1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 John beobachtet die Szene wie ein Unbeteiligter. Wer ihn nicht kennt, würde sagen, dass er vor sich hinträumt. Schließlich setzt er sich doch in Bewegung. Vor dem zappelnden Keno bleibt er stehen.
„Fuck! Fuck! War das geil, was? Hart am Limit, ziemlich hart. Der Typ in dem Porsche hat ja wohl auch ‘ne Meise, mich einfach so abzudrängen. Hast du das geseh’n? John! War das nicht der Hammer?“
Kenos Stimme klingt unwirklich; viel höher als üblich. Er steht noch total unter dem Eindruck des Erlebten. Bei einem Drogenabhängigen würde man sagen: Er ist noch voll drauf.
Im Hintergrund hört John wie der sonst so sanftmütige Luca rumschreit. „DIR WAR DANACH? IST DAS DEIN ERNST? ICH FRAG DICH WIE DU DARAUF KOMMST SO EINE SCHEISSE ZU BAUEN UND DU LABERST VON ‚MIR WAR DANACH‘??“
Eine sanfte Brise lässt die Blätter des riesigen Baumes rascheln. Ein so friedliches Geräusch. Im Biergarten unterhalten sich murmelnd die Gäste; einige Kinder kreischen, während sie über das riesige Gelände toben.
John legt den Kopf schräg und beobachtet Cat wie ein exotisches Tier. Sein Verhalten ist ungewöhnlich. Er redet nicht; gibt keinen herablassenden Kommentar ab. Wäre Keno nicht so dermaßen damit beschäftigt, rumzuzappeln, um sein Adrenalin abzubauen, würde ihm sofort auffallen, welcher Sturm sich in seinem Gegenüber zusammenbraut. Erst langsam wird ihm Johns absolutes Schweigen bewusst. Doch statt sich zurückzunehmen und den Mund zu halten, stellt er eine Frage. Und genau diese Frage hätte er sich verkneifen sollen. Johns stählernes Nervenkostüm ist legendär. Doch dieses eine Mal ist Kenos arglose Bemerkung genau der Auslöser für John, seine Fassung zu verlieren. Drei Worte.
„Kotzt Bambi etwa?“ Keno reckt den Kopf Richtung Auto und runzelt die Stirn.
Dass er Mika meint ist klar. Und dass er mit diesen drei Worten sein absolutes Unverständnis für Mikas Reaktion ausdrückt ist ebenso unmißverständlich. John versteht die Welt nicht mehr. Warum tut er dem Kleinen das an? Er ist damals fast gestorben, als er versucht hat, Mika zurückzuholen. Wie kann er Mikas Angst einfach so ignorieren? Früher hat er ihn geradezu angebetet. Ich fass‘ es nicht.
John liebt seinen Chaoten, doch er liebt auch das blonde Nervenbündel da drüben, das sich gerade schwankend aufrichtet. Eine Hand presst Mika auf seinen Magen und mit dem Handrücken der anderen wischt er sich über den Mund.
Blanke Wut schießt in Sekundenschelle durch Johns Körper. Eine Millisekunde lang ist er noch gelähmt. Doch dann verliert er den Kampf gegen seine Selbstbeherrschung.
Keno hat gerade noch einen Wimpernschlag Zeit in Johns Richtung zu blicken. Wie eine Stahlramme trifft ihn dessen Faust am Kinn. Keno wird von der Wucht des Schlages nach hinten geworfen. Der breite Baumstamm hindert ihn daran, zu Boden zu gehen. Sein Hinterkopf schlägt hart auf die Rinde, so dass ihm kurz die Sinne schwinden. Alles surrt und dreht sich um ihn herum. Wie dickflüssiges Gift sickert ein Gedanke in sein Bewusstsein. Diese Erkenntnis trifft ihn heftiger als der eigentliche Schlag: Das hat er noch nie gemacht .
Und es stimmt. Sie hatten schon sehr viele Auseinandersetzungen. Manche wirklich unschön. Doch einen so gezielten, harten Schlag mitten ins Gesicht … das gab es noch nie.
Cat tastet automatisch mit einer Hand nach seinem knirschenden Kinn. Mit der anderen stützt er sich auf dem Oberschenkel ab, während warmes Blut von seiner aufgeplatzten Lippe zu Boden tropft.
„John“, haucht er völlig konsterniert. Er versucht so gut es geht geradeaus zu sehen.
John steht vor ihm, nach außen hin immer noch völlig kalt. Seine grau-blauen Augen ruhen starr und scheinbar ungerührt auf Kenos blutverschmiertem Gesicht.
Kenos Knie beginnen zu zittern.
„Ich muss dir … was sagen“, stottert er kaum verständlich.
Sein verzweifelter Blick versucht irgendeinen Funken von Mitgefühl in Johns Augen zu entdecken. Vergeblich.
