Als dritter Heißsporn gesellte sich zu den beiden der 21jährige Handelsgehilfe Heinrich Vogelsang, auch ein Bremer, eine Art Marketingstratege (würde man heute sagen) und Fantast, der sich zutrauen wollte, Togo als deutsche Kolonie zu gewinnen. Von hier bis zur Erkenntnis, dass Südwestafrika das gesündere Klima hat, war es nicht weit. Man einigte sich also auf den Südwestteil des Kontinents. Die Reise konnte losgehen.
Heinrich Vogelsang
1983 traf die Brigg „TILLY“ unter dem Kommando von Kapitän Timpe und dem Bevollmächtigten der Firma F.A.E. Lüderitz, Heinrich Vogelsang, in der Bucht Angra Pequena (die enge Bucht) ein. Eng war die Bucht tatsächlich, denn auf den vorgelagerten Inseln hatten sich bereits die Kapholländer und Briten als Seehundsjäger niedergelassen. Der 21jährige Vogelsang ließ sich jedoch nicht verdrießen. Immer positiv denken und optimistisch bleiben! Nach dem Ankern ließen sie abends überschwänglich die Becher kreisen.
Die Weichen zu dieser weiteren Entwicklung hatten also damals dieser Bremer Großkaufmann, weiter unser deutscher krankhaft geltungssüchtige Kaiser Wilhelm II, das aristokratisch geprägte und abenteuerwillige Offizierskorps, die kaiserliche Marineleitung, der damalige Reichskanzler, Fürst Otto von Bismarck, die Politiker im Reichstag und das deutsche Großbürgertum gestellt. Also Wirtschaftsunternehmer, welche den Gedanken einer Kolonialbewegung schürten und Deutschlands Eintritt in die Reihe der Kolonialmächte im Reichstag forderten, damit der deutschen Wirtschaft neue Absatz- und Rohstoffmärkte erschlossen werden konnten und „der Aderlass an kostbarem deutschen Blut (Auswanderer nach Amerika) durch Umleitung der Auswandererströme in koloniale Neuerwerbungen des Reiches ein Ende finden“. Und ausgerechnet Dr. Fabri, der Inspektor der in Südwestafrika tätigen „Rheinischen Mission“, dessen Veröffentlichung „Bedarf Deutschland der Kolonien?“, weckte das Interesse weiterer Kreise in der Wirtschaft. In diese Zeit fällt auch die Gründung eines ersten deutschen Kolonialvereins mit der Tarnbezeichnung „Zentralverein für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Ausland.“ (vergl. Walter Nuhn, Kolonialpolitik und Marine, Bernard & Graefe Verlag, Bonn, 2002, S. 30, 31.) Das heißt, jetzt erst begann sich das Räderwerk der Politik zu bewegen. Aber das Intrigenspiel der Diplomatie lief bereits auf vollen Touren.
Großbritannien und Frankreich hatten bereits 1882 ein auf eine Handelsmonopolstellung abzielendes Abkommen über die „Abgrenzung ihrer politischen und handelspolitischen Interessensphären an der Küste von Sierra Leone und nördlich davon“ im so genannten Sierra-Leona-Abkommen geschlossen. In diesem wurden den beiderseitigen Staatsbürgern „gleiche Vorzugsbehandlung“ dort zugesichert, während die dort Handel treibenden Bürger anderer Nationen, z. B. deutsche Kaufleute, mit hohen Zollsteuern belastet werden sollten. Weiterhin waren Frankreich und Großbritannien keineswegs daran interessiert, dass dem deutschen Kaiser auch ein Stückchen Land vom afrikanischen Kuchen zukommen würde. Im gleichen Jahr, bevor die Segelbrigg „TILLY“ Deutschland in Richtung Westafrika verließ, hatte sich am 16. November 1882 Herr Lüderitz an das Auswärtige Amt in Berlin mit der Anfrage gewandt, ob er für eine geplante Bremer Faktorei an der südwestafrikanischen Küste mit Reichsschutz rechnen könne. Doch das damals nicht gerade sehr kolonialfreundlich eingestellte Auswärtige Amt beantwortete Lüderitz’ Schreiben sehr schleppend. Die Herren Beamten waren, so wie heute immer öfter, total überfordert. Um den möglichen Risiken einer Benachteiligung deutscher Handelsinteressen in dieser Region entgegenzutreten, ersuchte Reichskanzler Fürst von Bismarck daraufhin die Handelskammern der Hansestädte Hamburg und Bremen um eine Stellungnahme zu diesem heiklen Thema. In dieser auf Initiative des uns bekannten Reeders und Großkaufmanns Adolf Woermann und mit Billigung der Bremer Handelskammer verfassten Schriftstückes wurde folgendes als unerlässlich festgehalten:
Abschluss von Freundschafts-, Schutz- und Handelsverträgen mit westafrikanischen Herrschern zur Sicherung des dortigen deutschen Handels. Stationierung von Kriegsschiffen an der Küste von Westafrika, Einrichtung eines Konsulats in Westafrika, Einrichtung einer Kohlenbunkerstation der Kaiserlichen Marine auf Fernando Po, sowie sofortige Inbesitznahme des Küstengebiets der Biafra-Bucht (Kamerun), zur Anlage von deutschen Plantagen- und Handelskolonien für den Fall, dass England dort als Wettbewerber auftritt.
