1 ...7 8 9 11 12 13 ...36 Korvalinski tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Mit dem Imageschaden haben Sie recht, Benx. Gyronics bringt uns in eine knifflige Situation, da dies eine weitere Panne innerhalb der letzten Wochen ist, die wir nicht verhindern konnten. Auch wenn der Fall aufgeklärt wurde, mussten Sie Zeit darin investieren, die wir an anderer Stelle hätten gebrauchen können. Wie jedes Jahr treibt der Weihnachtsrummel unsere Firma an die Grenzen ihrer Kapazitäten, nur diesmal ist die Lage wegen der Vorfälle noch angespannter. Doch so läuft der Hase nun mal. Deswegen sind wir die Nummer eins im Geschäft, weil wir die Dinge in den Griff bekommen. Dass Sie heute nur mäßig fit sind, darf daher keine Rolle spielen. Die Kacke ist schwer am dampfen … da kann ich keinen meiner besten Leute beurlauben.«
Lester entschied in dem Augenblick, Korvalinski nicht mit dem Phänomen zu behelligen, das er erlebt hatte. Er würde seinen LiSi vom Wartungscenter überprüfen lassen und gegebenenfalls später zu seinem Boss gehen, bevor er wilde Spekulationen über einen Zusammenhang von fehlerhaften Gyronics-Produkten anstellte.
»Ich weiß, wie viel wir gerade um die Ohren haben, Sir. Wenn es sein muss, stehe ich zur Verfügung.«
Die lebensgroße 3D-Projektion seines Vorgesetzten nickte, erhob sich und umrundete den Arbeitstisch. Während er sich bewegte, fokussierten ihn die Kamerasensoren des Büros, wodurch sein Abbild im Mittelpunkt des vier Quadratmeter durchmessenden HoloCom-Felds auf Lesters Fußboden blieb.
Nevis Korvalinski massierte seine Schläfen. »Die verfluchten Bauarbeiten hier oben treiben mich noch in den Wahnsinn. Dieser Lärm … und ständig muss ich von einem Büro ins nächste umziehen.«
Der Chef des Sol Guard Sicherheitsunternehmens riss sich zusammen und kam in der Pose zum Stehen, für die er bekannt war: Er schnaufte, streckte den kahlen Schädel vor, und sein zerfurchtes Gesicht nahm einen verbissenen Ausdruck an. »Zur Sache. Ich übernehme Ihr Briefing, weil Simon blockiert ist. Er hat Besuch von Edwin Duquette, dem Company-Inspektor bekommen, der gestern Abend eintraf. Und kaum ist Duquette hier, stellt er alles auf den Kopf. Nehmen Sie sich vor dem in Acht, Benx, der ist ein Raubtier! Ich hatte erst eine einzige Unterhaltung mit ihm und hätte ihn fast stranguliert. Kann mir nicht vorstellen, dass wir mit dem Knaben auf einer guten Basis auskommen. Anscheinend sollen wir das auch nicht, denn Skyrock will unsere Arbeit kontrollieren. Bitte sehr, ist ihr gutes Recht. Die brauchen sich aber nicht zu beschweren, wenn es zu Verzögerungen kommt. Einen Gefallen tut sich die Company in der jetzigen Situation bestimmt nicht. Und die gestaltet sich wie folgt: In Ihrem Sektor, Mine C, Förderbereich 4 ereignete sich ein hochkritischer Zwischenfall. Dort wurde vor etwas über einer Stunde eine Frauenleiche in einer Kristallreinigungszelle entdeckt, wahrscheinlich menschlich.«
Lester hatte die Daten bereits im Kopf, trotzdem zog er die Stirn in Falten. Eine Leiche an so einem ungewöhnlichen Ort? Und was bedeutete »wahrscheinlich«?
