass er vor anderen Menschen blockiert war. So offen wie Lenz konnte er sich nicht geben.
„Was tust du, wenn du dich nicht in Swingerclubs aufhälst“, wollte Vogel wissen.
„Ich bin in der Baubranche. Ich bin Bauingenieur und arbeite in einem Hamburger Unternehmen, das auf technische Gebäudeausrüstung spezialisiert ist.“
„Echt?“, fragte Vogel. „Bei Schell?“
„Kommst du aus der Branche?“ Lenz war überrascht.
„Ich habe ein Bauunternehmen, draußen in Langenhorn.“
„Wie heißt deine Firma? Vogel?“
„Ja, Vogel und Söhne.“
„Wie viele Söhne hast du?“
„Zwei, aber noch kleine. Ich bin der Sohn. Ich habe den Laden von meinem Vadder übernommen.“
Er sagte Vadder, Lenz nahm an, dass er in Hamburg aufgewachsen war. Ihm fiel auch auf, dass er nicht sonderlich klug sein konnte. Wahrscheinlich Maurer, höchstens Maurermeister, dann in Vaters Geschäft eingestiegen und es mehr oder weniger erfolgreich weitergeführt.
Vogel fühlte sich jetzt auf sicherem Terrain. Er bestellte weiteres Bier und erzählte von schwierigen Zeiten für seine Firma und von der schlechten Zahlungsmoral der Kunden. Er berichtete, dass er im vergangenen Frühjahr Glück hatte und den Zuschlag als Generalunternehmer für den Bau eines Zehnfamilienhauses in Hamburg-Volksdorf bekommen habe. Eigentlich sei er nur Rohbau-Unternehmer und hatte gedacht, dass er mit solch einem Projekt vielleicht in die nächste Liga im Baugeschäft aufsteigen könne.
„Und“, fragte Lenz, „ist es schiefgegangen?“
„Nein, im Prinzip nicht.“
Vogel erzählte, dass er mittlerweile den Rohbau und einige weiterführende Arbeiten erledigt hatte. Im Bereich Rohbau sei er routiniert. Der Auftraggeber, ein Bauträger aus Hamburg-Winterhude, habe jedoch ein paar kleinere Mängel, die längst behoben seien, zum Anlass genommen, die nächste Rate nicht zu begleichen. Das seien immerhin hundertfünfundzwanzigtausend Euro. Er brauche das Geld dringend um seine Leute und die Lieferanten zu bezahlen. Außerdem sollten bald die Fenster eingesetzt werden, damit er über den Winter innen weitermachen konnte. Wenn die fällige Zahlung ausbliebe, käme er in Schwierigkeiten.
„Deine Bank gibt dir keinen Kredit? Du hast doch den Auftrag.“
„Ne, da bin ich am Limit. Das Einzige, worauf die sich einließen, wenn ich das Firmengebäude als Sicherheit anbiete.“
„Mach‘ das doch, das ist kein Risiko mit deinem Projekt.“
„Ne, da spielt mein Vadder nicht mit. Er hat zeitlebens das Wohnrecht.“
„Verstehe.“
Beide schauten eine Weile vor sich hin. Lenz dachte nach. Er erzählte Vogel, dass er gewohnt sei, solche Vorgänge zu handhaben. Auch Schell Facility hielte gelegentlich Teilzahlungen zurück. Das seien aber vergleichsweise kleine Teilbeträge und nicht ganze Zahlungsabschnitte. Es wäre ja niemandem gedient, wenn der Generalunternehmer pleiteginge. Auch der Bauträger würde sein volles Geld erst bekommen, wenn das Haus fertig ist.
„Ich hatte bei dem gleich ein blödes Gefühl“, meinte Vogel, „das ist ein Libanese, der vor zwanzig Jahren nach Deutschland kam. Der ist in Beirut beim Aufbau zerstörter Bürgerkriegsruinen zu viel Geld gekommen. Er hatte mit seinem guten Aussehen eine jüngere deutsche Frau kennengelernt und sie geheiratet. Seitdem darf er hier leben und arbeiten. Er hat sich sofort selbstständig gemacht. Ich komme mit dieser orientalischen Mentalität einfach nicht klar“, schloss Vogel.
„Ich kenne die Mentalität ganz gut“, antwortete Lenz, „ich bin immer wieder da unten.“
Er erzählte, dass Schell ihn vor seinen ersten Aufenthalten in den Emiraten auf ein Seminar geschickt habe. Dort konnte er sich auf den richtigen Umgang im arabischen Raum vorbereiten. Das sei extrem hilfreich gewesen und hatte ihn vor vielen Fehlern bewahrt. Er könne Vogel ein paar Tipps geben.
„Dafür ist es schon fast zu spät, Sama Baukonzept und ich können nicht mehr vernünftig miteinander sprechen.“
„Das glaube ich nicht“, entgegnete Lenz, „soll ich dir behilflich sein?“
Sie gingen einige Optionen durch und verständigten sich darauf, dass Vogel und Lenz Sama einen gemeinsamen Besuch abstatten würden. Lenz wolle sich als neuer Mitarbeiter Vogels vorstellen und versuchen, ob man die Dinge mit einem vernünftigen Gespräch beilegen könne. Lenz suchte Herausforderungen. Vogel und Söhne war zwar kaum vergleichbar mit seiner Tätigkeit bei Schell Facility – aber es war ein neuer Kick. Wer weiß, wo es hinführen würde.
Hamburg, Dienstag 4. September 2007
Lenz hatte sich über Ariane Zender geärgert. Im Prinzip hatte er aber sowieso keine große Lust mehr auf sie verspürt. Er war es gewohnt durch die Betten Hamburgs zu streifen, deshalb hinterließ er in den Wohnungen der Frauen nur die Dinge, die er am Morgen vergessen hatte mitzunehmen. Eine Zahnbürste oder eine Packung Präservative. Lenz meldete sich einfach nicht wieder bei ihr. Ariane Zender war abgehakt.
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