"Was ziehst du denn heute Abend an?", fragte sie Claudia über die Schulter und schob die Bügel wahllos nach links und rechts.
"Mein Daddy hat mir einen Hunni spendiert, werde mir wohl einen Rock kaufen. Wenn noch was übrig bleibt, hole ich mir vielleicht ein Top dazu."
Sabine freute sich mit ihr und Claudia versprach, ihr den Rock auch ab und zu mal auszuleihen, was sie ja häufiger taten.
"Hast du eine schwarze Bluse?", fragte Sabine und suchte weiter in ihrem Schrank.
"Nee, aber eine Gelbe."
"Habe ich auch", gab Sabine zurück und fügte leise hinzu: "Weißt du, ich will heute Abend meinen schwarzen Mini anziehen. Meine Mutter hat ne`tolle Bluse. Habe ich schon mal anprobiert. Das sieht echt geil aus. Aber sie pisst sich ins Hemd."
"Ja und der Rock?", fragte Claudia nach, "Hat sie nichts mehr dagegen?"
Die Frage war durchaus berechtigt. Denn als Sabine sich damals diesen Rock kaufte, fiel ihre Mutter aus allen Wolken. Ihr war er viel zu kurz und unverschämt eng. Sabine sah kontrollierend zur Tür und flüsterte: "Stell' dir vor, die hat doch tatsächlich den Saum aufgetrennt und ihn drei Zentimeter länger gemacht. Mal ehrlich, die tickt doch nicht richtig?"
"Brauchst ihn doch nur höher ziehen", schlug Claudia vor.
"Mache ich auch", lachte Sabine.
In diesem Moment ging die Tür auf und Sabines Mutter trat herein. Feierlich überreichte sie Claudia einen Briefumschlag mit der Bemerkung: "Eine kleine Aufmerksamkeit von Sabine und mir."
Claudia bedankte sich und nahm den Umschlag entgegen. Zu Sabine gewandt sagte Frau Hansel: "Nun lasse Claudia nicht so lange warten."
"Ja ja", wehrte Sabine ab und zog sich erst einmal eine Jeans an.
"Sag' mal Claudia", fragte die Mutter, “Sabine sagte, dass sie bei dir übernachten darf, stimmt das?"
Sabine nickte ihr heimlich zu, worauf sie die Frage spontan bejahte.
"Ich möchte aber, dass Sabine bis spätestens um elf im Bett liegt. Sie braucht den Schlaf."
"Mama!!", protestierte Sabine und rollte mit den Augen. Claudia amüsierte sich über Sabines Einwand und versprach gespielt ernst: "Dafür werde ich schon sorgen."
Nickend nahm Frau Hansel es zur Kenntnis und warf ihrer Tochter einen mahnenden Blick zu. Diese hätte ihr am liebsten gesagt, wie peinlich sie schon wieder war. Aber noch hatte sie ja die vage Hoffnung, es sich mit der Bluse zu überlegen. In Claudias Beisein wohl die beste Gelegenheit.
"Du Mama, kannst du mir nicht wenigstens das eine Mal die Bluse ausleihen? Ich möchte den schwarzen Rock anziehen. Ich werde sie auch wieder waschen und büglen, versprochen", versuchte sie es erneut.
"Du kennst meine Antwort", entgegnete sie kühl und bestimmend.
“Also echt, du bescheißt dich …“
"Sabine?!", mahnte Frau Hansel mit erhobener Hand, "Höre ich noch einmal solche Ausdrücke, bleibst du hier, hast du mich verstanden?“
"Jaaa...", kam es hörbar genervt zurück. Claudia hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. Schmollend streifte Sabine sich einen Pulli über und forderte Claudia in beleidigten Ton auf, ihr zu folgen. Beide machten sich auf dem Weg zur S-Bahn.
"Die Alte kann manchmal ganz schön abnerven!“, fluchte Sabine und vergrub wütend die Hände in den Taschen ihrer Jacke.
"Du sollst doch nicht immer solche Ausdrücke haben!", äffte Claudia die Mutter nach und fragte genauso albern: "Wann soll ich das Bienchen denn ins Bett packen?"
Lachend boxte sie Sabine auf die Schulter, worauf sie sich einhakten und die miese Stimmung von eben vergaßen.
"Ja ja, man hat schon sein Kreuz zu tragen mit den Eltern", seufzte Claudia, "meiner wird mit zunehmenden Alter auch immer wunderlicher."
"Na hör mal", entgegnete Sabine, "dein Vater ist doch voll in Ordnung!"
"Von wegen", bremste Claudia Sabines Begeisterung, "Ich habe mir vor drei Wochen mal die Nägel lackiert, knallrot. Sah echt bombig aus. Ich musste den Lack abmachen, sonst hätte er mich nicht zur Schule gelassen."
"Das hätte er gemacht?", fragte Sabine verwundert.
"Der ja", bestätigte Claudia, "Ich soll die Schule nicht mit einer Nachtbar vergleichen, hat er gesagt."
"Und was ist das?", fragte Sabine und hielt demonstrativ Claudias Hand hoch, deren Nägel jenen besagten roten Lack trugen.
"Das ist psychologische Taktik", sagte Claudia übertrieben wichtig und gab auch die passende Erklärung dafür.
"Erst habe ich mir farblosen Nagellack drauf gemacht. Hat er natürlich gleich gemerkt. Habe ihn aber gesagt, dass mir die Nägel platzen und das hat er geglaubt. Naja, dann folgte blasses Rose, dann etwas dunkler, bis ich da war, wo ich hinwollte."
"Und er hat nichts gemerkt?", staunte Sabine, was sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte. Genauso wenig, dass Herr Latros ihr etwas verbieten würde. Für sie wirkte er eher, wie ein Kumpel. Immer zu Scherzen aufgelegt. Selbst, wenn sie einer ihrer kleinen Streitigkeiten mit erleben durfte, so hatte er immer den Schalk im Nacken. Für Sabine war es ein Vater, den man sich wünschte.
"Wenigstens hat er bis jetzt nichts gesagt", beteuerte Claudia.
"Jetzt muss ich nur aufpassen, dass der Rock nicht zu kurz wird. Der bringt das fertig und lässt ihn mich umtauschen."
"Als ich neulich bei euch war, mit schwarzen Mini und so, da hat er mir sogar ein Kompliment gemacht“, sagte Sabine und stellte Claudias Befürchtung infrage.
"Bei Anderen", lachte diese, "aber bei mir spielt er den Moralapostel und holt den Autoritären heraus."
Sie schob sich einen Kaugummi in den Mund und bot Sabine kauend eines an. Das Kreischen der Bremsen kündigte das Herannahen des Zuges an und veranlasste beide zu einem Spurt, um diesen nicht zu verpassen.
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