Giulia Birnbaum
Drei zornige alte Männer
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Giulia Birnbaum Drei zornige alte Männer Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
1 / Haruspex
2 / Drei Helden von früher
3 / My two front teeth
4 / Die Gemse
5 / Für einen Dieb gut genug
6 / Ein Ekel in Hochform
7 / Früher gab es richtige Herren
8 / Das Eheleben der Sabine Korff
9 / Wittfelds Party
10 / Abendkritik auf der Bettkante
11 / Ein komischer Kerl
12 / Irritationen im Museumsgarten
13 / Tito braucht einen Hund
14 / Das Mäuschen vom Zoo
15 / Die Jury
16 / Im Auftrag der Rechte-Inhaber
17 / Kriemhild und die Hunnenkönige
18 / So etwas wie ein Black-Out
19 / Ilkas Fehler
20 / In dieser Nacht
21 / Ein Gespräch unter Männern
22 / Beim kranken Tito
23 / Zepp ruft an
24 / Parkallee in Nachmittagssonne
25 / Den Nachlass verwalten
26 / Erinnerungen und Rätsel
27 / Die Geschichte der Hilde Huberti
28 / Sympathisanten
29 / Geisterbeschwörung
30 / Schluss mit großer Geste
31 / Ein letzter Blick nach vorn
Impressum neobooks
Als Anne Hoyer noch in ihrer alten Wohnung lebte, hörte sie abends wieder und wieder die Nachricht ab, die ihr Mann bei seinem letzten Anruf hinterlassen hatte:
„Ich kann nicht mehr.“
Georg hatte wirre Sätze gestammelt, die den Tumult in seinem Kopf verrieten, aber später brachte Anne nicht mehr genau zusammen, was sie verstanden hatte. Er hatte ihr wohl versichert, dass sie seine Liebste sei, und irgendwie versprochen, dass alles gut würde, sie sei doch die Stärkste.
Dann hatte er seinen Ford auf einen abgelegenen Parkplatz gefahren, aus dem Auspuff einen Schlauch in den gut abgedichteten Wagen geführt und den Motor gestartet. Ein Bauer, der mit seinem Traktor aufs Feld fuhr, fand ihn am nächsten Morgen.
In den dunklen Tagen, die folgten, hielt Anne sich an die Stimme von Band. Sie war wie vor den Kopf geschlagen, versuchte aber, aus dem immer gleichen Gestammel einen Hinweis herauszuhören: Wie sollte denn „alles gut“ werden?
Sie löschte das Band, als sich herausstellte, dass Georgs Versprechen, wenn er denn eins gegeben hatte, nicht zu halten war. Es wurde keineswegs alles gut. Die Lebensversicherung verwies auf eine Vertragsklausel, die Zahlung bei Selbsttötung ausschloss. Private Rücklagen waren kaum vorhanden; als die Bestattung bezahlt war, war Georgs Konto leer.
Anne musste die Eigentumswohnung aufgeben, sie konnte die Hypothek nicht mehr bedienen. Sie zog in einen weniger gefragten Stadtteil und suchte sich Arbeit, einunddreißig, keine Kinder. Vor acht Jahren hatte sie einen Job im Reisebüro aufgegeben, um Georg in seinem Werbestudio zur Hand zu gehen. Nun gab es keinen Georg mehr und kein Studio; Anne Hoyer musste sehen, wie sie durchkam.
Immer noch suchte sie dringend nach einer Erklärung: Warum hatte ihr Mann das getan? Er wusste, dass sie an diesem Abend nicht zuhause war: Wollte er aufs Band sprechen, damit sie ihn nicht umstimmen konnte? Was hatte ihm nur so zugesetzt? Er hätte mit ihr sprechen müssen. Sie waren doch immer gut miteinander ausgekommen, und für eine Depression gab es nicht das geringste Anzeichen. Geldsorgen vielleicht? Aber das hätte sie doch gewusst!
Das Studio war ein paar Jahre leidlich gelaufen. Georg hatte eine Reihe mittelständischer Kunden gewonnen – eine Druckerei, einen Großhändler, einen Hersteller von Profilblechen –, aber der große Auftrag, der richtig fette Werbeetat, war ausgeblieben.
