Inhaltsverzeichnis
Prolog
Hauptteil
Epilog
Über den Autor
Todesfährte: Staatsanwalt Robert Hartmanns erster Fall
(1.Ausgabe: Schattengeburt)
MORITZ HIRCHE
TODESFÄHRTE
Staatsanwalt Robert Hartmanns erster Fall
BERLIN 2013
© |
2013 Moritz Hirche |
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2.Auflage 2015 |
ISBN: |
978-3732328406 (gebundene Ausgabe) |
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978-3732328390 (Taschenbuch) |
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Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin. Die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt.
Jener Tag soll finster sein und Gott droben frage nicht nach ihm! Kein Glanz soll über ihm scheinen! Schreckliche Finsternis und Dunkel sollen ihn überwältigen und düstere Wolken am Tage über ihm bleiben.
Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt?
Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? Dann läge ich da und wäre still, dann schliefe ich und hätte Ruhe mit den Königen und Ratsherren auf Erden, die sich Grüfte erbauten.
Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen. Es sollen sie verfluchen, die einen Tag verfluchen können und die da kundig sind, einen Leviathan zu wecken!
Buch Hiob, Altes Testament (Tanach)
Montag, 08. August
Wie schnell kann sich eine glückliche Verheißung zum unerwarteten Alptraum wenden...
Reiß dich zusammen! Es ist nur der Regen, das geht vorbei.
Feine Wassertropfen flogen nach allen Seiten, als er den Kopf schüttelte. Blonde Haare hingen in wirren Strähnen durch sein Gesicht. »Verdammtes Scheißwetter!«
Niemand war da, der seine meteorologischen Verwünschungen hätte wahrnehmen können. Doch er fühlte sich besser, wenn er fluchen konnte. Tatsächlich regnete es im Grunde seit Wochen. Es war ein sehr deutscher Regen, der in seiner unvergleichlichen Tristesse Selbstmordgefährdeten vermutlich die Entscheidung erleichterte. Fetzen bedrohlicher Kumuluswolken erstickten auch an diesem Tag die liebliche Landschaft in schwermütigem Dunkelgrau. Mit einiger Phantasie betrachtet schienen sie sich für einen kurzen Moment zu einer hämisch grinsenden Fratze zu vereinen, bevor sie von der nächsten Böe wieder auseinander gerissen wurden. Die gesamte Natur schien in eine Depression verfallen zu sein, die die Wärme verdrängt hatte. In der einsetzenden Dämmerung dieses Tages begannen Nebelschwaden durch die Hügel mit sorgsam angelegten Rebstöcken und die Bäume des nahen Waldes zu kriechen. An den höheren Zweigen riss wütend ein kühler Wind. Es war die schlechte Karikatur eines Sommers, der sich zudem bereits seinem Ende zuneigte. Selbst ältere einheimische Bauern konnten sich nicht an Vergleichbares erinnern. Sie rechneten bereits mit einem miserablen Jahrgang ihres namhaften Rieslings. Möglicherweise wäre den erschreckend kleinen Trauben noch eine passable Spätlese zu entlocken. Sollte die durch ständigen Regen einsetzende Fäulnis nicht auch diese Hoffnung im feuchtgrauen Dunst ersticken. Das Wetter übertrug sich allmählich auf die Menschen, ließ selbst robuste Gemüter mürrisch und missmutig werden.
Mirko Harnisch war ein Mensch ausgesprochen sonnigen Gemüts. Allmählich verdüsterte das Wetter jedoch ebenfalls seine Stimmung. Innerlich verfluchte er zusätzlich den Job, den er über die freien Monate seiner Semesterferien angenommen hatte. Als er den Aushang in einem Café der Koblenzer Innenstadt nahe der Universität gesehen hatte, war ihm das Angebot fast wie ein Hauptgewinn erschienen.
