Die Taufe war in unserem geliebten Kirchlein in Alt-Bogenhausen unweit von unserer Wohnung. Dorthin gingen wir auch jedes Weihnachten an Heiligabend in die Christmette. Ich hatte zwei Paten, meine damals beste Freundin Ursula Horn, die Tänzerin mit der ich durch dick und dünn ging, und unsere gemeinsame Freundin Helga Winkler. Sie waren beide fassungslos und gleichzeitig verwundert über meine Verwandlung und mein scheinbares Glück.
Eine Woche nach der Taufe, auf ihrer Heimfahrt vom Augustiner Biergarten kommend bogen Ursula und Helga in Perlach nach Grünwald ab, übersahen ein heranrasendes Auto und krachten mit voller Wucht zusammen. Beide wurden herausgeschleudert, sie waren auf der Stelle tot. Sie wurden nur 23 und 24 Jahre alt. Nach welchen Kriterien verfährt nur der Tod?
Als ich am nächsten Morgen davon erfuhr, waren in kürzester Zeit die 20 Kilo, die ich während der Schwangerschaft zugenommen hatte, von mir abgefallen. Zwei so zauberhafte Menschen hatte ich verloren, und Berni war mit einem Schlag ohne Paten. Wieder hatte mich die Sehnsucht eingeholt, mehr darüber zu erfahren, wie unser Leben spielt, und ich wurde durch jede Begegnung mit dem Tod ein Stück mehr zur Existenzialistin – nur das Heute ist real und das nicht mal den ganzen Tag.
Mit 18 rief mich Berni an und eröffnete mir, dass er aus der Kirche ausgetreten sei. Meine erste Reaktion war: Hast du mit deinem Vater oben darüber gesprochen? Nein, sagte er, aber du kannst es mir ja nachmachen! Übrigens hat Berni auch eine evangelische Frau geheiratet. Meine Eltern waren auch katholisch und evangelisch. Das ist wohl eine Familientradition.
Inzwischen habe ich alle Religionen in mir vereint, und auch meine Freunde sind aus aller Welt. Wie sagte Martin Luther King: „Nicht nach unserer Hautfarbe oder nach unserer Religion wollen wir bewertet werden, sondern nach unserem Charakter!“
Einen Diamantring gab es zur Geburt natürlich nicht, sondern eine einfache Kodak Instamatic. Auch gut. Aber als Gustav mich kurz darauf in sein Büro bat, um mir zu eröffnen, dass ich ab jetzt für die Betreuung unseres Kindes 50 Mark mehr Haushaltsgeld bekommen würde, habe ich gestreikt. Mein Vorschlag war, mich wieder meinem Tanz zu widmen, um mein eigenes Geld verdienen zu können. Ich wollte ihn nicht anbetteln, aber sein mir zugedachtes Haushaltsgeld war schlicht und einfach nicht ausreichend. So wurde leider die Kluft zwischen uns immer tiefer. Meine Mutter liebte Berni abgöttisch, blieb in München und war glücklich, ihn verwöhnen zu dürfen.
Nachdem ich meine Bereitschaft signalisierte, wieder arbeiten zu wollen, bekam ich schnell Angebote. Auch eine Asientournee über sechs Wochen mit Bill Milié als Choreograph stand an.
Dann Paris! Das Schicksal führte mich aus, und ich machte mit. Gustav hatte es mir leicht gemacht dem süßen Leben zu verfallen. In Paris hatte ich als Model viel Erfolg. In der Haute Couture machte ich Furore. Ob Dior, Yves Saint Laurent, Balmain, Hermes oder Chanel, ob Tokio, Sydney, Rio de Janeiro oder Hongkong. Es war viel Arbeit, aber auch eine tolle Zeit, und es gab viel Geld. Ich habe der Äußerlichkeit gefrönt.
Dazu kam noch ein Liebhaber in Paris. Dominique war jung, attraktiv, Fotograf, Teil der Szene, und er kannte sich aus. Seine Eltern hatten ein schlossähnliches Gestüt, mit 68 Reitpferden in Chantilly. Sehr aufregend. Ich war dahin.
DIOR HAUTE COUTURE
I’INRORMATION HIPPIQUE – CHANTILLY
Mir war immer bewusst, nicht nur zum Vergnügen auf der Welt zu sein und der Lust zu frönen. Ich wollte die Scheidung, und Gustav war schockiert. Er meinte, wenn er gewusst hätte, dass ich mich so entwickeln würde, hätte er mich anders behandelt. Das kann ja nicht wahr sein! Er war ein gestandener intellektueller Jurist. Bereits geschieden und 36 Jahre alt, als wir heirateten. Ich hingegen kam vom Internat nach München und war in der ersten Phase meiner Entwicklung, gerade 23 Jahre alt und ein Spätzünder. Wie passt das zusammen. Warum hatte er mich geheiratet? Was hatte er von mir gehalten? Konnte er mich gar nicht erkennen? Als ich ihn kurz nach der Hochzeit auf dem Sofa in seiner Kanzlei mit allem, was mir zur Verfügung stand verführte, meinte er: „So sehr liebst du mich?“ Da wurde ich schon hellhörig. War das etwa ein Zeichen seiner Gefühlsarmut?
