»In der Juniortüte gibt's diese Woche Figuren von Miraculix, Bibi Blocksberg und Gundel Gaukeley. Willst du?«
Da Heinrich sich nicht entscheiden konnte, bestellte Hagweed ihnen schließlich das Super-Hexenmenü mit Pommes und großer Coke (»Coke gibt's auch überall, was Hagweed?«) und setzte sich mit Heinrich an einen der kleinen Tische.
»Also«, begann Hagweed zwischen zwei Bissen seines Witchburgers und Heinrich hörte ihm kauend zu. »Du fragst dich bestimmt, wieso wir alle so scharf darauf sind, dich unbedingt nach Hochwärts zu schleppen. Um das zu verstehen, erzähle ich dir am besten kurz den Werdegang zweier Zauberer, deren Wege sich von Kindesbeinen an beständig kreuzten und die bis heute eine erbitterte Feindschaft verbindet.
Den einen von ihnen kennst du bereits: Professor Ambos Schwurbelbart. Er ist Abkomme eines uralten Zauberergeschlechts, das viele große Magier hervorgebracht hat. Schwurbelbarts Berufung zu Höherem war bereits früh erkennbar, schon als Achtjähriger hatte er den Bart der Großen Weisen, und nach einer erfolgreichen Zeit als Schüler und Lehrer in Hochwärts ist er heute dessen Direktor. Wobei ... erfolgreich war es nicht immer ... Pannen passieren halt auch den Größten mal und ... naja, es hat jedenfalls immer gereicht, um allen anderen eine Nasenspitze voraus zu sein.
Doch bereits seit Schwurbelbarts frühester Kindheit gab es noch einen zweiten Zauberer, über den bei uns für gewöhnlich wenig gesprochen wird. Dieser Zauberer ist böse. Er war als Kind schon scheiße. Hat sich einen Spaß daraus gemacht, Jüngere und Schwächere zu terrorisieren, indem er sie, wenn sie Vater, Mutter, Kind spielten, zwang, sich als Mädchen zu verkleiden. Er denunzierte andere bei der Kindergärtnerin als Bettnässer, klaute ihnen die Wachsmalstifte und so weiter. Doch schon zu beider Kindergartenzeit fand er in Ambos Schwurbelbart seinen Meister. Egal was er anstellte, Klein-Ambos hatte stets das bessere Ende für sich. Kreativ in der Wahl der Mittel waren sie beide. Fand der eine einen toten Salamander in seiner Brotbüchse vor, rächte er sich, indem er seinem Rivalen Säure in die Fingerfarben mischte oder Löschkalk in die Sandförmchen füllte.
Später an der Schule waren die beiden Anführer rivalisierender Gangs. Hat in Hochwärts für eine ordentlich hohe Unfallquote gesorgt, denn die Bandagen wurde härter. Der-dessen-Namen-wir-fast-nie-aussprechen schreckte auch vor Erpressung und Bestechung nicht zurück. Versprach anderen Jungs Dates mit Mädchen und unerschöpfliche Süßigkeitenvorräte, wenn sie nur seiner Gang beiträten. Doch noch bevor die versprochenen Dates zustande kommen konnten, hatte Schwurbelbart ihm die Mädchen bereits ausgespannt und seine Süßigkeitenvorräte in Drachenkotze verwandelt. Somit gelang es Dem-dessen-Name-mir-gerade-nicht-einfällt nie, seine Gefolgsleute lange bei der Stange zu halten. Er kämpfte gegen Schwurbelbart einfach mit stumpfen Waffen.
Nach der Schule wurde Schwurbelbart in Hochwärts als Lehrer angestellt, während sein Rivale die Schule verließ und sich seine Spur zunächst verlor. Er tauchte einige Jahre später wieder auf, als der Direktorenposten in Hochwärts neu zu besetzen war und in der Zeitung ausgeschrieben wurde. Beide bewarben sie sich um die Stelle, doch Schwurbelbart hatte als Lehrer den Vorteil der besseren Verbindungen zu den Ladys in den Sekretariaten. Er fing die Bewerbung seines Konkurrenten ab und leitete sie um an das Klärwerk von Sonschiet. Das ist die Stadt, an deren Grenze Hochwärts liegt. Somit war Schwurbelbart der einzige Bewerber um den Direktorenposten und bekam die Stelle.
