„Du weißt schon, dass das Krieg bedeuten wird?“, stellt Viktor fest, als wir auf meinen Wagen zugehen.
„Na, das hoffe ich doch. Wo wäre denn der Spaß, wenn es nicht so wäre?“
Meine Stimme ist nicht mehr als ein böses Knurren. Alleine für die Tatsache, dass sie auf mich geschossen haben, würde ich jedem einzelnen von ihnen am liebsten eine Kugel in den Kopf jagen.
Sarah
„Wir müssen uns unterhalten“, eröffne ich meinem Chef, während ich in sein Büro komme und die Tür hinter mir schließe.
„Ist etwas passiert?“ Verwirrt und gleichzeitig überrascht schaut er mich an. Vor ihm hat er einen Haufen Unterlagen verteilt und der Laptop steht geöffnet auf dem Schreibtisch.
Ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt ist, ihm damit auf die Nerven zu gehen, aber ich muss das jetzt klären.
„So kann man es auch nennen. Es geht um den Auftrag Nesterow“, beginne ich.
Ich lasse keinen Zweifel daran, dass er mich so schnell nicht loswerden wird. Zumindest nicht so lange, bis wir nicht eine Lösung gefunden haben.
„Was ist damit?“ Ich sehe ihm an, dass er keine Ahnung hat, worauf ich hinaus will. Das macht die Unterhaltung nicht unbedingt einfacher.
„Jemand anderes muss diesen Job machen“, beginne ich und komme damit direkt zum Punkt.
Dabei kann ich nicht verhindern, dass ich ihn bittend ansehe. Auch wenn ich so etwas sonst nicht mache, versuche ich auf diese Weise nun doch, seine Antwort zu beeinflussen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass das auch wirklich funktioniert.
Doch ein Versuch ist es wert.
„Ich hätte nicht erwartet, dass Sie mit so einem Auftrag ein Problem haben. Sie sind doch sonst so professionell“, erwidert er unbeeindruckt und sieht mich prüfend an.
Mir liegen die Worte auf der Zunge, dass es nicht daran liegt. Auf jeden Fall nicht nur. Doch es geht ihn nichts an. Deswegen schlucke ich die Worte hinunter und überlege mir etwas anderes.
„Das habe ich auch nicht“, gebe ich schnell von mir, damit er erst gar keinen falschen Eindruck von der Situation bekommt. Gleichzeitig überlege ich, welche Ausrede ich vorbringen kann. Denn eins steht fest: Die Wahrheit werde ich ihm nicht sagen.
Die sieht nämlich so aus, dass ich nicht mit einem Mann wie ihm zusammenarbeiten kann. Und das aus so vielen Gründen, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann.
„Und was ist es dann?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht er mich an. Ich hasse es, wenn er das macht. Auf diese Weise zeigt er mir, dass er auf eine Antwort von mir wartet.
„Es ist so, dass ich genug zu tun habe, dass ich kaum noch weiß, was ich als Erstes machen soll. Mein Schreibtisch läuft über. Ich habe keine Zeit, um mich um ein weiteres Projekt zu kümmern“, erkläre ich ihm und hoffe, dass er meine Ausrede gelten lässt, auch, wenn die Chance eher gering ist. Stattdessen mache ich mich darauf gefasst, dass er mich darauf hinweist, dass wir alle viel zu tun haben.
Doch bei dem Gedanken daran, mit diesem Mann zusammenzuarbeiten, beziehungsweise, für ihn zu arbeiten, schlägt mein Herz schneller. Ich kann den Grund dafür nicht zuordnen. Und dennoch kann ich einen auf jeden Fall ausgrenzen. Es liegt nicht daran, dass ich mich zu ihm hingezogen fühle. Nein, mein Verstand sagt mir, dass er gefährlich ist und ich höre darauf. Es ist viel eher die Tatsache, dass mir nicht gefällt, wie ich mich in seiner Gegenwart verhalte. Und deswegen möchte ich ihm lieber aus dem Weg gehen.
Aus Erfahrung weiß ich, dass Männer wie er es früher oder später ausnutzen und ich will bestimmt nicht sein neues Spielzeug werden.
Einen Moment sieht mein Chef mich an, als würde er darüber nachdenken. In der nächsten Sekunde dringt ein leises Seufzen über seine Lippen und ein verzweifelter Ausdruck hat sich auf seinem Gesicht breit gemacht. Er fährt sich über das Gesicht, während er sich nach hinten sinken lässt.
