Das ging aber schnell , fällt Mika noch auf, als Keno in die Küche humpelt.
Abwehrend hebt er beide Hände. „Nicht aufregen, meine Lieben. Nix passiert. Hab‘ mir nur ein wenig beim Rennen gegen Jacks den Knöchel aufgeschrammt. Wir waren in der Kiesgrube. Und nein … keine Angst … meinem Motorrad ist nichts passiert. Jacks hat mir eine alte …“
Mika richtet sich pfeilschnell auf. „Aufgeschrammt?“, unterbricht er misstrauisch den fröhlich plappernden Heimkehrer. Er senkt den Blick. Eine zerfetzte Socke rahmt den blutigen rechten Fußknöchel wie ein perverser Bilderrahmen ein. Die rechte Ferse hinterlässt bei jedem Schritt einen unübersehbaren Abdruck auf dem Küchenboden.
„Aufgeschrammt?!!“ Das war schon ein wenig lauter. „Du blutest wie ein Schwein!“
Keno winkt lässig ab, setzt sich eine Wasserflasche an den Hals und trinkt mit gierigen Schlucken. Als er absetzt, rülpst er zufrieden. Sein Blick fährt amüsiert über Johns desolate Erscheinung.
„Na? Du bist wohl auch nichts mehr gewohnt, was? Hat Ben dich gestern unter den Tisch gesoffen?“
John verzieht höhnisch den Mund. „Was lässt dich vermuten, dass Ben noch lebt?“, gibt er arrogant zurück. Anschließend grinsen sich beide kurz an.
Mika springt auf und knallt einmal mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Hallo!! Bin ich hier der Einzige, der halbwegs normal ist?“
Keno humpelt an Mika vorbei und steuert sein Zimmer an. Er lässt seinen Geliebten einfach stehen. Wie zur Salzsäule erstarrt, reißt Mika empört Augen und Mund gleichzeitig auf. Fassungslos weist er mit flacher Hand in Kenos Richtung.
„Ist das normal?! Der jagt mit diesem Geisteskranken durch die Kiesgrube und zieht noch nicht mal seine Stiefel an.“ Mikas Empörung steigert sich zur Hysterie. „Was hätte alles passieren können? Ein Wunder, dass sein Fuß noch dran ist!“
Derweil ertönt ein äffendes „Mimimimimi“ aus Kenos Richtung. „Reg‘ dich ab, Bambi. Bring‘ mir lieber was zum Desinfizieren.“
John nähert sich Mika behutsam mit erhobenen Händen.
„Schsch, beruhig‘ dich, ja? Ich rede mit ihm!“, raunt er und erreicht damit wenigstens, dass sich Mika nur noch schwer atmend gegen die Tischplatte lehnt. Die Arme verschränkt er vor der Brust. Eine trotzige und schützende Geste in einem.
Auch John atmet tief durch. Na, dann wollen wir mal , spricht er sich selbst in Gedanken Mut zu. Er hat wirklich keinen Bock auf eine Auseinandersetzung dieser Art. Doch seit sie zu dritt leben, kommt man eben nicht immer um solche Diskussionen herum. Schon gar nicht mit so einem sturen Esel wie Cat. John schreitet zielstrebig Richtung Badezimmer. Mit Desinfektionszeug und Verbandsmaterial bewaffnet betritt er Kenos Zimmer. Der verzieht gerade leidend das Gesicht, als er die Reste der Socke über seinen rechten Fuß schält. John schließt hinter sich die Türe.
Vor seinem Chaoten kniend breitet er ein Handtuch unter seinem Fuß aus.
„Musste das sein?“, knurrt John, ohne nach oben zu blicken. „Was ist los mit dir?“
Cat lässt sich hinterrücks in sein Bettzeug sinken. Mit „Euer Weibergetue geht mir voll auf den Sack!“ hat er alles gesagt. Jetzt hebt John doch seinen Blick.
So, so. Weibergetue , wiederholt er in Gedanken, bevor er das scharf riechende Desinfektionsmittel einfach über den blutigen Knöchel gießt. Ein durchdringender Schrei und Keno sitzt wie eine Eins auf dem Bett.
„Du Arsch! Geht das auch was vorsichtiger?“, mault er lautstark.
„Wer ist jetzt hier das Weib?“, erwidert John ruhig. Er drückt Keno die Flasche in die Hand und steht auf. „Glaubst du, ich mach‘ dir hier die Florence Nightingale und lass mich auch noch blöde anmachen?“, poltert er los. „Du benimmst dich wie ein völlig durchgeknallter Idiot. Bilde dir bloß nicht ein, dass Mika und ich uns das noch lange gefallen lassen.“
„Aaah“, jammert der Held in Leder lauthals. „Was ist das? Salzsäure?“, zischt Keno zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
John stemmt die Hände in die Hüften. „Irgendein Chlorreiniger!“, grinst er hämisch. „Schön drauf damit. Vor allem auf die Stellen, an denen die Haut in Fetzen hängt.“
Kenos ganzes Gesicht verzieht sich vor Schmerz und Ekel.