Der Zorn Dessen-der-mit-seinen-Plänen-immer-baden-geht wuchs, und über die Jahre hat er sich derart in die Sache hineingesteigert, dass bald sein ganzes Denken und Handeln nur noch darauf ausgerichtet war, es Schwurbelbart endlich heimzuzahlen und ihn vom Thron zu stürzen. Er wurde zunehmend kriminell und fing an, sich selber ›Der Dunkle Lord‹ zu nennen. Bald musste er feststellen, dass dieser Name bereits markenrechtlich geschützt war, also nannte er sich fortan ›Der Komplementärfarbe zu dunkel Lord‹ oder auch kurz ›Der Gelbe Lord‹ und erkor gelb zum Attribut seiner Schreckensherrschaft. Jedermann sollte erzittern, wenn er etwas Gelbes zu Gesicht bekam und sich vor Furcht in die Hosen machen, was den Gelb-Effekt noch verstärkt hätte. Nun ja, es hat nicht recht funktioniert. Oder würdest du jemanden ernst nehmen, der kaum größer ist als du und in einem pissgelben Umhang vor dir steht?«
Heinrich stellte kurz das Kauen ein und überlegte, welche Antwort Hagweed auf diese Frage erwarten mochte. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Siehst du? – Als Zauberer ist der Kerl total unfähig. Er hat sich sogar mal in den eigenen Fuß gezaubert, als er Schwurbelbart einen Fluch auf den Hals jagen wollte, und hinkt seither er ein wenig. Dennoch wurde er zu einer allgemeinen Bedrohung, denn es ist gerade seine Ungeschicklichkeit, die ihn gefährlich macht. Mit Heimtücke und fehlgeleiteten Flüchen hat er bereits manch einem das Verderben gebracht. Darüber hinaus haben sich über ihn schon einige schlicht und einfach totgelacht, und das meine ich nicht im übertragenen Sinne.
Schwurbelbart zu stürzen und an seiner statt Direktor von Hochwärts zu werden, das sind und bleiben seine großen Ziele, dazu ist er auch bereit, seine Seele zu verkaufen und Bündnisse mit den Dienern der Unterwelt einzugehen. Diese Gefahr ist allgegenwärtig, denn so viele Auseinandersetzungen es zwischen den beiden auch gab und so oft Schwurbelbart auch den Sieg davontragen konnte, so ist es ihm doch nie gelungen, seinen Rivalen vernichtend zu schlagen. Für den Verlust seiner Macht ist letztendlich jemand anders verantwortlich. Und da kommst du ins Spiel.«
»Ich?«, fragte Heinrich verdutzt und vergaß erneut zu kauen. »Ich kenne den Typen doch gar nicht. Weder Schwurbelbart noch diesen anderen ... wie nennst du den doch gleich?«
»Seinen Namen wirst du nur selten hören. Der Kerl ist eine Schande für die gesamte Zaubererschaft und den meisten ist es einfach zu genierlich, ihn beim Namen zu nennen. Deswegen sprechen wir ihn so gut wie niemals aus.«
»Niemals?«
»Niemals.«
»Wen?«
»Den Namen.«
»Welchen Namen?«
»Na, Walmart natürlich.« Hagweed schlug sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
»Siehst du? Geht doch«, sagte Heinrich zufrieden. »Walmart«, wiederholte er laut.
»Schschsch, lass das, Mann! Ist ja peinlich.« Hagweed sah sich um. »Ja, genau, Walmart . Und nun vergiss den Namen gleich wieder, ja?«
»Und was habe ich jetzt mit der Sache zu tun?«
»Also, ich weiß nicht, ob dir das klar ist, aber es gibt ein großes Geheimnis um deine Herkunft und die Umstände deiner Geburt. Niemand weiß, worin diese besonderen Umstände genau bestehen und somit gerieten sie zur Legende. Bekannt ist nur soviel: Aus undurchsichtigen Gründen wurdest du bereits als Baby von deinen Eltern getrennt. Schwurbelbart, der deine Mutter aus gemeinsamen Schulzeiten kannte, fühlte sich ihr aus irgendeinem kühlen Grund verpflichtet und hatte dich am Hals ... ähm, ich meine, nahm dich bei sich auf.
Der-dessen-Namen ... okay, okay – Walmart bekam Wind von der Angelegenheit und war seither bestrebt, deiner habhaft zu werden. Man nimmt an, es sei ihm dabei nur darum gegangen, seinem Erzfeind Schwurbelbart eins auszuwischen, andere vermuten mehr dahinter. Eines Tages fand Der-dessen ... ist ja gut – Walmart heraus, dass Schwurbelbart dich bei sich zu Hause versteckte, und drang in sein Haus ein, nachdem er Schwurbelbart mit einer Finte von der Bildfläche gelockt hatte.
So kam es zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen ihm und dir. Niemand weiß, was genau passiert ist, aber irgendetwas geschah in dieser Nacht. Der ... Walmart musste fliehen und seine Macht war gebrochen. Nun, dir wurde das Verdienst zugeschrieben, ihn besiegt und vertrieben zu haben, wie auch immer das zugegangen sein mag. Weil jedoch unklar blieb, wie endgültig der Verlust dieser Macht war, wurde entschieden, dass du künftig besser vor ihm versteckt werden musstest. Schwurbelbart fand die Windelwechselei ohnehin langsam lästig und so war ihm dies ein willkommenes Ereignis, dich loszuwerden ... ähm, ich meine, dich an einen sichereren Ort zu bringen.
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