Er schlug mir vor, einen Trennungsvertrag zu unterschreiben, befristet auf ein Jahr, da er dachte, ich würde mich besinnen. Dieser wurde um ein weiteres Jahr verlängert, da meine Gesinnung immer noch die gleiche war.
Die gemeinsamen Weihnachtsfeiertage hatten wir uns erhalten. Ende Dezember sind wir jedes Jahr mit Berni zum Skilaufen nach St. Moritz aufgebrochen. Es funktionierte, und es hatte eine eigene Dynamik einer heilen Welt, die wir genossen.
Nun, an Weihnachten 1974 waren wir wieder einmal in diesem Urlaub, und wir hatten eine schöne Zeit bei tollem Schnee, Gustav war ein super Skiläufer, meist Tiefschneefahrer. Auf dieser Reise eröffnete er mir, dass er sich am 10. Januar 1975 operieren lassen würde. Er meinte, nichts Schlimmes, eine kleine Darmoperation. Ich ließ mir nichts anmerken. Ein kaltes Grauen lief mir über den Rücken, als er mich bat, allen von einer Blinddarmoperation zu erzählen. Wieder diese Enge und das Versteckspiel, mit der er aufgewachsen war.
Sofort habe ich alle meine Termine abgesagt, um ihm zur Seite zu stehen. An etwas wirklich Schlimmes habe ich auch nicht gedacht. So fuhren wir zusammen am 10. Januar in das Perlacher Krankenhaus. Die Operation dauerte Stunden, und ich wurde immer kleiner. Als er endlich wieder im Zimmer war, wollte ich sofort den Chefarzt sprechen. Er war nicht da, weshalb ich mich entschloss, kurz nach Hause zu fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Am Ausgang kam mir der Professor entgegen, und erst zu diesem Zeitpunkt dachte ich an Krebs. Ich wollte gar nichts mehr wissen, nur einfach verschwinden. Der Arzt meinte, er hätte mich auch gesucht und müsste dringend mit mir reden.
Was er mir eröffnete, übertraf alles. Mein Mann hatte schon ein Jahr lang Darmkrebs. Er wollte absolut nicht, dass ich es erfahre. Er ließ sich von einem Scharlatan in Rom behandeln, wo er jeden Monat wegen eines Filmprojekts mit Dino Di Laurentiis hinreiste. Dieser Quacksalber nahm ihm viel Geld ab und behandelte ihn mit Pillen, die mein Mann in Deutschland einführen sollte. Dadurch verzögerte er die notwendige Operation, nämlich das Stück des kranken Darms zu entfernen. Ich bin gegen Operationen, nur wenn es unumgänglich ist, dann soll es auch sein.
Nun hatten sich durch die Verzögerung bereits Metastasen in der Leber gebildet, und der Professor wollte von mir wissen, ob er diese Erkenntnis Gustav nach seinem Erwachen mitteilen sollte. Ich fragte überflüssigerweise, wie die Überlebenschancen wären. Gleich null, aber man könnte ihm die Leber bestrahlen und ihm sagen, die Bestrahlung sei, um den Darm auszuheilen. In diesem Glauben könnte er noch drei Jahre gut leben und noch einmal aufblühen. Ich aber müsste dann so leben wie vorher, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Um Gustav dies zu ermöglichen, entschloss ich mich zuzustimmen, ihm nichts von den Metastasen in der Leber zu sagen – mit keinem Menschen, auch nicht mit meiner Mutter habe je ich darüber gesprochen, was mich fast erdrückte. Nach meinem Versprechen bin ich nach Hause gewankt. Dort angekommen habe ich zum Valium gegriffen – zum zweiten Mal in meinem Leben. Die folgenden Tage war ich meist in der Klinik. Es war der Ort, an dem ich noch am ruhigsten war. Fragen über Fragen taten sich auf. Warum hatte er sich mir nicht anvertraut? Ich hätte das nie zugelassen. Große Vorwürfe habe ich mir gemacht. Doch das Schicksal geht seine eigenen Wege, und man muss, darf oder sollte nicht dagegen ankämpfen. Das bringt nur noch mehr schmerzhafte Erfahrungen. Man sollte das Leben besser surfen lernen.
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