Arrrrgggghhhh, hörte ich, aber das war nur mein Schmerzensschrei, als ich mir vor Verzweiflung in die rechte Hand biss.
Es war nichts zu hören.
Unheilvolle Stille verbreitete sich im Raum, ich hörte mein Herz klopfen. Ich nahm das ungebundene Buch und schlug es mit aller Kraft auf die Tischkante. Ausser einem Rums gab es keinen Laut von sich. Mein leises Wimmern durchdrang schliesslich die Stille. Schluchzend packte ich das Manuskript und warf es voller Zorn durch das geschlossene Fenster aus dem vierten Stockwerk. Da konnte ich es zum ersten Mal hören, das Hörbuch. Es klang nach zersplitterndem Glas. Irgendwas war da schief gelaufen, versuchte ich noch zu denken, dachte den Gedanken aber nicht mehr zu Ende.
Ich hatte vergessen das Buch loszulassen.
Als ich an diesem Morgen aufwachte, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte.
Ich hatte sogleich das Gefühl, dass alles gesagt sei. Nein, ich meine nicht, dass ich irgendjemand gegenüber nichts mehr zu sagen hätte oder man mit mir nicht mehr reden wollte. Nein, es war einfach nichts mehr zu sagen da. Alle Worte waren gesprochen und weg. Sie hatten sich verbraucht, wie ein Stück Seife.
Endlose Phrasen wurden gedroschen, Reden wurden gehalten und Floskeln an den Kopf geworfen und niemand, wirklich niemand hatte daran gedacht, dass der Wortschatz irgendwann aufgebraucht sei. Eigentlich klar, kein Schatz, an dem sich jeder bedient, hält ewig. Jeder, einschliesslich des Verfassers dieser Zeilen, griff mit beiden Händen in den Topf und warf mit den Kostbarkeiten nur so um sich. Hier mal ein hastig hingeworfenes "Guten Tag, wie geht's?" und da mal ein "Verdammtes Wetter heute!" oder mal ein bisschen gegen die Regierung geschimpft, am Essen genörgelt, beim Autofahren geflucht und mit den Kindern gemeckert. Ja, was haben wir denn geglaubt, wie lange der Vorrat hält? Unfassbar! Unglaublich!
Ich brühte mir einen Kaffee auf und setzte mich mit der dampfenden Flüssigkeit an meinen Küchentisch. Einen Schuss Milch dazu und ich nippte gedankenverloren an meiner Tasse.
Natürlich war der Kaffee zu heiss und ich verbrühte mir die Zunge. Einen Fluch wollte ich zwischen den Zähnen hervorstossen, aber es kam nur Luft.
"Mmmmmpfff!", hörte sich das in etwa an.
"Mmmmmmpfffffff!", und ich bekam einen roten Kopf. Nicht mal anständig fluchen war mehr drin.
Es klingelte an der Tür und als ich öffnete, streckte mir der Postbote einen Packen Briefe freudestrahlend hin mit den Worten:
"Uuuuuuuurghhhhhh hhhhhmmmm!"
Ich nehme an, er wollte mir einen guten Morgen wünschen, scheiterte aber an der plötzlichen Leere des Sprachpools, entsann sich aber, dass ihm das heute morgen nur passierte und drehte sich schulterzuckend weg. Wahrscheinlich dachte der arme Kerl, dass er nur eine Erkältung hätte, die im Moment seine ganze Umgebung sprachlos machte. Eine Epidemie sozusagen.
Ich wollte Gewissheit und schlurfte zum Telefon.
"Ha, da bin ich aber mal gespannt ", dachte ich mir, denn sagen konnte ich es ja nicht, und wählte die Zeitansage.
"Pippp!", war da zu hören, und nach einer Weile wieder "Pipp!" Und dazwischen - Stille. Da also auch!
Ich schaltete den Fernseher ein und sah den Schauspielern zu, die stumm ihre Lippen bewegten. Endlich sind diese dämlichen Serien zu ertragen, dachte ich mir schadenfroh und zappte zu einem Musikkanal.
Popmusik ohne Gesang, das war ja wirklich langweilig. Eine Sängerin im knappen Outfit huschte mit stummen Lippenbewegungen durch das Video. Ich schaltete ab, eine Livesendung wollte ich mir gar nicht erst angucken.
Ein schrecklicher Gedanke kam mir!
Es gab nichts mehr zu reden, aber die Kommunikation funktionierte doch noch, wir konnten ja noch schreiben. Aber was wäre, wenn alle Worte geschrieben wären. Wenn auch dieser Schatz irgendwann leer wäre. War er vielleicht grösser?
Wie sollte die Menschheit ganz ohne Sprache auskommen? Kein gesprochenes Wort mehr, kein geschriebener Text mehr. Nichts! Das wäre der Zusammenbruch der Kultur! Mein Gott! Wir sind am Ende!
Wir müssen etwas tun, bevor die geschriebenen Worte auch mmmmmpffff mmmmmmmmmmppppppppppppffffff
"Rap! Unzel, rap!"