„Ich will es nicht hören“, erwidert John leise.
„Aber …“ Cats Augen füllen sich mit Tränen. „Ich will dir … erklären. Es tut mir wirklich leid.“ Seine Stimme wird immer leiser, denn John dreht sich einfach um und lässt ihn stehen.
Mika hat sich inzwischen beruhigt und sein Gesicht an einem fröhlich plätschernden Brunnen gesäubert. Er steht am Wagen und blinzelt John entgegen. Den Schlag hat er mitbekommen. Das konnte er wahrlich nicht übersehen. Doch im Moment fehlen Mika einfach die Nerven, sich in das Geschehen einzuschalten.
„Sollen wir fahren?“, bietet John an.
„Was ist mit ihm?“, will Mika wissen und deutet mit dem Kinn in Kenos Richtung.
„Der kommt schon irgendwann. Ich frag‘ mal Luca, ob er auch die Schnauze voll hat.“
„Sollten wir nicht …“ Doch Mika wird jäh unterbrochen, denn in diesem Moment startet mit lautem Dröhnen Cats Maschine. Er gibt Gas und das Hinterrad bricht dabei kurz auf dem Schotter aus. Es dreht eine Sekunde lang durch und lässt die Steine spritzen. Dann verlässt Keno den Parkplatz und rast davon. Fast im gleichen Moment kommt Jackson angerannt, setzt seinen Helm auf und startet ebenfalls sein Motorrad. Wie der Blitz verfolgt er seinen Kumpel.
„Na wunderbar!“, kommentiert John lakonisch. „Glänzender Abgang!“
Auf der gegenüberliegenden Seite des Wagens legt Mika die überkreuzten Arme auf das Wagendach und presst sein Gesicht dagegen. Er zittert am ganzen Körper. John umrundet den BMW und dreht den völlig fertigen Kleinen mit festem Griff zu sich herum. Starke Arme halten ihn. John streichelt Mika beruhigend über den Rücken.
„Was ist nur los mit ihm?“, jammert Mika vorwurfsvoll. „Er bringt sich noch um; ganz bestimmt bringt er sich mit dem Ding jetzt um.“
„Der hat sieben Leben“, brummt John ihm ins Ohr. „So schnell beißt der nicht ins Gras.“
Mika löst sich aus der Umarmung. „Sechs! Jetzt hat er nur noch sechs Leben!“, korrigiert er John und wischt sich die vom kotzen roten wässrigen Augen. In diesem Moment stößt Luca zu ihnen. Auch sein Gesichtsausdruck spricht Bände.
„Fahren wir?“, fragt er mit bitterer Stimme.
Auch er scheint keine Lust mehr auf einen relaxten Tag im Biergarten zu haben.
*
Fast hätte Jackson Kenos Maschine übersehen. Keine zehn Kilometer weiter steht sie vor einer typischen Spießerkneipe, wie es sie zu Tausenden auf den Dörfern gibt. Braun getönte Butzenscheiben, ein dicker Filzvorhang in der Eingangstüre und das ‚DidudummDidudumm‘ eines Spielautomaten begrüßen ihn. Seine engen Lederklamotten und die verschwitzten blauen Haare sorgen für etliche abschätzige Blicke. Vereinzeltes leises Lachen dringt an seine Ohren. Keno sitzt in der hintersten Ecke auf einer Holzbank mit ‚hübschen‘ dunkelgrün gemusterten Polstern. Finster starrt er auf die zerkratzte Tischplatte, während er sich an einem Glas Wasser festhält. Jackson seufzt erleichtert auf.
„Da bist du ja, Mann! Wieso haust du einfach ab? War doch klar, dass die sich alle aufregen würden. Das haben wir doch schon immer gesagt. Wenn wir mal richtig Gas geben, flippen die aus. Deine Worte. Und was hab‘ ich gesagt?“
Kenos Blick verschmilzt geradezu mit seinem Glas. „Is‘ mir egal“, antwortet er murmelnd.
„Genau!“ Jackson lässt sich stöhnend auf den Stuhl gegenüber sinken. Er sucht den Blick des Wirtes.
„Auch ein Wasser!“, ruft er und zeigt dabei auf Kenos Getränk.
„Wasser oder Wodka-Tonic?“, fragt der dicke Mann gelangweilt zurück.
Jackson dreht sich blitzschnell wieder in Kenos Richtung.
„Du besäufst dich hier? Bist du jetzt total durchgeknallt?“
Keine Reaktion. Wie um Jacks zu provozieren, setzt Keno das Glas vorsichtig an seine lädierten Lippen und trinkt es mit vier großen Schlucken aus. Ohne in die Richtung des Wirtes zu blicken, hält er sein leeres Glas hoch und bestellt: „Noch einen!“
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