„Du wolltest es doch!“ Er schüttelte und ich krachte mit dem Kopf gegen die Wand.
„Hör auf, du tust mir weh!“
Ich trat ihm vors Schienbein und überrascht ließ er mich los. Das nutzte ich und rannte blitzschnell an ihm vorbei. Nur wohin? In der Hütte konnte ich mich nirgends verstecken, also musste ich raus. Leider konnte ich ihn nicht fragen, ob ich mir vorher eine Jacke und vor allen Dingen Schuhe anziehen durfte und so rannte ich, wie ich war, hinaus in die Kälte.
Ben brüllte mir hinterher und ich hörte, wie er mir auf den Fersen war. Die kalte Luft brannte in den Lungen und meine Füße schmerzten, als sich die Socken mit Nässe vollgezogen hatten. Er war schneller und brachte mich zu Fall. Ich schrie und trat, während es mich in den Schnee warf, doch Ben ignorierte meine Gegenwehr und riss mich auf die Füße.
Meine Fingernägel fuhren durch sein Gesicht und er schrie auf. Der Schlag traf mich unvermittelt und hart im Gesicht. Mein Kopf wurde zurückgeschleudert. Während ich zu Boden sackte, hörte ich ein furchteinflößendes Brüllen, dann wurde alles dunkel um mich herum.
Ich schlug die Augen auf und als erstes schoss der Schmerz durch meinen Kopf. „Scheiße, scheiße tut das weh“, jammerte ich und hielt mir den Kopf. Dann sprang ich auf, der Raum fing sich an zu drehen und bevor ich zu Boden gehen konnte, stützte mich ein felliges Etwas ab.
Meine Finger gruben sich in dieses und ich hielt die Augen geschlossen, um die aufsteigende Übelkeit in den Griff zu bekommen.
Tief ein- und ausatmen , wies ich mich selbst in Gedanken an und nicht nur die Magensäure beruhigte sich wieder, sondern auch die Schmerzen waren nicht mehr ganz so schlimm.
Als ich die Augen öffnete, überlegte ich mir, ob die Ohnmacht nicht doch eine wundervolle Alternative gewesen war. Denn meine Finger hatte ich in einem Bärenfell vergraben. Und der Bär war echt und lebte. Kein ausgestopftes Tier, was hier durch Zufall gerade herumstand.
Das Tier schaute mich aus besorgten, fast schwarzen Augen an. Ich hatte ganz gewaltig einen Schlag abbekommen. Denn weder konnte sich hier ein lebendiger Bär im Raum befinden, noch schaute er mich mit besorgtem Blick an.
Langsam lockerte ich meinen Griff, ließ das Tier los und ging zwei Schritte zurück. Es folgte mir nicht, bedrohte mich auch nicht, sondern blickte mich weiterhin an.
„Du tust mir nichts, oder?“
Ganz sanft wiegt es den Kopf. Klar, logisch. Die Wahnvorstellung verneinte.
„Natürlich, ich stehe hier und unterhalte mich mit einem Bären ...“
Ein leises Brummen erklang.
„Oh Gott, Ben. Er ist nicht mehr da?“
Ein tiefes Grollen stieg aus der Kehle des Tieres auf und es schüttelte den Kopf.
Ich war so durch. Es beruhigte mich, dass Ben weg war, aber dass der große Bär immer noch im Raum stand, ließ mich kalt.
Seufzend ging ich zur Küche. „Schmerzmittel, dringend.“ Ich nahm mir ein Glas, füllte Wasser hinein und als ich mich umdrehte, staunte ich nicht schlecht. Das Tier stand mit einer Tasche im Maul vor mir. Nicht mit irgendeiner, nein, mit meiner kleinen Notfalltasche, in der ich die Medikamente aufbewahrte.
„Danke“, murmelte ich und kramte die Tabletten hervor. Dann musterte ich den braunen Kerl. „Du hast mich gerettet, richtig?“, fragte ich leise und er stupste mich leicht an.
Fantastisch, ich unterhielt mich gerade weiter mit meiner Halluzination. Mit viel Wasser spülte ich die zwei Tabletten herunter und bemerkte den desolaten Zustand meiner Kleidung und die dreckigen Füße. Vorsichtig ging ich an dem Bären vorbei, der mich keine Sekunde aus den Augen ließ.
„Ich will nur ins Bad, mich waschen.“ Als ob er mich verstehen würde. Auf kalten Füßen schritt ich ins Bad und goss Wasser in den Topf, um es auf dem Ofen heißzumachen. Kaltes Wasser war schon in der Wachschüssel, so konnte ich mich in Ruhe ausziehen, während das Wasser heiß wurde. Als mein Blick in den Spiegel fiel, zog ich scharf die Luft ein.
