„Hast du wenigstens den Sklavenhändler erschlagen?“, fragte sie Markus wütend ohne den Blick von der Prinzessin zu lassen.
„Das hätte ich getan, aber in der Zwischenzeit wäre sie am Pfahl verdurstet.“ Jetzt musste er sich auch noch vor Wisgard verteidigen. Aber er merkte, dass es mit ihrer Attacke um den Kopf der Prinzessin ging. Sie signalisierte Beistand gegen jeglichen Feind und ‚dir wird nichts passieren, mach jetzt keine Dummheiten‘.
Wisgard und die Prinzessin schauten sich die ganze Zeit in die Augen. Clarissa und Markus warteten ab. Vitus ging um den Pferdewagen herum und half dem Stallmeister des Weingutes beim Ausschirren der Pferde. Ihr großer Hengst und der Stallmeister waren nicht die besten Freunde.
„Halte mal meinen Stock, Markus“, sagte Wisgard im Befehlston und hielt ihm diesen hin. Sie hatte eine Patientin und da galt bei ihr weder Rang noch Namen. Dabei hielt sie den Blickkontakt mit der Prinzessin aufrecht. Langsam zog sie ihr Messer aus ihrem Gürtel.
„Halte deine Hände vor, Mädchen. Ich befreie dich von deinen Fesseln“, sprach Wisgard in sanfterem Ton.
Ebenso langsam hob die Prinzessin die Arme und Wisgard schnitt den Strick durch. Die von Fesseln zerschundenen Arme sanken wieder nach unten.
„Clarissa, schickst du mir bitte Rina und Dara? Sie braucht ein Bad, leichtes Essen und neue Kleidung“, sagte Wisgard und zur Prinzessin gewandt, „Komm, Mädchen, wir zaubern einen Menschen aus dir.“
Wisgard schnappte sich ihren Stock aus Markus‘ Händen, ergriff ein Handgelenk der jungen Frau und zog sie in Richtung Badehaus hinter sich her. Die Prinzessin folgte ihr etwas schleppend, als ob sie unschlüssig war, ob sie mitgehen sollte. Aber Wisgard erhöhte entschlossen das Tempo und dann lief sie bereitwillig mit.
In der Badestube war es angenehm warm. Es brannten zwei Kerzen, die einen Tisch mit Bänken und eine große Holzwanne beleuchteten.
„Setz dich da hin.“ Wisgard wies auf eine der Bänke und setzte sich selbst der Prinzessin gegenüber. Den Stock lehnte sie neben sich an die Wand.
„Ich heiße Wisgard. Ich bin hier die Heilerin und wie heißt du?“, und nach einer kurzen Pause, als keine Antwort kam, „Oder wie soll ich dich nennen? Bestimmt hat dir deine Mutter einen Namen gegeben, der besser zu dir passt, als wenn ich jetzt einen Namen für dich erfinde.“
Fragend sah Wisgard die junge Frau an. Sie sah in ihrem Gesicht, wie diese zwischen Schweigen und Reden schwankte.
„Fara.“ Mehr sagte sie nicht. Aber das Eis war gebrochen.
„Gut, Fara. Bei uns ist es üblich, dass ich die Neuen, also alle, die hier für Clarissa arbeiten und hier wohnen werden, zuerst einmal untersuche. Wenn jemand nicht gesund ist, den kann ich helfen und ihn kurieren. Außerdem sehen wir, wer von Ungeziefer befallen ist und können verhindern, dass sich das bei uns ausbreitet. So bleiben wir alle möglichst gesund.“
Wisgard schaute Fara lange an, bis sie der Meinung war, dass keine negativen Reaktionen zu erwarten waren.
„Gleich kommen zwei Frauen mit heißem Wasser für die Holzwanne dort. Sie werden dir helfen beim Baden, Haarewaschen und Auskämmen. Danach schaue ich mir deine entzündeten Handgelenke an. Du musst recht lange mit Fesseln gelebt haben, so wie die aussehen. Hab keine Angst, dass ein Mann hereinkommt. Das ist hier nicht üblich. Die haben Respekt vor meinem Stock. Fast jeder von den Kerlen hier hat ihn schon zu spüren bekommen. Auch Markus kennt ihn. Deine Tunika werfen wir weg. Die taugt nichts mehr. Du bekommst eine neue und was sonst für eine Frau dazugehört.“
Die Tür zur Badestube wurde geöffnet und zwei Frauen kamen mit je zwei Eimern mit heißem Wasser herein. Wisgard war diese Unterbrechung recht. Da konnte Fara das soeben Gesagte überdenken.
„Das sind Rina und Dara. Die holen mehr heißes und auch kaltes Wasser.“
Die Frauen nickten und gingen wieder hinaus.
