Am nächsten Morgen in der Früh würde sie zu ihrer Oma fahren und mit ihrer Cousine Nina spielen. Darauf freute sie sich. Nur schade, dass Papa wieder einmal arbeiten gehen würde und keine Zeit für sie hatte. Da Emma sehr müde war, schlief sie über diese Gedanken ein.
Tags darauf, nach dem Frühstück packte Leon seine Ritterspielsachen ein und die Fahrt konnte endlich beginnen. Aber bereits nach etwa fünf Minuten fiel Leon ein, dass er sein gemaltes Bild für Oma vergessen hatte. Also wendete Emmas Mama den Wagen und fuhr zurück. Als sie wieder vor ihrem Haus standen, bat ihre Mutter sie: „Emma, holst du bitte das Bild von Leon. Es liegt in seinem Zimmer auf dem Tisch." Murrend schnallte sich Emma ab und trottete zur Haustür. Als sie wieder heraus kam, lief ihr auch noch ein Junge vor die Füße. Emma sah genauer hin und erkannte den Jungen, der gestern im Musical den Löwen gespielt hatte. „Was für 'ne Lusche", dachte sich Emma. Ein Junge der tanzt, konnte doch gar kein richtiger Junge sein. Sie schubste ihn unsanft aus dem Weg und lief zum Auto, ihre Mutter wunderte sich zwar, wo Emma so lange gewesen war, fragte aber nicht nach. „Endlich!", nörgelte Leon, „das hat ja 'ne Ewigkeit gedauert." Am liebsten hätte Emma Leon mal ihre Meinung dazu gesagt, aber sie wollte keinen Streit anfangen, also hielt sie ihren Mund.
Nach einer Stunde Fahrt waren sie da. Leon sprang gleich aus dem Auto, als er Frederik sah. Das war der Hund ihrer Oma, mit dem, so meinte zumindest Leon, man prima Ritter spielen konnte. Emma tat der Hund eher leid, denn wer wusste schon, was Leon alles mit ihm anstellte. Sie selbst war aber auch froh, dass sie da waren, sie hatte ihre Oma schon fünf Monate lang nicht mehr gesehen, von Nina ganz zu schweigen. Sie spielten lange gemeinsam Monopoly und Karten und erzählten sich gegenseitig, was alles in der Zwischenzeit passiert war. Emma erzählte auch von ihren beiden Freundinnen Sarah und Maria und von Lea, ihrer besten Freundin, mit der sie leider nicht in eine Klasse kommen würde.
Der Nachmittag ging nach Emmas Meinung viel zu schnell um. Bei Oma war das Leben immer so einfach und so friedlich, so sollte es eigentlich immer sein. Als sie ins Auto stiegen, rief ihr Nina noch hinterher: „Kommt bald mal wieder."
Während der Heimfahrt drehte Leon mal wieder auf. „Wann sind wir endlich da, ich habe Hunger und Durst und auf die Toilette muss ich auch mal." Emmas Mama antwortete mit ziemlich genervter Stimme: „Leon, wir halten an der nächsten Raststätte an und dann kaufen wir dir was zu essen und zu trinken und da kannst du auch auf die Toilette." Die nächste Raststätte war schon in Sicht, da fragte Leon verlegen: „Mama, haben wir eine zweite Hose für mich dabei?" „Oh nein", stöhnte Emma, „Leon hat sich in die Hose gemacht."
Zuhause zog Emmas Mutter Leon um und Emma las ihr Buch weiter. Während sie las, ging ihr merkwürdigerweise ständig der komische Junge durch den Kopf. Nach dem Abendessen ging Emma ins Bett. Sie war total müde und schlief sofort ein. Ihr Vater war immer noch nicht wieder nach Hause gekommen.
Den Abend hatte sich Nico anders vorgestellt. Es gab Spinat zum Abendessen, obwohl seine Mutter genau wusste, dass Nico keinen Spinat mochte. Das Fernsehprogramm durfte heute Mia auswählen und „Die kleine Prinzessin", eine langweilige Kleinkindersendung, konnte Nicos Laune natürlich auch nicht heben. Also las er noch ein bisschen im Bett und schlief dann schlecht gelaunt ein.
Als Nico am nächsten Tag aufwachte, wollte er nicht zur Schule gehen. Er wäre viel lieber auf die professionelle Jazzschule gegangen, aber nein, seine Eltern hatten ihn ja nach Frankfurt schleppen müssen.
Emma fieberte dem ersten Schultag nach den Ferien schon entgegen, sie freute sich auf ihre neue Klasse, war aber auch ein bisschen traurig, weil ihre Freundin Lea in eine andere Klasse kommen würde.