Nachdem ich die Haare zur Seite geschoben hatte, war jetzt schon an der Wange Richtung Schläfe hin eine Schwellung und eine Verfärbung der Haut zu erkennen.
Das leise Brummen des Bären, der mit schiefgelegtem Kopf vor der Tür stand, riss mich vom Anblick los.
„Ja, der hat gut zugeschlagen.“
Ich schälte mich aus den Klamotten heraus und zuckte zusammen, als ich die Hose über die Hüfte zog. Auch hier prangte schon ein großer Bluterguss. Den musste ich mir bei meinen Sturz zugezogen haben.
„Dieser verdammte Mistkerl“, brummte ich und tiefes Knurren erklang als Zustimmung.
Eigentlich hätte es seltsam sein müssen, nackt vor dem Tier zu stehen, doch genau das Gegenteil war der Fall. Ich goss das heiße Wasser in die Schüssel und holte mir einen Waschlappen.
„Weißt du, die Wildnis gefällt mir wirklich gut. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so wenig ausmachen würde, ohne Strom und fließend Wasser zu sein. Einzig eine heiße Wanne vermisse ich.“ Oh ja, die wäre jetzt wundervoll für meinen geschundenen Körper gewesen. Nach dem Waschen hüllte ich mich in ein großes Handtuch, legte Holz nach und legte mich auf mein Lager. Mit einem leisen Grummeln ließ sich der Bär direkt neben mir nieder, legte den Kopf auf seine Pfoten und schaute mich aus seinen schönen Augen an.
„Wenn du nicht schnarchst, dann darfst du hierbleiben.“ Logisch, ich scherzte nun auch noch mit meinem imaginären Freund herum.
Sein Schnaufen war wohl als Antwort zu verstehen, ob er mich auslachte, oder was es heißen sollte, wusste ich nicht. Ohne Hemmungen kuschelte ich mich an sein weiches Fell und lauschte seinem Herzschlag.
Hände strichen über meinen Körper und das Fell war Haut gewichen.
„Mhh, Bär?“
„Nein, Elias.“
Schwerfällig öffnete ich meine Augen und schaute in Dunkle, die mich wie zuvor der Bär, besorgt musterten.
„Es tut mir leid, dass ich nicht da war“, flüsterte er. „Wie geht es dir?“ Sanft strich er über meinen Körper und ich zuckte, wie schon beim Waschen, zusammen, als er meine Hüfte berührte.
„Was?“ Er schob die Decke von meinem Körper und grollte. „Dieser Mistkerl, ich könnte ihn …“
„Nicht“, ich schüttelte den Kopf. „Dieser Bär … oh Gott, ich habe bestimmt fantasiert.“
„Nein. Der Bär, den du meinst, war bis vorhin bei dir.“
„Ich habe es mir nicht eingebildet?“
„Nein“, er lächelte.
„Aber … wie kommt es, dass mich dieser Bär beschützt hat?“
„Ich habe ihn dir zum Schutz abgestellt. Vor Jahren hab ich ihn mit der Flasche aufgezogen. Seither folgt er mir wie ein Hund.“
„Oh.“ Ok, somit hatte ich immerhin mit keiner Fata Morgana gesprochen. Elias strich vorsichtig meine Haare zurück und besah sich die Stelle im Gesicht. Ich merkte, wie er seinen Zorn zu unterdrücken versuchte und ich legte ihm meine Hand an die Wange. „Nicht. Du hast schon genug für mich gesorgt. Wäre Bär nicht gewesen … Ich danke euch beiden.“
Ich verstand nicht, wie mich dieser Mann anzog. Ben, der erst nett zu mir gewesen war, hatte mich von Anfang an abgestoßen. Bei Elias dagegen fühlte ich mich sicher, wollte mich in seine Arme schmiegen, wollte, dass er mich berührte. So ausgehungert war ich noch nie gewesen.
„Hope, nicht heute Nacht.“
„Warum?“
„Muss ich dir wirklich erklären, was passiert ist?“
„Nein, Elias. Lass es mich vergessen“, hauchte ich und drückte meinen nackten Körper an ihn. Das Handtuch hatte ich höchstwahrscheinlich während des Schlafens verloren.
„Hope …“
Das erste Mal, dass sich unsere Lippen trafen und es fuhr wie ein Stromstoß durch meinen Körper. Scheiße, dieser Kuss versengte mich, vergessen waren die Schmerzen und ich schlang meine Arme um seinen Hals.
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