„Bist du damit einverstanden, Fara?“, fragte Wisgard direkt.
Fara nickte und Wisgard erzählte weiter. „Während du badest, hole ich meine Kräuter, Salben und was ich sonst dazu brauche.“ Nach einer Pause fuhr sie fort. „Ich weiß nicht, was an eurem Fürstenhof üblich ist. Wenn du Fragen hast oder dir irgendetwas nicht passt, dann sage es einfach. Wir machen hier bestimmt manches anders, als du es gewohnt bist.“
Plötzlich sagte Fara. „Warum habt ihr mich gekauft? Ich habe mir solche Mühe gegeben, niemandem zu gefallen.“ Das Latein von Fara war fließend. Man merkte kaum einen Akzent.
Wisgard überlegte eine Weile, ehe sie antwortete. „Das werden dir Markus und Clarissa beantworten. Ich greife da nicht vor. Vielleicht können wir zwei morgen vor eurer Abfahrt darüber reden.“
„Ich bleibe nicht hier?“, fragte Fara überrascht.
„Nein, du wirst morgen mit Markus nach Villa Patria fahren“, antwortete Wisgard.
„Ha, Patria! ‚Heimat‘ klingt wie ein Hohn.“ Fara stand der Zorn im Gesicht.
„Urteile nicht zu schnell, Fara. Markus wird zuerst etwas herumpoltern. Du wirst schon verstehen warum. Aber in Villa Patria sind mehr Leute aus den Völkern jenseits des Donaulimes als römische. Und alle fühlen sich dort wohl. Da geht es ähnlich gerecht zu wie hier bei Clarissa. Das ist etwas ungewöhnlich, aber Markus und auch Clarissa sind der Meinung, dass die Arbeit mit Sklaven nicht so erfolgreich ist wie mit freien Menschen, die sich durch ihren Ehrgeiz und Ideenreichtum einbringen.“
Faras Blick wanderte zu Wisgards mit Schnitzereien verziertem Stock. „Du bist auch keine Römerin.“
Wisgard sah ebenfalls den kugelförmigen Knauf ihres Stockes an. „Nein, das sind Ornamente der Markomannen. Ich war an einem großen Fürstenhof die Heilerin. Als die Fürstin und ihr Kind bei der Geburt starben, gab der Fürst mir die Schuld dafür. Ich musste fliehen und hatte Glück, dass mich Markus‘ Vater aufgelesen hat und mir anbot, ihm ins Römische Reich zu folgen. So bin ich bei Clarissa untergekommen, weil hier weit und breit keine Heilerin mehr da war. Clarissa hält die Hand schützend über mich, auch wenn ich manchmal recht anstrengend bin. Aber es ist immer zum Wohle von Vinea Clarissa.“
Wieder kamen die zwei Frauen mit Wasser und einem Bündel Sachen herein.
Wisgard streckte die Hand nach Fara aus. „Komm, Fara, gib die alten Lumpen her. Ich werde sie verbrennen. Damit kannst Du symbolisch die schreckliche Zeit beim Sklavenhändler abschließen.“
Nach kurzem Zögern nickte Fara und streifte die Tunika über den Kopf und blickte nackt zur Holzwanne. Rina und Dara schüttelten nur mitleidig den Kopf, weil Fara so verdreckt und von Ungeziefer zerstochen war.
Wisgard schnappte sich die verdreckten Lumpen, nahm ihren Stock und ging ihre Kräuter holen. Ihr Weg führte an der Küche vorbei, wo sie Faras Tunika in das Feuer für den Wasserkessel warf. Dann beauftragte sie eine Küchenfrau, leichtes Essen und Minztee in die Badestube zu bringen.
Mit einem Korb beladen, trat Wisgard wieder in die Badestube. Dort stand schon das Essen auf dem Tisch. Fara saß relativ entspannt in der Wanne und ließ sich die Haare waschen. Rina nickte Wisgard zu und deutete mit dem Kamm auf die Haare.
Wisgard wandte sich an Fara. „Ich habe hier einen kleinen Krug mit Weinessig. Der hilft gegen das Ungeziefer in deinen Haaren. Das riecht etwas streng, aber es hilft meist mit nur einer Behandlung. Bist du einverstanden, Fara?“
Fara nickte. „Ich weiß, dass ich Läuse und Flöhe habe. Wenn der Filz in meinen Haaren nicht heraus zu kämmen ist, dann schneidet sie ab. Aber lass, bitte, so viel Haare übrig, wie es geht, Rina.“
Wisgard wies auf das Essen. „Ich habe leichtes Essen bringen lassen und Minztee. So hungrig, wie du bist, solltest du vorsichtig mit dem ersten Essen sein, sonst bringst du das alles wieder heraus.“
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