Franziska Hochwald
Abstürzen für Anfänger
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Franziska Hochwald
Abstürzen für Anfänger
Eigentlich wollte ich ja mit einem Porsche 911 Cabrio hier hoch fahren, so richtig mit Stil. Hätte den Wagen vielleicht vormerken sollen beim Mietwagenservice. Hätte hätte Fahrradkette. Um mal gleich zu Anfang mit blöden Sprüchen und stillosem Klamauk um mich zu werfen. Heute ist mein letzter Tag. Oder meine letzte Nacht. Und da gibt es keinen Stil, kein gutes Benehmen und keine Sorge, dass irgend jemand meine Ausdrucksweise billig finden könnte. Heute Abend gibt es nur mich und meine beste Zuhörerin, also immer noch nur mich. Wenn ich den Großen Zensor in mir ignoriere, wird das eine gute Nacht.
Ich hab dann einen Opel Corsa genommen. Das fand ich passend. Mittelmäßig wie alles. Wenn ich tot sein will, dann kann ich das ja genauso mittelmäßig angehen, wie ich gelebt habe. Bin zum Edeka gefahren, Whisky kaufen. Wenn es kein 911er ist, dann brauche ich auch keinen Glenmorangie 18, dann tut es auch der Famous Grouse blended, davon kriegt man zwar einen üblen Schädel, aber heute nacht muss mich das nicht mehr interessieren. Einen Schädel spürt man schließlich nicht mehr, wenn man tot ist.
So gesehen ist der Platz hier oben am Grünen Felsen fast zu ausgesucht. Mein Auto steht bei der Gaststätte in St. Johann, und ich sitze hier mit dem Blick vom Albtrauf runter über das ganze Land. Vielleicht sollte ich mir für diese letzte Nacht einen mittelmäßigeren Platz suchen, das wäre konsequent. Das Dach einer Fabrikhalle? Zu viel Industrieromantik. Ein Parkhaus? Dito und beides nicht hoch genug. Die Aichtalbrücke? Schon besser, aber vielleicht kommt dann irgend ein Depp angefahren, der mir in einem Anfall von Empathie den Abend versaut.
Also bleib ich hier, auf meiner Bank am Grünen Felsen. Nur ich, meine Wolldecke aus Kreta, die Flasche Scotch und ein billiger Tabak.
Im Wald hinten raschelt es, es ist windig und viel zu kalt für eine Sommernacht, aber egal. Heute ist mein fünfzigster Geburtstag, und ich finde, wenn man 50 Jahre lang darauf gewartet hat, dass man tot ist, und nichts passiert, dann wird es Zeit nachzuhelfen.
Ich packe meine Sachen aus. Den Whisky nehme ich auf den Schoß und den Tabak lege ich neben mich auf die Bank. Dann noch das iPhone und die Bluetooth Box daneben. Erst mal Musik. Vielleicht Jack White, mit Alone In My Home. I’m becoming a ghost singt er. Ist auch eine Lösung, Songs machen, in denen man sich in einen Zombie verwandelt, zusammen mit den ganzen anderen Dämonen, die so zu Besuch sind. Der Blick über das Land ist auch eher gespenstisch, so im Mondlicht. Man kann keine Einzelheiten erkennen, aber hier oben, wo die Landschaft jäh abbricht, wirkt der Himmel größer als im Stuttgarter Kessel.
Ich gehe vor zur Felskante und schaue runter. Sind das acht, zehn, fünfzehn Meter? Das lässt sich schwer sagen. Felsen, ein paar Sträucher und dann wird es diffus. Auf alle Fälle ist es aber tief genug.
Arschkalt ist es. Arsch. Kalt. Siebzehn Jahre lang habe ich mich bemüht eine gute Mutter zu sein und keine Ausdrücke zu sagen. Mein Sohn Paul – auch so ein mittelmäßig populärer Name, wie konnte ich nur? –, der nennt Mädchen grundsätzlich nur Bitches, und meine Tochter Lena zeigt allen den verbalen Mittelfinger, die ihr nicht passen. Welchen Sinn macht es da, auf Wörter wie Arsch oder Scheiße zu verzichten, wenn alles eh nur noch fick dich ist?
Es sind meine Kinder. Und ja, natürlich haben sie einen Vater, das ist biologisch nun mal nicht anders zu haben. Aber über den will ich jetzt nicht nachdenken. Denke nicht an einen rosa Elefanten. Der Große Zensor zählt die billigen Sprüche mit. Zwei.