Bevor er nachfragen konnte, fuhr sein Chef fort: »Zumindest nehmen wir an, dass sie menschlich ist, denn der Körper sieht … ungewöhnlich aus. Die Werksleitung kann sich nicht erklären, wie jemand da reinkam, zumal die Tote keine Angestellte ist. Wie wir feststellten, ist sie nicht mal Bürgerin der Stadt, denn sie trägt keinen MindCell. Das ist ja das Üble, Benx. Handelt es sich um einen Bruch der Minensicherheit, und danach schaut es aus, bedeutet das gewaltigen Ärger für uns.«
Per Gedankenbefehl ließ Korvalinski eine Personalakte aufploppen. »Laut Manager Bricksville, dem Leiter der Sektionszentrale, verursacht die Reinigungszelle einen Alarm und stellt um 04:15 Uhr die Arbeit ein. Die Überwachungskameras sind ausgefallen, weswegen die Zentrale keine Möglichkeit hat, den Grund zu erkennen. Also wird um 04:17 Uhr ein Techniker der Zellenwartung losgeschickt, der aber nie dort ankommt. Als um 04:26 Uhr die Kameras wieder funktionieren, jedoch der Techniker noch immer nicht vor Ort ist, wird ein zweiter Mann beauftragt, sich der Reparatur anzunehmen. Zwei Minuten danach sieht man auf den Monitoren den Frauenkörper zwischen den Kristallbrocken, und der zweite Techniker wird zurückgepfiffen. Der Sektionsleiter gibt an, die Leiche deshalb so spät entdeckt zu haben, weil nicht nur Splitter in ihr steckten, sondern sie die gleiche Hautfarbe wie die Kristalle hätte, nämlich blau. Sie besäße das Aussehen eines Menschen und blute aus Schnittwunden … aber ebenfalls blau, weswegen er sie für einen Droiden hielte.«
Der Sol Guard-Chef schlug mit der Faust auf den Tisch. »Gottverdammt! Fragen sie mich lieber nicht, was ich davon halte, Benx. Wie wir alle wissen, funktionieren Droiden da unten bei laufendem Schürfbetrieb wegen der Strahlung nicht. Zudem verständigt uns Bricksville erst um 04:35 Uhr, was eine Zeitspanne von sieben Minuten vom Entdecken der Toten bis zur Kontaktaufnahme mit uns macht. Warum so lange? Unser Lockdown-Kommando hätte früher am Tatort sein können. Und was ist aus dem ersten Techniker namens Antonio Cabrallo geworden, der zwar losgeschickt wurde, aber unterwegs stecken blieb? Laut den MindCell-Protokollen hat Cabrallo tatsächlich nicht die Zelle erreicht, sondern hielt sich einige Etagen höher auf. Die ganze Zeit. Danach machte er sich auf den Rückweg. Und jetzt kommt der Gipfel: Bricksville behauptet, er hätte den Mann nach dessen Zurückmeldung ›wegen Unwohlsein‹ nach Hause geschickt. Willkommen im Märchenland! Als Verantwortlicher lasse ich keinen Techniker gehen, der meine Anordnung ignoriert hat. Schließlich arbeitet er für die Skyrock Corporation! Welche Vorgänge verschleiert Bricksville? Hat er Cabrallo gedeckt, damit der einen Wertgegenstand aus der Mine schmuggeln konnte? Oder machen beide mit den ›Crystal-Jackers‹ gemeinsame Sache? Mit dieser Gruppe von Kristalldieben außerhalb der Stadt, die es immer wieder schafft, sich den Suchaktionen des Militärs zu entziehen?«
Lester schüttelte den Kopf. »Sir, die Existenz der Crystal-Jackers ist nicht mal nachgewiesen. Meiner Meinung nach handelt es sich bei der Idee, da draußen würden Kriminelle ihr Unwesen treiben, um ein Schreckgespenst, das Skyrock immer dann schlaflose Nächte bereitet, wenn bei der Frachtverladung Kristalle abhanden kommen. Doch das ist ein Problem des nicht vertrauenswürdigen Verladepersonals, das die Company hat. Und falls es wirklich ehemalige Siedlergruppen im Umland gibt, werden ihnen kaum die technischen Mittel zur Verfügung stehen, in die Stadt, geschweige denn in eine Mine einzudringen. Wir überschätzen hier das Kaliber dieser Leute … falls es sie gibt.«
Korvalinski zuckte die Schultern. »Jede Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ist nun mal unser Job, Benx. Ich möchte deshalb, dass Sie dem Management von Mine C besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Und kümmern Sie sich um Cabrallo, den Techniker. Seit seiner Rückkehr ist er ›unerreichbar‹. Zufälligerweise wohnt der Kerl in Ihrem Tower. Schicken Sie aber eine Einheit zu seinem Quartier und lassen ihn festnehmen, da Ihnen selbst die Zeit fehlt.«
Lesters Boss nahm seine ursprüngliche Position hinter dem Arbeitstisch ein.
»Wie üblich warten wir auf die Genehmigung der Company, bis uns die Aufnahmen der Überwachungskameras der inneren Minensektion zur Verfügung stehen, weil es sich um Material der Geheimhaltungsstufe eins handelt. Dank dieser idiotischen Vorschriften haben wir bis jetzt noch keinen Schimmer, auf welche Art die blauhäutige Frau die Reinigungszelle infiltrierte und wie sie das bei laufendem Betrieb geschafft hat … die Kristallsplitter haben sie jedenfalls übel zugerichtet. Möglicherweise war die Dame, oder was auch immer da unten liegt, mit einer unbekannten Tarntechnologie ausgestattet. Das wäre der blanke Horror!«
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