Der Postbote bewegt langsam den Kopf in Hansis Richtung und ebenso langsam beginnt er zu sprechen.
„Guten Morgen, junger Mann. So früh schon auf den Beinen?“
Der Querxenjunge reicht Herrn Schneck den Brief.
„Ich habe hier eine ganz wichtige Nachricht an die Menschen. Sie müssen unbedingt erfahren, dass der Knollenblätterpilz sehr giftig ist.“
Der Postbote nimmt den Brief und fragt gleichgültig:
„Und wissen sie das nicht?“
„Nicht alle, vor allen Dingen kleine Kinder nicht!“, antwortet Hansi aufgeregt. „Also bitte machen Sie schnell! Bringen Sie den Brief zum Fernsehstudio, damit die Menschen gewarnt werden können.“
Unbeeindruckt dreht Meister Schneck den Brief hin und her und besieht ihn von allen Seiten.
„Mhm“, sagt er dann. „Eine Briefmarke ist darauf. Das ist schon mal gut. Ein Absender? Ist auch da.“
„Ja, ja und eine Adresse auch!“, unterbricht ihn der Querxenjunge ungeduldig.
Vor Aufregung hüpft er hin und her.
„Bitte Herr Schneck, könnten Sie nicht? Ich meine - gehen Sie endlich. Verstehen Sie nicht, es ist dringend!“
„Ich weiß schon“, entgegnet der Postbote. „Ihr jungen Leute habt es immer eilig. Immer heißt es nur schnell, schnell. Aber gut wenn es wirklich so dringend ist, müssen die anderen Waldbewohner ihre Briefe eben erst morgen abgeben. Normalerweise stehe ich nämlich den ganzen Vormittag hier auf dieser Waldlichtung. Ich bin nämlich gewissermaßen der Briefkasten und der Postbote in einer Person.“
Mit diesen Worten wendet sich Meister Schneck um, bläst in sein Posthorn und setzt sich endlich in Bewegung.
Hansi sieht ihm besorgt hinterher. Das geht aber langsam! Am Ende hatten die Kinder den Pilz schon gegessen, ehe die Nachricht überhaupt gesendet wurde. Oder wer weiß, vielleicht schalten sie gerade heute weder ein Radio noch ein Fernsehgerät ein.
Ich muss sie suchen, denkt der Querxenjunge und schon rennt er los.
Als er eine Weile gelaufen ist, hört er in der Ferne jemanden aufgeregt rufen.
„Zu Hilfe, liebe Leute! Zu Hilfe!“
Hans bleibt stehen und lauscht. Kein Zweifel, da ruft jemand um Hilfe. Schnell läuft er in die Richtung aus der die Stimme kommt und bald erkennt er am Rande einer großen Pfütze eine Ameise aufgeregt hin und her laufen.
„Mein Kind ertrinkt, mein Kind!“, jammert sie laut.

Die kleine Ameise streckt ihre Ärmchen aus und sobald sie den Halm erreicht hat, hält sie sich daran fest und zieht sich mit aller Kraft nach oben. Flink klettert sie auf den Grashalm und Hansi zieht ihn vorsichtig aus dem Wasser. So erreicht die kleine Ameise klatschnass und zitternd festen Boden.
Überglücklich schließt die Ameisenmutter ihr Kind in die Arme. Tränen laufen ihr übers Gesicht. Als sie sich einigermaßen beruhigt hat, wendet sie sich an Hansi.
„Wie kann ich dir nur danken, lieber Querx“, fragt sie. „Ohne dich wäre mein liebes kleines Mädchen ertrunken. Ich würde dir so gern eine Freude machen. Komm nur mit in unser Haus! Ich habe in meinem langen Leben eine Menger schöner Dinge zusammengetragen. Was immer du willst, kannst du mitnehmen. Oder hast du vielleicht Hunger oder Durst? Komm nur, komm! Ich habe Walderdbeerkuchen und Brombeermost zu Hause.“
Hansi läuft das Wasser im Munde zusammen. Walderdbeerkuchen ist sein allerliebster Lieblingskuchen. Und einen Schluck Brombeermost könnte er eigentlich auch vertragen!
Gerade will er sich mit den freundlichen Ameisen auf den Weg zu ihrem Bau machen, als ihm die Kinder wieder einfalen. Erschrocken bleibt er stehen und schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn.