„Ist alles in Ordnung?“, frage ich ihn, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort darauf wirklich wissen will.
„Ich will ehrlich mit Ihnen sein“, beginnt er schließlich zögerlich und sieht mich eindringlich, beinahe beschwörend, an. „Es wurde ausdrücklich nach Ihnen gefragt.“
„Was?“ Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr. Verständnis los erwidere ich seinen Blick.
„Ich wurde angewiesen, Ihnen diesen Auftrag zu übergeben. Und ehrlich gesagt, wäre es mir ganz lieb, wenn wir das ohne Theater oder sonstige Probleme über die Bühne bringen könnten. Männer, die so ein Gewerbe führen, sind mir nicht ganz geheuer. Je eher wir das erledigt haben, desto besser ist das. Also geben Sie ein paar der anderen Projekte ab, wenn es Ihnen zu viel wird.“ Er verzieht ein wenig das Gesicht und macht mir so klar, dass er es ernst meint.
Es dauert eine Ewigkeit, bis die Bedeutung seiner Worte bei mir ankommt. Er muss es mir nicht sagen. Ich habe bei der Besprechung heute genau bemerkt, dass er das schnell hinter sich bringen will. Und wenn ich genau darüber nachdenke, muss ich wenigstens vor mir selber so ehrlich sein und zugeben, dass ich das auch will, wenn ich das schon machen muss. Und gerade sieht es nicht so aus, als würde ich drum herumkommen.
„Sie müssen nur das Design und das Layout entwerfen. Der Rest wird von einem Techniker erledigt.“
„Wieso haben Sie diesen Auftrag überhaupt angenommen? Sie wissen doch selber auch, dass wir überlastet sind.“ Die Frage ist heraus, noch bevor ich richtig darüber nachdenken konnte. Eigentlich frage ich mich nämlich gerade, wieso ein Mann wie Anatoli Nesterow überhaupt eine Agentur damit beauftragt. Ich bin mir sicher, dass er irgendjemanden kennt, der das auch machen kann.
Schnell beiße ich mir auf die Lippen, damit ich nicht noch mehr sage, von dem ich weiß, dass es mich eigentlich überhaupt nichts angeht.
„Die Antwort darauf ist ganz einfach. Es gibt Männer, denen man nichts ausschlägt. Vor allem dann, wenn man ihnen nichts entgegenzusetzen hat. Und die beiden gehören eindeutig dazu.“
Ja, das Gefühl habe ich auch , schießt es mir durch den Kopf. Allerdings bin ich schlau genug, diese Worte für mich zu behalten. Auch wenn ich meinen Wunsch nicht durchsetzen konnte, so will ich diese Unterhaltung über diesen Mann nicht unnötig länger führen, als es unbedingt sein muss.
Deswegen nicke ich nur und verschwinde. Vor seiner Bürotür bleibe ich allerdings noch einen kurzen Moment stehen und versuche mein wild pochendes Herz zu beruhigen.
Ich habe wieder seinen durchdringenden Blick vor Augen. Genauso wie in der Bar kam es mir vor, als könnte er in mich hineinsehen. Ich konnte mich nicht davor verschließen, was mir noch nie passiert ist. Deswegen wusste ich nicht einmal, was ich dagegen hätte halten können. Einige Sekunden bleibe ich noch stehen, ehe ich mich wieder an die Arbeit mache.
Den restlichen Tag versuche ich so viel zu schaffen, wie es nur irgendwie geht. Doch so einfach, wie ich mir das wünsche, ist es nicht. Ich schweife immer wieder ab und habe sein Gesicht vor Augen.
Ich lag sogar die halbe Nacht wach in meinem Bett und habe versucht, mich wenigstens auf etwas anderes zu konzentrieren, wenn ich schon nicht schlafen kann. Doch auch das hat sich als nicht gerade einfach herausgestellt. Irgendwann bin ich zwar eingeschlafen, dabei habe ich aber von ihm geträumt, was auch nicht unbedingt besser war.
Als ich am nächsten Tag nach Feierabend endlich wieder in meinem Wagen sitze, fallen mir beinahe die Augen zu. Ich habe nur noch den Wunsch, endlich wieder nach Hause zu kommen, mich unter eine heiße Dusche zu stellen und mich auf mein Sofa legen. Doch noch bevor ich den Schlüssel ins Zündschloss stecken und den Motor starten kann, dringt das leise Klingeln meines Handys aus meiner Tasche heraus an mein Ohr.
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