Georgs letzte Idee hätte ihm einen tüchtigen Schub geben können. Er wollte sie einem Verlag anbieten, von dem er früher kleine Aufträge bekommen hatte, aber er war erfolglos zurückgekommen. Er hatte seine Enttäuschung nur schlecht überspielt, und am nächsten Tag war er auf diese Geschäftsreise gegangen, seine letzte. Warum?
Anne rief einen alten Bekannten an. Arnold Korff hatte in der Trauergemeinde gestanden, die auf dem Nordfriedhof Abschied von Georg nahm. Die lieben Worte, die Umarmungen, die Blicke aus feuchten Augen hatten Anne gut getan, obwohl die schwarzen Garderoben den Versammelten etwas Fremdes gaben. So seriös, so feierlich kannte sie ihre Freunde nicht. Die meisten hatten mit Werbung zu tun und waren dem Förmlichen eher abgeneigt. Sie waren alle so jung.
Korffs gediegener Auftritt überraschte sie nicht. Sie kannte ihn als Mann, der sich in gutem Tuch wohlfühlte und mit freundlichen Augen in die Welt sah, offen für alles und für jeden. Er war jetzt deutlich über siebzig und schon eine Weile aus dem Geschäft. Sein Ruhestand war „wohlverdient,“ und das war mehr als die Floskel der Versicherungsvertreter. Er hatte in seiner Werbeagentur – Zodiac / Ideen für Märkte – erfolgreiche Kampagnen entwickelt und schöne Umsätze erzielt. Georg arbeitete mit Zodiac hin und wieder zusammen; auch Anne hatte geholfen. Sie verloren sich dann aus den Augen, aber die alten Tage waren beiden noch gegenwärtig, als er am Friedhofausgang an ihre Seite trat und leise sagte: „Wenn ich etwas für Sie tun kann …“
Das konnte er jetzt.
Ja, Sonntagvormittag passte ihm. Ein Büro hatte er schon lange nicht mehr, sie kam zu ihm ins Haus, nahm gerne einen Kaffee.
„Schrecklich,“ meinte Korff und sah sie betrübt an. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll – mein Gott, wer hätte denn mit so etwas gerechnet? Eigentlich war er doch immer gesund?“
Tatsächlich war ihr der Verdacht gekommen, Georg könne eine ernste Krankheit verheimlicht haben. Aber sein Hausarzt hatte die Daten des Patienten Hoyer – den er allerdings selten gesehen hatte – nochmals überprüft und den Kopf geschüttelt. Da war nichts.
„Wir dachten immer, guten Leuten kann nichts Schlimmes passieren. Aber irgendetwas muss ihn stark getroffen haben. Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Er war ziemlich geknickt, als er von Bernkopf zurückkam. Er wollte es sich nicht anmerken lassen – Sie wissen ja, wie Georg war.“ Annes Augen blickten ins Leere, als müsse sie Tränen zurückhalten.
Korff nickte. „Wann ist er denn zu Bernkopf gegangen?“
„Am Tag davor.“
„Und was hat er da getan?“
„Das hier.“ Anne zog ein weißes Heft aus ihrer Handtasche und reichte es Korff hinüber. „Das Exposé. Die Idee für eine neue Zeitschrift. Er war völlig überzeugt davon, aber die von Bernkopf haben abgelehnt.“
Das Heft mit dem Titel Haruspex wurde durch Klebebindung zusammengehalten und enthielt etwa ein Dutzend Seiten DIN A 4. Korff blätterte es auf.
„Haruspex. Sie wussten sicherlich Bescheid, um was es da ging?“
„Um Blicke in die Zukunft. Das war die Idee. Georg meinte, das sei ein Konzept, das noch niemand ernsthaft verfolgt hat.“
„Blicke in die Zukunft.“ Korff war überrascht, ein bisschen ungläubig auch.
„Ja. Georg meinte, die Zukunft sei allemal spannender als die Gegenwart. Es gäbe so viele Hinweise, die müsse man nur zu Ende denken, dann bekäme man schon ein ziemlich genaues Bild.“
„Das ist jedenfalls eine interessante Idee,“ meinte Korff höflich. Er blätterte das schmale Heft unentschlossen durch. „Man müsste mal durchdenken, was drinsteckt.“
„Das hat Georg getan.“ Anne deutete auf das Heft in Korffs Hand. „Sie werden sehen, er begnügt sich nicht mit allgemeinen Trends, sondern zeigt ganz im Ernst, was auf den Leser zukommt – damit der sich schon mal vorbereiten kann.“
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