1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 „Sie waren vielleicht zuerst auf dem Mond, aber den Mars schnappen sie uns nicht weg.“, unterstützt ihn Olaf kämpferisch.
Nach einer kurzen Bedenkpause fällt Barbara Kästner ihr abschließendes Urteil. „Ich finde den Namen gut gewählt. Also gut. Wir werden die AG Popmusik einrichten. Für die Proben könnt ihr den Musikraum nutzen. Aber ich habe zwei Bedingungen!“ Sie hebt ihre rechte Hand und präsentiert uns Zeige- und Mittelfinger.
„Erstens.“, jetzt biegt sie den Mittelfinger herunter, „werdet ihr den Raum und die Instrumente pfleglich behandeln.“
Wir nicken unisono. „Das ist doch selbstverständlich.“, stimmt ihr Robert in jovialem Tonfall zu.
Frau Kästner bedenkt ihn mit einem abschätzigen Blick, dann klappt sie auch den Zeigefinger ein. „Und zweitens werdet ihr euch an die Unterhaltungsmusikvorgaben in unserer Republik halten: Maximal 40 Prozent nichtsozialistische Musik.“, ermahnt sie uns mit erhobenem Zeigefinger.
Wir nicken artig und schauen uns zweifelnd an. „Am schönsten wäre es natürlich, Sie hätten bis zur Weihnachtsfeier auch ein paar eigene Lieder auf Lager.“
„Mars?“, bricht es aus Robert heraus, als wir im leeren Schulflur stehen.
„Ja, und?“, fragt Sirko seelenruhig.
„Was ist denn das für ein Scheißbandname?“, regt sich Robert auf.
„Wieso? Er ist perfekt!“, springt Olaf Sirko zur Seite.
„Kampf um den Weltraum.“ Robert tippt sich mit dem Finger gegen die Stirn. „Was blöderes ist euch wohl nicht eingefallen?“
„Entspann dich mal!“, fällt ihm Sirko ins Wort. „Sie hat es doch geschluckt, oder?“
„Toll!“, erwidert Robert zynisch. „Sollen wir dann Weltraummetal spielen?“
„Jetzt denk doch mal nach, Klatsche!“ Immer, wenn Olaf unsere Spitznamen benutzt, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass er langsam böse wird. „Den Namen gibt es im Deutschen und im Englischen. Hier ecken wir damit nirgends an und wenn wir mal Fans auf der ganzen Welt haben, müssen wir uns nicht umbenennen.“
„Und Mars war der Kriegsgott der alten Römer.“, legt Sirko nach. „Wenn das mal kein geiler Name für eine Heavy Metal-Band ist, weiß ich auch nicht mehr.“
Robert brummt etwas Unverständliches, aber ich spüre, dass sein Widerstand bröckelt. Das Kriegsgottargument hat auch mich restlos überzeugt. „Und was soll dieser Scheiß mit der Weihnachtsfeier? Wir wollen doch nicht ernsthaft auf einer FDJ-Fete unser erstes Konzert geben, oder?“, nörgelt er weiter herum.
„Wer A sagt, muss auch B sagen.“, kalauere ich ihm ins Ohr. „Am besten, du lernst mal ganz schnell Bass spielen.“, gebe ich ihm einen freundschaftlichen Rat und klopfe ihm sanft mit der Hand auf die Schulter.
Er dreht sich weg und stiefelt aggressiv auf die Tür unseres Klassenraumes zu. Ich höre ihn irgendetwas in Richtung „... blöd, Mann.“, murmeln, beschließe aber, lieber nicht nachzufragen.
Denim and Leather - Saxon
Etwas verloren stehen wir auf dem Schulhof herum und schauen den anderen Schülern aller Altersstufen zu, wie sie durch die Breche in der flachen Mauer, die unsere Schule umgibt, dem wohlverdienten Feierabend entgegen eilen. Die Schule ist auch für uns vorbei, aber aus unerfreulichem Anlass müssen wir heute länger bleiben.
„Schau mal! Da kommt Jana.“, unkt Robert und boxt mich mit einem hämischen Grinsen in die Schulter.
Ich wage einen verstohlenen Blick zum Tor hinüber. Die strahlende Nachmittagssonne lässt ihre roten Haare überirdisch glänzen, die modische Kunstlederjacke mit den Schulterpolstern unterstreicht ihre Wespentaille vorteilhaft und selbst die albernen Karottenjeans, natürlich aus Westproduktion, können ihrem elfengleichen Äußeren nichts anhaben. Die Grazie, mit der sie sich durch die Haare streicht, bringt mein Herz für einen Moment beinahe zum Aussetzen.