»Werden Sie Verwalter von Burg Rothenfels! Arbeiten und leben Sie eine Zeit lang auf einer der ursprünglichsten Burgen im Südwesten Deutschlands. Verdienen Sie ihr Geld, wo andere Menschen Urlaub machen! Entlohnung auf Verhandlungsbasis.«
Noch in derselben Minute wählte er die angegebene Telefonnummer. Der ältere Mann am anderen Ende sagte sofort zu. Laut dem Gespräch sollte sich seine Aufgabe darauf beschränken, zu den Besuchszeiten Eintrittskarten an Touristen zu verkaufen, die den Weg zu dem recht einsam gelegenen Bauwerk fänden. Ansonsten müsste er einfach nur anwesend sein, als eine Art Hausmeister.
Ein echter Traumjob.
Darüber hinaus würde sich viel Freizeit bieten, die er zum Lernen für die anstehenden Examensklausuren gut gebrauchen konnte. Als er zwei Wochen später das mächtige Burgtor durchschritt, konnte er sich erster Zweifel nicht erwehren, ob das Angebot tatsächlich ein Glücksfall gewesen sei. Mehrmals verpasste er den kleinen Waldweg, der von der Landstraße abzweigte. Er fragte sich, wie potenzielle Besucher das winzige Hinweisschild »Zur Burg« im Vorbeifahren wahrnehmen sollten. Harnisch nahm sich vor, auf diesen Marketingfehler aufmerksam zu machen. Die Bedenken verstärkten sich in den folgenden Tagen. Nur wenige Menschen interessierten sich für das unscheinbare Festungsbauwerk. Es lag zu weit abseits ausgetretener Touristenpfade. Die Tage verliefen monoton.
Was ihn jedoch mittlerweile an den Rand der Verzweiflung trieb, war die Einsamkeit, vor allem nachts. Als ängstlicher Typ galt der vierundzwanzig Jahre alte Mirko Harnisch gemeinhin nicht. Eher als einer, der auch allein gut zurechtkam. Seine von Natur aus große, kräftige Statur widersprach eher den Klischees eines Chemiestudenten. Man hätte ihn wahrscheinlich für einen Bauarbeiter oder Surflehrer gehalten. Die dunkelblonden Haare trug er etwas zu lang, sie verlangten eigentlich nach einem Schnitt. Doch irgendwie gab gerade das ihm eine verwegen-romantische Ausstrahlung. Er wusste um seine Wirkung und genoss sie. Die Aufgabe in der Burg brachte ihn erstmals seinen Grenzen näher. Nur anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Wenn er um achtzehn Uhr das schwere, hölzerne Tor hinter dem letzten Besucher abschloss, begannen eintönige Stunden des Wartens. Des Wartens auf die Nacht. Zu seiner Verwunderung hatte Harnisch festgestellt, sich in der absoluten Ruhe und Einsamkeit nur schwer auf die komplexen Reaktionsgleichungen in seinen Aufzeichnungen konzentrieren zu können. Inmitten der unerträglichen Stille wurde er ständig durch Geräusche aufgeschreckt, deren Ursprung er nicht unmittelbar lokalisieren konnte. Von einigen glaubte er, sie noch nie vorher gehört zu haben. Oft setzte sich das fort, wenn er sich in sein karges, im Burgfried gelegenes Zimmer zurückzog. In dem schmalen, unbequemen Bett empfand er die Ruhe als quälende Belastung. Für die Zerstreuung durch einen Fernseher hätte er mittlerweile einiges gegeben. Doch der fehlte und wäre mangels Empfang höchstwahrscheinlich nutzlos gewesen. Ein Knarren oder Knirschen irgendeiner jahrhundertealten Holztür ließen ihn dann alsbald wieder hochschrecken, um einen späten Kontrollgang einzulegen. Auch die Treppen führten ein reges Eigenleben und hatten es auf seinen Schlaf abgesehen.
In der ersten Nacht – im Rückblick erschien es ihm lächerlich – entwendete er einer der aufgestellten Rüstungen das Schwert. Schlagbereit postierte er sich hinter einem antiken Holzschrank. Jemand schien in den verwinkelten Gängen unterwegs zu sein. Die Minuten verstrichen und der junge Student musste sich alsbald eingestehen, vergeblich aufgestanden zu sein. Eichenbohlen knarrten und die uralten Eisenscharniere der Holztüren gaben von Zeit zu Zeit jaulende Laute von sich. Der imaginäre Eindringling blieb jedoch im Dunklen.
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