Das auf einem sanften Hügel in unmittelbarer Nähe der tyrrhenischen Küste gelegene und aus dicken Granitsteinen gebaute Haus hatte schon etliche Jahre auf dem Buckel. Außerdem stand es bereits seit längerer Zeit leer, was eine ganze Reihe zusätzlicher Renovierungsmaßnahmen notwendig machen würde.
Alexanders Großmutter hatte sich nämlich bereits im Alter von 75 Jahren in eine luxuriöse Seniorenanlage in der toskanischen Stadt Siena zurückgezogen. Und dort holte sich Alex bei seiner Fahrt in den Süden am Freitagmorgen seiner zweitägigen Anreise den Schlüssel zu ihrem ehemaligen Heim persönlich ab, nachdem er wegen der langen Wegstrecke am Abend zuvor in Bologna übernachtet hatte.
„Ich komme dich bald mal besuchen, ragazzo mio“, hatte die mit ihren 80 Jahren noch äußerst rüstige und für ihr Alter noch immer ausgesprochen hübsche Maria de Angelis gesagt, als ihr einziger Enkel sie am Freitagmittag zur Weiterfahrt in die Gemeinde Punta Ala verlassen wollte.
„Deine Mama Julia hat mich schon vor Wochen darüber informiert, warum du deinen Lebensmittelpunkt nach Italien verlegen willst. Und ehrlich gesagt – ich finde deine Entscheidung nach all den schlimmen Ereignissen, die du in letzter Zeit verarbeiten musstest, absolut richtig, Alessandro.“ Wobei sie ihn, wie schon in seiner Jugend, mit der italienischen Variante seines Vornamens anredete, der zudem auch der Vorname ihres verstorbenen Mannes gewesen war.
„Als Halbitaliener wirst schon bald merken, wie schön es an unserer toskanischen Küste ist. Dort kannst du dich mal richtig erholen und dir später notfalls auch eine neue Beschäftigung suchen. Obwohl du das ja aufgrund deines dicken Geldbeutels eigentlich gar nicht mehr nötig hast.
Und hübsche Mädchen gibt’s da unten ebenfalls zur Genüge. Vergrab dich also nach deinen bedauernswerten Erfahrungen mit deiner früheren Ehefrau nicht zu lange in meinem alten Landhaus, sondern geh‘ unter die Leute.“
„Den Ratschlag nehme ich gerne an, liebste Nonna. Aber zuerst mal muss ich mich um die Renovierung deines ehemaligen Anwesens kümmern. Und wenn ich damit fertig bin, hole ich dich hier ab und zeige dir, was bei meiner Modernisierung herausgekommen ist.“
„Natürlich, mein Schatz. Darum will ich dich auch gebeten haben. Ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch. Hier hast du die Hausschlüssel und das ist die Besitzurkunde für dich, die ich erst neulich von meinem Notar habe ausfertigen lassen.“
„Besitzurkunde?“, fragte Alexander Hofmann überrascht, als seine Oma ihm feierlich ein amtlich aussehendes Dokument überreichte.
„Ja, was hast du denn gedacht. Du hast zwar neben der deutschen, auch die italienische Staatsbürgerschaft und sprichst unsere Sprache perfekt. Aber das alleine reicht nicht, wenn du bauliche Veränderungen am Haus vornehmen willst.
Denn die musst du bei uns in Italien schließlich von der örtlichen Bauverwaltung genehmigen lassen. Und ohne, dass du der Besitzer des Anwesens bist, läuft da rein gar nichts. Außerdem wirst du mein Landhaus ja ohnehin mal erben. Daher können wir das Ganze auch ein wenig vorziehen.“
„Danke, Nonna. Vielen, vielen Dank. Das ist eine wunderbare Überraschung. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Versprich mir aber bitte, dass du mich anrufst, wenn du wegen irgendetwas meine Hilfe brauchst. Immerhin sind es ja nur gut 130 Kilometer bis zu dir nach Siena. Und die schafft mein alter BMW locker in anderthalb Stunden.“
„Einverstanden, Alessandro. Wir telefonieren aber hoffentlich auch dann mal miteinander, wenn mir nichts fehlt. Schließlich will ich wissen, wie es mit deiner Renovierung vorangeht.“
„Aber sicher, Nonna. So machen wir das. Du hörst an den Wochenenden regelmäßig von mir. Versprochen. Ich freue mich schon auf unser erstes Telefonat. Nur muss ich wahrscheinlich die Telefonanlage erstmal wieder anschließen und ein bisschen umbauen.