„Das ist ja nicht mit anzusehen.“, höre ich Roberts Stimme wie aus weiter Ferne. „Gleich fängt er an zu sabbern.“
In diesem Moment fährt ein Motorrad vor und hält neben Jana Gebauer. Sie schnappt sich den ihr dargebotenen Helm, stülpt ihn über den Kopf und hebt in einer vollendeten Bewegung ihr linkes Bein über den Motorradsattel. Ihre Arme umschlingen den Oberkörper des Motorradfahrers, dessen Gesicht durch das Visier des Integralhelms verdeckt wird und fort sind sie mit lautem Geknatter.
„Mann, das war eine 250er.“, höre ich Olaf stöhnen.
„Der Typ ist mindestens 18.“, stellt Sirko nüchtern fest.
„Das ist eine harte Nuss.“, kommentiert Olaf.
„Auf jeden Fall ist es nicht Falk.“, versucht Robert mich aufzumuntern, was ihm aber nur ansatzweise gelingt. Zu tief sitzt der Schock, meine Angebetete mit einer solchen Konkurrenz abzwitschern zu sehen.
„Etwas Gutes hat die Situation aber auch.“, analysiert Sirko pragmatisch. „Er muss bald zur Fahne, dann ist der Weg für Tilo frei.“
„Woher willst du das wissen?“, hakt Olaf skeptisch nach.
„Er wird nicht viel älter sein als 18, das heißt, er hat die Armeezeit noch vor sich.“, führt Sirko seine Überlegungen aus. „Und hast du schon mal von einer Beziehung gehört, die drei Jahre NVA überlebt hat?“
Stillschweigend muss ich ihm recht geben, aber Robert findet schon wieder ein Haar in der Suppe. „Dann sollte sich Tilo aber mal ranhalten. In zwei Jahren muss er auch ran. Je länger es mit Jana dauert, umso kürzer wird dann die Beziehungskiste.“
„Oder er wartet gleich bis nach der Fahne, dann können sie ein ganzes Leben gemeinsam planen.“, sülzt Olaf mit anzüglichem Grinsen herum.
„Ihr könnt mich mal.“, knurre ich und drehe mich weg, nur um genau in das sauertöpfige Gesicht meines kleinen Bruders zu blicken. Er stapft mit zwei Freunden grußlos an mir vorbei.
„Was ist denn los?“, rufe ich ihm zu. So kenne ich ihn gar nicht.
Es macht zunächst den Eindruck, als würde er mich tatsächlich ignorieren. Dann bleibt er doch noch stehen, dreht sich zu mir um, und schreit: „Was los ist? Nur weil du einen auf Rocker machen musst, kann ich jetzt mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Hast du dir mal überlegt, was dieses beschissene Elterngespräch für mich bedeutet? Und alle in der Klasse nennen mich den Bruder eines Klassenfeindes.“ Pikiert schaut er seine beiden Freunde an. „Naja, fast alle. Schöne Familie habe ich da.“ Wäre er etwas älter, würde er jetzt sicher zum Zeichen seiner Verachtung vor mir auf den Boden spucken. So belässt er es dabei, mir die Zunge herauszustrecken, dann dreht er sich um und zieht seine Kumpels vom Schulhof.
„Klassenfeind! Wir basteln schon an unserem Mythos, bevor wir überhaupt das erste Mal Musik gemacht haben.“, stellt Robert mit Genugtuung fest.
„Findet ihr aber nicht auch, dass die total übertreiben?“, meint Olaf mit ernster Miene. „Ich meine, wozu ein Elterngespräch, nur weil wir Klamotten tragen, die wir cool finden?“
„Weil sie nicht der Vorstellung der Partei entsprechen. Uniformität ist erwünscht, nicht Individualität.“, klärt uns Sirko auf.
„Geht es noch gebildeter?“ Robert guckt ihn scheel an.
Sirko zuckt die Schultern. „Wir sehen anders aus, als sie es wollen und darum halten sie uns für gefährlich.“
Ein begeisterter Glanz tritt in Roberts Augen. „Genau das ist Heavy Metal.“, ruft er und reckt die Faust in die Luft. „Leute, ich habe eine Idee.“
„Oha.“, entfährt es Olaf. Auch mir schwant nichts Gutes. In den letzten neun Jahren ist es selten vorgekommen, dass sich eine von Roberts Ideen als brauchbar erwiesen hat. Trotzdem sind wir immer wieder darauf eingestiegen.
„Wir schließen einen Pakt.“, breitet Robert seinen spontanten Plan vor uns aus. „Keiner schneidet sich mehr die Haare.“
Wir überlegen kurz, dann nicken Sirko, Olaf und ich einvernehmlich.
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