Das Publikum tobte. Unzel liess Wortschlangen über die Bühne tanzen, dass es nur so krachte.
"Rap! Unzel, rap!"
Und Unzel rappte, was das Zeug hielt.
Einer schrie von unten: "Unzel, lass Deinen BH herunter!" Der Esel war so besoffen, dass er am nächsten Tag wohl einen gestiefelten Kater haben würde.
Unzel guckte ganz verschämt und bekam ein rotes Köppchen. An rappen war nicht mehr zu denken. Sie schaute betroffen in den Raum. Ein Zuschauer gab ihr einen Tipp.
"Frau, holle den Sicherheitsmann!"
Aber der kam schon und schnappte sich den Störenfried.
"Musst Du sie denn so hänseln?", fragte er. "Gib mir lieber 20 Sterntaler für Deine Rechnung und dann raus in den Schnee. Weiss Chen von Deinen Eskapaden?"
Chen war nämlich seine asiatische Frau zu Hause. Als der Besoffene den Namen seiner Frau hörte, lallte er:
"Au weh, die haut mir Zwerg bloss auf die Nase!" Aus Furcht schlug er um sich.
Der Sicherheitschef liess ihn aber nicht los und erwiderte angewidert: "Na, Du hast es aber auch daumesdick hinter den Ohren! Ich trete Dir jetzt in den Asch!"
" 'en Brödel!", sagte er kopfschüttelnd zu den Umstehenden und warf ihn vor die Tür.
Grinsend kam er zurück zur Bühne und überreichte Unzel ein dorniges Röschen, denn er war ein Fan von ihr. Unzel freute sich wie eine Schneekönigin, lief wieder rosenrot an, sie war aber auch zu schüchtern, und rappte wieder.
Kalif, so hiess der Sicherheitsmann, klatschte beschwingt in die Hände.
"Yeah, mach mir den Storch!"
Tapfer hielt er wie ein standhafter Zinnsoldat bis zum Ende der Vorstellung durch, denn er wollte Unzel auch sicher nach Hause bringen. Das tat er dann auch.
Dort angekommen, hielt er ihr erwartungsvoll seinen gespitzten Kussmund hin und nuschelte:
"Nu' sei kein Frosch!"
'König' stand auf der Klingel, die Unzel währenddessen drückte, so hiess sie nämlich mit Nachnamen. Der Türdrücker summte und Unzel verschwand im Treppenhaus, ohne den Kuss erwidert zu haben.
Kalif flüsterte betrübt: "Ich hab aber auch ein Pech...!"
"Marie!", schallte es im Treppenhaus, denn Unzel kündigte ihrer Schwester ihr kommen an: "Ich bin's!"
Kalif schlurfte wieder zurück und hoffte auf einen neuen Tag.
"Oder ich probier's mal wieder bei Gretel!", und schon lachte er wieder.
Und wenn er nicht gestorben ist …
Die für irdische Verhältnisse winzige Sonde kreiste schon tagelang unbemerkt um die Erde. Sie machte Aufnahmen von der Erdoberfläche und richtete ihre Antennen aus, um Leben auf der Erde aufzuspüren. Die Erde schien den fremden Wesen, die sie geschickt hatten, sehr vielversprechend, denn es gab hier eine Menge an Silizium, dem Grundbaustein des Lebens auf ihrem Planeten. Als die Sonde nach Tagen keine Lebensform entdeckt hatte, auf die die eingebauten Sensoren angesprochen hätten, schwenkte sie auf eine niedrigere Umlaufbahn ein, um schliesslich in die Atmosphäre des für sie unbekannten Planeten einzutauchen und einen geeigneten Landeplatz anzusteuern. Die bordeigenen Sensoren machten schliesslich eine günstige Stelle ausfindig, denn sie war über und über bedeckt mit Siliziumoxid. Wenn es Leben gab, dann hier!
Die Sonde landete in einem Gebiet, das auf der Erde bekannt war als Sahara. In der Tat enthielt die Sahara Unmengen von dem gesuchten Material, denn sie war überwiegend unter einer Sandschicht begraben. Nach der geglückten Landung der Sonde öffnete sich unverzüglich eine Klappe, aus der ein Erkundungsfahrzeug rollte. Das Fahrzeug begann, Proben zu nehmen. Zwei Sandkörner wurden mittels eines Greifarmes in einen Behälter bugsiert, womit dann aber auch die Ladekapazität des Fahrzeugs schon fast überschritten war. Der Rover fuhr noch ein Stück geradeaus, um noch ein paar Messungen durchzuführen und kehrte dann, sich durch die Sandkörner kämpfend, zurück zur Sonde. Geräuschlos verschwand er wieder in seiner Garage. Im Inneren der Sonde begannen nun Aktivitäten, um die gesammelten Proben und Messwerte auszuwerten. Alles lief vollautomatisch ab, denn dafür war sie programmiert. Nach einer ganzen Weile funkte sie die Ergebnisse in ihre Heimatwelt und schaltete auf Stand-By.
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