Wie du dir sicher vorstellen kannst, brauche ich auch in Punta Ala schon allein aus Informationsgründen einen schnellen Internetanschluss, auch wenn ich erstmal nicht mehr aktiv in dieser Branche arbeiten möchte.“
„Hast du – außer den bevorstehenden handwerklichen Arbeiten am Haus – sonst noch eine Idee, mit was du dir in Zukunft die Zeit vertreiben willst?“
„Noch nicht so wirklich, Nonna – aber da werde ich bestimmt was Passendes finden. Vielleicht schreibe ich ja ein paar Ratgeber für Computerbenutzer. Es gibt auf diesem Sektor ja mehr Laien, als Fachleute.
Und wenn ich dich das nächste Mal besuche, habe ich auch für dich ein Geschenk dabei, damit wir uns künftig beim Telefonieren gleichzeitig auch sehen können.
Keine Angst, was du zu dieser Face Time genannten Technik wissen musst, ist ziemlich einfach zu begreifen. Und da du noch immer so neugierig bist, wie ehedem, wird dir das auch nicht schwerfallen.“
„Naja, wir werden sehen, mein Schatz. Aber jetzt schau zu, dass du aufbrichst, damit du dein neues Heim noch bei Tageslicht erreichst.“
„Das mache ich, Nonna. Und nochmals vielen Dank. Du bist und bleibst die beste Nonna der Welt.“ „Und du mein Lieblingsenkel. Was dir ja auch nicht schwerfällt, weil du schließlich mein einziger Enkel bist.“
Gleich darauf umarmte und küsste Alessandro Hofmann seine Großmutter noch einmal zum Abschied und machte sich danach auf den Weg nach Punta Ala, wo er trotz des anhaltend starken Urlauberverkehrs voraussichtlich gegen 16:00 Uhr an diesem Freitagnachmittag eintreffen würde.
Wobei er auf dem letzten Stück der Fahrt entlang der Küstenstraße eine Weile lang darüber nachdachte, ob er als Halbitaliener an seinem neuen Wohnort künftig von Vorneherein besser seinen italienischen Vornamen benutzen sollte.
Kapitel 7 Die wunderbare Elena Rossi
Nachdem Alexander Hofmann die ihm von früheren Urlauben gut bekannte Gemeinde Punta Ala über die Landstraße entlang der Küste am Nachmittag des 28. Juli 2017 erreichte, fuhr er sogleich die von alten Pinienbäumen gesäumte Bergstraße zu dem etwas abseits gelegenen Landhaus seiner Großmutter hinauf.
Als er in die von blühenden Oleander- und Lavendelbüschen gesäumte Einfahrt seines künftigen Domizils einbiegen wollte, bemerkte er jedoch einen älteren roten Pickup mit Monteurleitern auf dem Dach, der ihm den Weg in seine Garage versperrte.
„Was ist denn hier los?“, dachte er, als eine, mit Schreibkladde und Stift bewaffnete und in einen roten Monteuranzug gekleidete junge Frau entdeckte, die soeben mit einem Fotoapparat um den Hals um die Hausecke herumkam.
„Was machen Sie denn da bei meinem Haus? Und wozu machen Sie Aufnahmen davon?“, rief er die junge Frau, die ihn gerade ebenso verblüfft anschaute, wie er sie, unverblümt an.
„Nach was sieht‘s denn aus?“, antwortete die nur rund 1,70 große Person mit einem frechen Grinsen, während sie ihre Kamera und ihre Schreibutensilien in eine Umhängetasche steckte und danach die unförmige Ballonmütze abnahm, um ihre roten Locken auszuschütteln.
„Meine Güte, hast du mich erschreckt!“, rief sie beim Näherkommen unmittelbar darauf.
„Kennst du mich etwa wirklich nicht mehr, Alessandro? Ich habe dich jedenfalls sofort erkannt. Auch wenn du inzwischen kein Teenager mehr bist. Du hast doch früher bei jedem deiner Ferienaufenthalte hier bei uns mit meinem großen Bruder Nico den Strand unsicher gemacht und mit ihm zusammen auch sonst noch allerlei Unfug angestellt.
Und mich habt ihr zwei Vollpfosten ständig geärgert. Ich bin übrigens Elena Rossi, erinnerst du dich denn gar nicht mehr an mich, du alter Teutone?“, blitzte ihn die junge Frau im selben Moment aus ihren grün glitzernden Augen an.
Bei dieser Antwort begann es so langsam in Alexanders Gedächtnis zu klingeln. Vor seinem geistigen Auge tauchte nämlich soeben eine spindeldürre Göre auf, die ihr Bruder und er – wegen ihrer langen roten Zöpfe – früher stets Pippi Langstrumpf gerufen hatten.
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