Es war ein ganz hinreißender Geburtstag heute. Meine Kinder sagten beim Frühstück: Alles Gute Mom. Dann hatte ich jede Menge Zeit, einen Artikel für die Grüne Woche fertig zu schreiben. Und genug zu tun, um nicht an meinen früheren Job zu denken bei einer wirklich guten Tageszeitung im Feuilleton. Es gibt erstaunlich viele rosa Elefanten in meinem Leben. Eigentlich denke ich ununterbrochen an das, was ich mir vornehme auszublenden. Ich denke, was ich nicht denken will. Schönes Koan für Zen-Buddhisten. Also nicht denken. Also über Mülltrennung in der Grünen Woche schreiben, Mittagessen für die Kinder hinstellen, drei Wäschen machen, 40 bunt, 40 hell und Bettwäsche.
Wenn ich mir den Tag heute noch mal durch den Kopf gehen lasse, muss ich erst mal den Famous Grouse aufmachen. Der erste Schluck ist warm und freundlich. Mother’s little helper würden die Stones singen. Mütter kommen eigentlich nicht vor in der Popmusik. Außer wenn sie frustriert sind, sich zudröhnen, oder als Mutter von einer gewissen Sylvia, die den Sänger von Dr. Hook am Telefon abwimmelt. Drogen und Verbote. Die Drogen sind okay. Aber ich verbiete mir nichts mehr.
Heute Nacht denke ich. Ich denke alles, was kommt. Heute gibt es nichts mehr, was ich nicht denken darf. Keine Tabus mehr. Keine selbstgebastelten Richter, die meine Gedanken bewerten, die den Großteil davon verurteilen und nur die kleinen, harmlosen und ungefährlichen freilassen. Heute ist Revolution, das System wird abgeschafft, Freiheit für alle Gedanken. Heute ist mein 50. Geburtstag.
Der Große Zensor lacht sich einen.
Mein Mann kam heute eine Stunde früher von der Arbeit. Mit einem Gutschein für ein Wochenende zu zweit – gekauft im Internet bei Secret Escapes, da gibt es die nobleren Locations zum Billigpreis. Ist ja auch völlig egal, was er dafür bezahlt hat, denn wir werden nicht hingehen. Wir würden im Übrigen auch nicht gehen, wenn ich mich anders entschieden hätte, wenn ich jetzt nicht ernst machen würde. Wir würden auf keinen Fall gehen, denn ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mit ihm in einem Hotel das Wochenende zu verbringen.
Wir würden irgendwo rumsitzen, im Wellnessbereich oder so.
Ich würde sagen:
Ich hab da kürzlich was Interessantes gelesen.
Er würde sagen:
Aha. Ich habe letzte Woche sechs zu zwei gegen Helmut gewonnen.
Ich würde sagen:
Aha.
Dann würden wir ein Fünf Gänge Menü abdrücken, das sich auf der Zunge anfühlt wie Plastik mit Geschmacksverstärker. Und dann würden wir in dem extra-breiten Hotel-Doppelbett liegen. Eine tolle Gelegenheit für ihn, sich meiner zu bedienen. Daheim geht das nicht, da schlafe ich schon seit Längerem im Gästezimmer. Und ich würde mir sagen, dass es ja auch egal ist, aber es wäre besser gewesen mehr zu trinken. Und noch besser wäre es gewesen, wenn ich mir mal wieder eine größere Dosis Codein-Tabletten besorgt hätte. In meiner Jugend haben die gut geholfen. Gegen alles.
Er würde an mir rumschrauben, nach all den Jahren hat er immer noch keine Ahnung von der weiblichen Anatomie, und es ist ihm auch nicht wichtig. Er würde das so lange machen, wie er es für angemessen hält und ich ihn lasse. Und dann würde er sich auf mich wälzen und mit geschlossenen Augen abrackern. Masturbation am weiblichen Objekt nenne ich das. Wenn er die Augen aufmachen würde beim Beischlaf, würde er mich sehen. Wenn ich die Augen zumachen würde, würde ich fühlen, was er so in mir treibt. Also sehe ich ihm dabei zu, wie er mir nicht dabei zusieht und denke an guten Sex, auch wenn das nichts hilft.
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