„Ah nein!“, sagt er. “Ich habe ja keine Zeit! Während ich mir den Bauch mit feinem Kuchen und leckerem Saft vollstopfe, vergiften sich die armen Kinder womöglich.“
„Arme Kinder?“, fragt die Ameise erstaunt.
„Zwei Kinder sind in den Wald gekommen und haben den Grünen Knollenblätterpilz mitgenommen. Nun muss ich sie finden, um ihnen zu sagen, dass sie ihn auf keinen Fall essen dürfen. Und das Schlimmste daran ist, dass ich nicht einmal weiß, wo ich sie suchen soll.“
Die Ameise wiegt nachdenklich den Kopf.
„Vielleicht kann ich dir helfen“, sagt sie schließlich. „Falls du mit Kindern kleine Menschen meinst, die heute Morgen mit Säckchen und Körben in den Wald gelaufen sind, wohnen sie bestimmt im Zeltlager, dort drüben, hinter dem großen Feld.“
Hansi nickt dankbar. Vielleicht hat die Ameise wirklich Recht. Schnell verabschiedet er sich von den beiden und setzt seinen Weg fort.
Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Ich muss mich beeilen, denkt Hansi. Hoffentlich wollen sie die Pilze nicht zu Mittag essen! Nicht auszudenken, wenn sie für das ganze Ferienlager gekocht werden.
Der Querxenjunge läuft also so schnell ihn seine kleinen Beine tragen in die Richtung, die ihm die Ameise gewiesen hat.
Ganz in seiner Nähe ertönt plötzlich ein schriller Pfiff.
Wie aus dem Erdboden gestampft, erscheinen vier große kräftige Hamster und verstellen ihm den Weg.
„He, was soll das denn?“, fragt Hansi ärgerlich. „Lasst mich durch! Ich habe keine Zeit.“
Doch die Hamster denken gar nicht daran, den Weg frei zu geben.
Mit bösen, heiseren Stimmen beginnen sie zu singen:
“Wir sind die starken Hamster
Und wohnen tief im Wald
Und willst du mit uns streiten,
verdreschen wir dich bald.“
„Ich will überhaupt nicht mit euch streiten!“, entgegnet der Querx ungeduldig. „Ich will nur hier entlang und ich habe wirklich keine Zeit.“
„So, du hast also keine Zeit!“ Der dickste Hamster baut sich breitbeinig vor Hansi auf.
„Ich weiß schon, warum du keine Zeit hast. Wir haben gehört, was du der Ameise gesagt hast. Du willst die Menschen retten.“
„Aber daraus wird nichts“, fährt der zweite Hamster fort. „Sie sind selbst schuld. Was trampeln sie hier herum, pflücken unsere Beeren, stehlen unsere Pilze. Sollen sie doch sehen, was sie davon haben!“
„Das wird ihnen eine Lehre sein!“
Auch die anderen zwei kommen näher und packen Hansi mit festem Griff an den Armen.
Der Querx wendet sich hin und her und versucht verzweifelt sich loszureißen. Doch die Hamster sind viel stärker und halten ihn fest.
„Seid ihr denn verrückt geworden“, schreit der Querxenjunge sie wütend an. „Das sind Kinder! Sie sterben vielleicht, wenn ich sie nicht rechtzeitig warne.“
Die Hamster lachen höhnisch. Inzwischen hat einer von ihnen einen dicken Strick geholt, mit dem sie Hansi an Händen und Füßen fesseln. Dann schleppen sie ihn zu einer Höhle, werfen ihn hinein und verschließen das Gitter vor der Tür.
„So hier bleibst du! Wenn sich die Kinder vergiftet haben, lassen wir dich wieder frei.“
Der Querxenjunge sieht sich mutlos in dem dunklen Loch um. Wie soll er nur hier herauskommen?
Von draußen dringen die Stimmen der Hamster zu ihm herein.
Der größte und dickste Hamster scheint ihr Anführer zu sein. „Dax!“, sagt er. "Du bewachst ihn. Wir gehen ins Dorf, mal sehen, ob wir etwas zu essen finden.“
„Warum gerade ich?“, mault der Angesprochene. „Das Gitter ist doch zu, wie soll er hier herauskommen.“
„Ruhe!“, entgegnet der dicke Hamster böse. „Du bleibst hier und passt auf!“
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