Naturwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich vor allem mit Fragestellungen, die durch Untersuchung von gesetzmäßigen Zusammenhängen in der Natur beantwortet werden können. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung des Vorgangs selbst und nicht etwa bei einer Sinnfindung. Vereinfacht kann es mit der Frage nach dem Wie anstatt des Wozu dargestellt werden. Die Fragestellung Warum gibt es Regen? findet nicht etwa mit Damit Pflanzen wachsen können ihre Erklärung, sondern wird objektiv beantwortet: Weil Wasser verdunstet, aufsteigt, sich in Wolken sammelt und schließlich kondensiert, was zum Niederschlag führt. Die Naturwissenschaft beantwortet also in erster Linie keine teleologischen (nach dem Zweck oder Ziel ausgerichteten) Fragen, sondern führt die untersuchten Vorgänge auf Naturgesetze oder auf schon bekannte Sachverhalte zurück. Insoweit dies gelingt, wird der Naturwissenschaft nicht nur ein beschreibender, sondern auch ein erklärender Charakter beigemessen.
Geschichte der Naturwissenschaft
Naturphilosophie der Antike
Naturwissenschaftliche Erkenntnis nahm einerseits in der handwerklichen und technischen Betätigung und andererseits in der geistigen Überlieferung der gelehrten Tradition des Menschen ihren Anfang. Naturbeobachtungen altertümlicher Kulturen – insbesondere in der Astronomie – brachten oft zwar zutreffende quantitative und qualitative Aussage hervor, wurden aber vorwiegend – wie etwa in der Astrologie – mythologisch gedeutet. Entscheidende Forstschritte brachte die griechische Naturphilosophie mit der Entwicklung einer Methodik, die sich an der Philosophie und der Mathematik orientierte. Die wahrnehmbare Welt dachte man sich wie etwa in der Vier-Elemente-Lehre als Zusammensetzung der „Elemente“ Feuer, Luft, Wasser und Erde und beschreib verschiedene Umwandlungsprozesse. Auch die Vorstellung von kleinsten, unteilbaren Teilchen (Atomismus), aus denen die ganze Welt zusammengesetzt sei, wurde entwickelt. Schon lang bekannte periodische Bewegungen der Himmelskörper wurden geometrisch interpretiert und die Vorstellung eines Weltensystems entwickelt, in dem sich die Sonne, der Mond und die damals bekannten Planeten auf Kreisbahnen um die ruhende Erde in der Mitte bewegten (geozentrisches Weltbild). Die Kugelgestalt der Erde wurde vermutet und spätestens von Aristoteles stichhaltig begründet, das Zustandekommen von Sonnen- und Mondfinsternissen erklärt, relative Abstände von Erde, Sonne und Mond abgeschätzt und sogar durch eine Winkelmessung und geometrische Überlegungen der Erdumfang recht genau bestimmt.
Im Römischen Reich wurden die intellektuellen Errungenschaften der griechischen Kultur zum größten Teil übernommen, gingen aber mit dem Zerfall des Reiches im 5. Jhd. n. Chr. zum größten Teil verloren. Im mittelalterlichen Europa konnten sich die Naturwissenschaften unter dem Primat der Theologie und der Philosophie sowohl in der christlichen als auch in der islamischen Welt nur langsam und im Rahmen der weltanschaulichen Prämissen entwickeln.
Kopernikanische Wende und naturwissenschaftliche Revolution
Erst im Zuge der Renaissance, die verschiedene geistesgeschichtliche Veränderungen mit sich brachte, trat wieder ein größeres Interesse an der Naturbeobachtung auf. Durch die Annäherung der Wissenschaft an die handwerkliche Tradition in der empirischen Methode wurden auf sämtlichen Gebieten neue Erkenntnisse gemacht. Die gegenseitige Wechselwirkung von Alchemie und Medizin bereicherte beide Disziplinen in der Entwicklung zu empirischen Wissenschaften. Das Experiment als Ausgangspunkt der Naturforschung begann sich mit Francis Bacon und Galileo Galilei durchzusetzen. Besonders die Korrektur des alten Julianischen Kalenders und die Navigation in der Schifffahrt erforderte eine intensive Betätigung in der Astronomie. Nikolaus Kopernikus entwickelte ausgehend von einer Bewegung der Erde um die Sonne ein vereinfachtes, mathematisches Modell, das die von der Erde kompliziert erscheinenden Himmelsbahnen der Planeten erklärte und gegenüber dem ptolemäischen System eine leichtere Berechnung der Positionen ermöglichte. Dieses neue Weltsystem setzte sich jedoch gegenüber dem geozentrischen Weltbild erst durch, nachdem Johannes Kepler aus genauen Messungen von Tycho Brahe elliptische Umlaufbahnen der Erde und der anderen Planeten feststellte und Isaac Newton diese durch sein Gravitationsgesetz theoretisch bestätigen konnte. Für diese revolutionären Entdeckungen des 16. und 17.Jahrhunderts wurde der Begriff der kopernikanischen Wende geprägt. In derselben Zeitperiode setzen Wissenschaftshistoriker auch die naturwissenschaftliche Revolution als Wegbereiter für die moderne Naturwissenschaft an.