„Kannst du das nicht zu Ende bringen? Wenn ich mich jetzt noch die ganze Zeit vornüber beuge, wird mir endgültig schlecht.“
„Oooh, echt?“ heuchelt John gespielt erstaunt zurück. „Weißt du was?“
Mit verzagtem Gesichtsausdruck blickt Keno zu ihm auf. „Was?“, jammert er mitleiderregend.
„Fick dich, Bambi!“, stellt John ruhig fest, dreht sich auf dem Absatz um und verlässt den Raum.
„Fick dich doch selber!“, brüllt Keno ihm hinterher. Bang! Das ist wohl das Desinfektionsmittel, welches da von innen gegen die Türe knallt. „Mika und ich! Mika und ich!“, keift er geifernd hinterher.
„Und glaub bloß nicht, dass Mika die Sauerei wegwischt!“, ruft John ungerührt vom Flur aus. „Dein Zimmer! Das machst du gefälligst selber sauber!“
„Du blöder Wichser!“, schreit Keno, nur um hinterher laut aufzuheulen. „Aauu, verdammt!!“
„Mimimimimi“, äfft John Kenos Gemeinheit von vorhin nach und grinst immer noch, als er die Küche betritt.
„Hast du mit ihm geredet?“, fragt Mika mit besorgtem Gesicht.
„Klar, Süßer!“, beruhigt John ihn. „Dem geht’s schon bald wieder besser.“
„Er hat ganz schön gebrüllt!“, wendet Mika misstrauisch ein.
John fährt ihm zärtlich durch den strubbligen Haarschopf.
„Du kennst ihn doch. Man muss ihn immer erst mal ein wenig schreien lassen.“
Sie lächeln sich an. Wenigstens fühlt sich Johns Kopf schon viel besser an.
„Komm, ich lad‘ dich zu einer Pizza ein!“, fordert er Mika auf. „Ich brauch‘ dringend was Fettiges.“
Mika lacht laut auf. „Es ist erst 11:00 Uhr.“
John schlendert bereits Richtung Haustüre. „Wir finden schon was“, erwidert er fröhlich.
*
Keno starrt auf die Sauerei, die er veranstaltet hat. Glänzend sickert immer noch ein kleines Rinnsal vom Desinfektionszeug am Türblatt herunter, während die am Boden liegende Flasche ihn hämisch an seinen Jähzorn erinnert.
Da ist keine Wut mehr in seinem Blick … nur noch Verzweiflung und Trauer. Sie sind tatsächlich einfach abgehauen. Kein Wunder! Wenn man sich so beschissen benimmt wie ich. Keno stöhnt auf, als er seinen Fuß bewegt. Sie waren bei Jackson zu Hause gewesen. Der bewohnt mit seinem heißgeliebten Luca eine stattliche Villa am Rande von Loewenherz. Die Hälfte einer alten Scheune hat er sich zum Motorrad-Paradies umgebaut. Dort stehen seine zweirädrigen Schätzchen trocken und geschützt. Egal bei welchem Wetter: hier kann man nach Herzenslust herumschrauben. Und das hatten sie auch vor. Deshalb waren direkt zu Beginn ihres Treffens Kenos schwere Motorradstiefel in irgendeine Ecke geflogen und bequemen Sportschuhen gewichen.
Nach einer Stunde begann Jackson von seinen krassen Ausflügen in die nahegelegene Kiesgrube zu erzählen. Wie geil das ist, dort mit einer Motocross-Maschine durchzujagen. Sie hatten sich gegenseitig durch ihr Gerede hochgeputscht, bis Jackson ihm schließlich seine leichte Cross-Maschine vorgeführt hatte. Auch Keno drehte erst einmal eine Runde durch den parkähnlichen Garten. Wow, war das Teil wendig! Natürlich kein Vergleich zu seinem neuen Motorrad, doch ideal, um gewagte Manöver in unwegsamem Gelände zu starten. Die Kiesgrube liegt ja kaum zehn Minuten entfernt. Jacks hatte doch tatsächlich noch ein älteres Duplikat seines leichten Cross-Bikes in einer Ecke des Schuppens stehen. Das Teil zu checken und einen Schluck Sprit einzufüllen war in Minutenschnelle erledigt. Tja, und spätestens ab diesem Moment war von Motorrad-Stiefeln keine Rede mehr.
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