Nach Erhalt dieses Schriftstücks stand der Reichskanzler jetzt in der Verpflichtung gegenüber den Wirtschaftsunternehmern des Reiches. In der Angelegenheit „Lüderitz“ lässt Bismarck, um angesichts der unklaren Besitzverhältnisse Verwicklungen mit England zu vermeiden, am 4. Februar 1883 in London anfragen, ob die Regierung Ihrer Majestät an der Küste Südwestafrikas nördlich des Oranjeflusses bis südlich von der – schon damals britischen – Walvish Bay Hoheitsrechte ausübe, und, wenn ja, ob sie nicht die geplanten Besitzungen des Herrn Lüderitz dort unter ihren Schutz nehmen könne. Anderenfalls, so ließ der Kanzler durchblicken, würde sich das Deutsche Reich die Ausübung dieses Schutzes vorbehalten. Bismarck war ein Fuchs. Diese Note an London war so abgefasst, dass dort der Eindruck geweckt werden sollte, als ob die Reichsregierung den Schutz der deutschen Untertanen in Südwestafrika durch die Britische Krone begrüßen würde. Doch die Antwort der britischen Regierung war ziemlich vage und ausweichend. Britische Diplomaten waren auch ausgebuffte Füchse. Die Kapkolonie – die auch der britischen Krone unterstand – hatte zwar einige Niederlassungen an der südwestafrikanischen Küste, darunter Walvish Bay und auf einigen vorgelagerten Inseln, von denen aus Robbenfang getrieben wurde, doch außerhalb dieser Territorien könne sie keine Verantwortung für den Schutz deutscher Angehörige gewähren. Da London schon einmal – Ende 1880 – auf eine entsprechende Anfrage Berlins den Schutz der durch die blutigen Konflikte zwischen den Herero und den Nama bedrohten Stationen der Rheinischen Missionsstätten mit der gleichen Begründung abgelehnt hatten, setzte sich beim Reichskanzler Fürst von Bismarck der Gedanke durch, dass wie jeder deutsche Untertan in Übersee auch Lüderitz und seine geplanten Erwerbungen Anspruch auf Reichsschutz hätten. Daraufhin ließ er Lüderitz wissen, dass das Kaiserreich ihm und seinen Erwerbungen Schutz gewähren würde (siehe: Stunde null des deutschen Kolonialreiches: Kolonialgründung in Südwestafrika, in: Kolonialpolitik und Marine, Seite 40 -43).
Fort Vogelsang nach der Fertigstellung unweit des Ufers der Bucht Angra Pequena Aller Anfang war damals sehr schwer.
Quelle : Längin B.: Die deutschen Kolonien, In Treue fest, Deutsch Südwest
Zurück zur Landung des Handelsbevollmächtigten Vogelsang aus dem Hause Lüderitz in der Bucht von Angra Pequena. Herr Vogelsang hatte nach der Landung seine Mannschaft sofort angewiesen, eine vorgefertigte Faktorei – in der Art eines Tante-Emma-Ladens – zu bauen, damit er mit den dort lebenden Eingeborenen in den Tauschhandel treten konnte und nannte die Gebäude „Fort Vogelsang“.
Bald danach unternahm Herr Vogelsang einen fünftägigen Ritt ins Bethanierland, um dem Häuptling der Bethanier-Hottentotten einen Besuch abzustatten. Vermutlich hatten es die Geschenke des Herrn Vogelsang dem Kapitän der Bethanier-Hottentotten angetan, so dass beide in eine euphorische Stimmung kamen und sich während der Verhandlungen über Landerwerb einigten, dass Herr Vogelsang neben der gesamten Angra-Pequena-Bucht den dazugehörigen Küstenstreifen in Besitz der Firma Adolf Lüderitz nehmen durfte. Das geschah am 1. Mai 1883. Aber schon im August 1883 kam es zu einer zweiten Begegnung mit Kapitän Josef Fredericks. Bei diesem Landerwerbsvertrag vergrößerte sich der Lüderitz’sche Besitz beachtlich, immerhin vom Oranjefluss bis in den Norden zum 26. Breitengrad Süd und einer Breite ins Landesinnere von 20 geographischen Landmeilen, das hieß ca. 150 km. Der Preis für den Tausch waren Waren im Wert von 100 britischen Pfund Sterling und 200 Gewehre.
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