Moderne Naturwissenschaft
Über eine präzise Definition und den zeitlichen Beginn der modernen Naturwissenschaft sind sich Fachleute nicht einig. Oft wird in Überschneidung mit der naturwissenschaftlichen Revolution als zeitlicher Rahmen etwa das 17.Jahrhundert für den Beginn der modernen Naturwissenschaft angegeben. Als wichtige Merkmale werden professionalisierter Wissenschaftsbetrieb, die Entwicklung und Anwendung naturwissenschaftlicher Methodik und später die Herausbildung von Fachbereichen durch Spezialisierung angesehen.
Mit der Gründung von naturwissenschaftlichen Gesellschaften, Akademien und neuen Universitäten begann die Etablierung einer eigenständigen wissenschaftlichen Tradition in Europa. In Frankreich widmeten sich Gelehrte – beeinflusst durch Descartes' rationalistischer Philosophie – der theoretischen Beschreibung von Naturphänomenen unter Betonung der deduktiven Methode. In England dagegen galt das Interesse aufgrund Bacons Einfluss der empirischen Methode, weshalb man sich durch das Experiment vermehrt technischen Herausforderungen stellte. Dies wird auch als einer der Gründe angesehen, warum die Industrielle Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Anfang in England nahm. Zahlreiche bahnbrechende Entdeckung und Erfindungen leiteten einen unverkennbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel ein, der sich in den folgenden Jahrzehnten auf das europäische Festland und Amerika ausbreitete.
Mit der starken Zunahme an Wissen seit dem 18. Jahrhundert konnte schrittweise ein Grundverständnis über den Aufbau der empirisch zugänglichen Welt erarbeitet werden, was eine Einteilung der Naturwissenschaften in Fachbereiche wie Biologie, Chemie, Geologie und Physik möglich machte. Obwohl sich Unterschiede in der Methodik der Fachrichtungen entwickelten, beeinflussten und ergänzten sie sich gegenseitig. Die in der Biologie untersuchten Stoffwechselprozesse konnten beispielsweite durch die organische Chemie erklärt und näher erforscht werden. Des Weiteren lieferten moderne Atomtheorien der Physik Erklärungen zum Aufbau der Atome und trugen so in der Chemie zu einem besseren Verständnis der Eigenschaften von Elementen und chemischen Bindungen bei. Darüber hinaus entwickelten sich Fachbereiche wie Medizin, Agrar- oder Ingenieurwissenschaften, die Anwendungsmöglichkeiten für das theoretische Wissen erarbeiteten.
In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erlebte die Physik einen bemerkenswerten Umbruch, der gravierende Folgen für das Selbstverständnis der Naturwissenschaft haben sollte. Mit der Begründung der Quantentheorie stellten Max Planck und Albert Einstein fest, dass Energie – besonders auch in Lichtwellen – nur in diskreten Größen vorkommt, also gequantelt ist. Des Weiteren entwickelte Einstein die spezielle (1905) und die allgemeine Relativitätstheorie (1915), die zu einem neuen Verständnis von Raum, Zeit, Gravitation, Energie und Materie führte. Eine weitere Umwälzung markiert die in den 1920er und 30er Jahren begründete Quantenmechanik, die bei der Beschreibung von Objekten auf atomarer Ebene markante Unterschiede zur klassischen Vorstellung der Atome aufweist. Dort stellte man fest, dass bestimmte Eigenschaften von Teilchen nicht gleichzeitig beliebig genau gemessen werden können (Heisenbergsche Unschärferelation) und beispielsweise Elektronen eines Atoms nicht genau lokalisiert, sondern nur in gewissen Wahrscheinlichkeiten über ihren Aufenthaltsort beschrieben werden können. Diese Entdeckungen entziehen sich größtenteils der menschlichen Anschauung, entfalten aber ihre große Aussagekraft in ihrer mathematischen Formulierung und sind für zahlreiche Anwendungen der modernen Technik von großer Bedeutung.
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