Frau Fink brachte Nico in die Schule. Beide gingen ins Sekretariat und wurden dort vom Schulleiter begrüßt. „Ihr Sohn wird sich schnell an unsere Schule gewöhnen, wir freuen uns auf ihn! Falls es Probleme gibt, so lassen sie mich das wissen, ja?" Das war bisher immer so gewesen. Schon zweimal zuvor war Nico an neuen Schulen so begrüßt worden. Nach wenigen Tagen hatte es immer die gleichen Probleme gegeben, aber daran konnte kein Direktor der Welt etwas ändern. Die Hoffnung sollte man ja nie aufgeben, vielleicht waren seine neuen Mitschüler ja wirklich anders, netter, freundlicher zu ihm.
Nachdem sich Frau Fink bedankt und verabschiedet hatte, geleitete die Sekretärin Nico zu seinem neuen Klassenraum. Dort wartete er vor der Tür. Er fühlte sich ziemlich einsam und spürte die neugierigen Blicke vorbeilaufender Schüler in seinem Rücken. Ein paar von ihnen blieben stehen und warteten, dass der Unterricht beginnen würde. Nico schaute auf seine Uhr. Ob die Zeit noch reichte, um auf die Toilette zu gehen, weil er das zu Hause vergessen hatte? Er bog ein wenig zu schnell um die Ecke, denn er berührte das entgegenkommende Mädchen unsanft am Arm. „Aua, pass doch auf!", schrie das Mädchen ihm hinterher. Als Nico nach hinten blickte, sah er am Ranzen des Mädchens einen Anhänger mit dem Schriftzug: Emma. Sie erkannte Nico wieder. „So ein Mist, schon wieder der!", schimpfte sie laut vor sich hin. Als Nico zurück zur Klasse kam, schlenderte gerade der neue Lehrer um die Ecke. Er schloss die Tür auf und ging in den Klassenraum, die Kinder folgten ihm. Nico setzte sich auf einen Platz ganz weit hinten. Neben ihm saß ein Junge mit dunkelbraunen Haaren und einem roten Pulli. Als alle Schüler einen Platz gefunden hatten, stellte sich der neue Lehrer als Herr Hartmann vor. Dann sollten sich die Schüler vorstellen. Nico erfuhr, dass das merkwürdige Mädchen Emma Bauer hieß und zwölf Jahre alt war. Ihre Hobbies waren Lesen, Rätsel lösen und Shoppen. „So ein doofes Hobby", dachte Nico. Der Junge mit den dunkelbraunen Haaren hieß Matthias, war dreizehn Jahre alt und spielte gerne Fußball. Dann war Nico an der Reihe. Er erzählte, dass er Nico Fink hieß, dreizehn Jahre alt war und gerne Jazz tanzte, weiter kam er nicht. Die anderen unterbrachen ihn durch ein Kichern, aber das Kichern wurde zum Lachen und dann zum Grölen. Die Klasse lachte ihn aus! Nur Herr Hartmann klatschte in die Hände und rief: „Ruhe! Ruhe bitte! Tanzen ist doch auch eine ganz normale Sportart!"
Die nächsten Schulstunden waren die Hölle. Viele Mitschüler ließen immer wieder beleidigende Sprüche los. So meinte Bernd zum Beispiel, nachdem Nico eine falsche Lösung an die Tafel geschrieben hatte: „Tänzer haben halt nichts im Hirn!" Als es nach einer weiteren dieser fürchterlichen Stunden endlich zur Pause klingelte, war Nico einer der letzten, die den
Klassenraum verließen. Im Flur wurde, wie so oft, gedrängelt und Nico wurde hin und her geschubst. Er wollte sich gerade bei dem Mädchen entschuldigen, das er versehentlich angerempelt hatte, da erkannte er, dass es Emma war. Sie fauchte: „Lass mich gefälligst in Ruhe, du Jazz-Hirni rempelst mich schon zum dritten Mal an! Wenn du mir noch ein einziges Mal wehtust, dann geh ich zum Direktor und dann gibt es Stress!" Daraufhin erwiderte Nico nur kurz „Ja, ja, ist schon gut, ich werde aufpassen!" Dann lief er weg. Emma dachte: „Was für ein Feigling, hat Angst vor Mädchen."
Als die Schule endlich zu Ende war, wurde Emma von ihrer Mutter abgeholt. Ihr kleiner Bruder war auch dabei, er redete unablässig auf sie ein und erzählte, was ihm heute in seiner Schule passiert war. Emma war genervt.
Nico musste nach Hause laufen, denn seine Eltern mussten arbeiten. Als seine Eltern am Abend endlich nach Hause kamen, fragten sie neugierig, wie der erste Tag in der neuen Klasse gewesen sei. Als Nico erzählte, dass sie ihn Jazz-Hirni genannt und blöde Sprüche losgelassen hatten, wollten sie gleich mit dem Klassenlehrer reden, aber Nico meinte: „Das ist nicht nötig. Das kann ich selbst machen!"
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