Zwei Stunden später war ich ganz wuschig von den erotischen Szenen, die diese Art von Lektüre mit sich brachte. Das ging zu weit, ich hatte eindeutig zu viel Fantasie, dass ich mich von einem solchen Groschenroman dermaßen durcheinanderbringen ließ.
Um mich ein wenig abzulenken, öffnete ich mein Schreibprogramm und fing an, die ersten Zahlen meiner Recherche zu übertragen. Der Markt war überlaufen von Autoren, die Millionärsromane schrieben und die Bücher, vorzugsweise E-Books, wurden in Massen gekauft. Dementsprechend musste es enorm viele Leser geben, die sich gern wuschig machen ließen und das vermutlich täglich. Zugegebenermaßen war ich nun ebenfalls ein Opfer dieser Art von Romanen geworden, und es hatte mir gefallen. Und was noch schlimmer war, ich wollte weiterlesen. Das wurmte mich, das machte mich wahnsinnig. Ich hatte einen Universitätsabschluss, hatte der Männerwelt abgeschworen, las so gut wie nie Belletristik und ließ mich dann vom erstbesten Millionärsroman einfangen. Wahrscheinlich sollte ich mich in Zukunft von solcher Literatur fernhalten und vorsichtshalber meinen Film- und Serienkonsum einschränken. Dieser Wunsch nach Romantik in meinem Leben kollidierte mit dem Lebensziel, das ich mir gesetzt hatte – Karriere machen. Das ging eindeutig zu weit.
Nachdem die ersten Seiten getippt waren, bekam ich langsam ein Gespür für das Geschäft, für die Leserschaft und für die heimlichen Wünsche der Frauen dieser Welt. Warum träumten Frauen von einem dominanten, reichen Mann, der ihnen teilweise sogar das Denken abnahm? Diese Shades-of-grey-Generation hatte offenbar noch nichts von Emanzipation gehört. Das war furchtbar. In mir steckte keine bekennende Feministin, aber dennoch war ich der Meinung, dass das weibliche Geschlecht auf eigenen Beinen stehen sollte, und auch in Sachen Sex durften wir selbstständig entscheiden. Zum Beispiel wann wir unsere Jungfräulichkeit verlieren wollten und wann nicht. Verantwortung übernehmen bedeutete, zu wissen, was für den eigenen Körper gut ist.
Okay, ich merkte selbst, dass ich mich da ein wenig in die Grey-Sache hineinsteigerte, aber ich hatte einen Blogartikel zu dem besagten Roman gelesen und war ein wenig geschockt über den Inhalt dieses millionenfach verkauften Bestsellers. Ein Mann, der selbst zugab, nicht lieben zu können, kommt mit einem Vertrag daher und entjungfert die Protagonistin, um sie zukünftig härter rannehmen zu können? Ähm, sorry, aber das war doch nicht romantisch! Waren solche Bücher daran schuld, dass sich das Bild der Frau in der Gesellschaft veränderte? Das wir wieder zurück ins Mittelalter katapultiert werden würden und uns unterdrücken ließen - natürlich freiwillig? Uff, das wäre ja schrecklich!
Ob diese Autoren wussten, dass sie eventuell die Welt veränderten?
Vielleicht sollte ich mir mal einen dieser Autoren vorknöpfen. Ein Interview würde sich bestimmt super in der mehrteiligen Reportage machen - vielleicht in Teil zwei. Am besten mit einem der erfolgreicheren Schreiberlinge, das zog dann gleich Publikum an, das bisher noch nicht zu unserer Leserschaft gehörte. Wenn ich den oder die Autorin dabei gut wegkommen lassen würde, wären uns eventuell sogar neue Abonnenten sicher.
Ich machte mir eine Liste mit den Autoren, die ganz oben in den Bestsellerlisten standen. Morgen würde ich mich an die Pressestellen der ersten zehn wenden und um einen Interviewtermin bitten. Die Fragen musste ich mir genau überlegen und in eine zeitliche Reihenfolge bringen. Das war doch mal ein guter Plan, dachte ich.
Nein, auf keinen Fall können wir Ihnen die Telefonnummer von Miss Thompson geben. Interviews gibt sie sowieso nicht, also machen Sie sich dahingehend keine Hoffnungen.« Das war mittlerweile die zwanzigste Absage.
Ich musste meine Strategie eindeutig ändern. Nun gut, vielleicht sollte ich von meinem hohen Ross heruntersteigen und mir eine der Autorinnen schnappen, die ihre Bücher selbst veröffentlichten. Bisher hatte ich das strikt vermieden, da ich der Meinung war, dass das unserem Magazin nicht gut zu Gesicht stehen würde. Abgesehen davon hatte dieser Weg der Veröffentlichung immer noch den faden Beigeschmack von Schundliteratur. Langsam scrollte ich durch die Listen und schon bald war klar, dass eine der Autorinnen mit gleichzeitig zehn Millionärsromanen in den Bestsellerlisten vertreten war. So schlecht konnten die Bücher nicht sein, ansonsten wäre sie nicht dermaßen erfolgreich. Ich beschloss, dass ich sie interviewen wollte - Clodette Poirot. Der Name hätte gut auch in ein fragwürdiges Etablissement passen können, dachte ich kichernd und suchte bereits nach der Webseite der Frau. Rasch füllte ich das Kontaktformular aus und hoffte, dass Miss Poirot auf das Renommee unseres Magazins anspringen und sich bald zurückmelden würde. Nur wenige Selfpublishing-Autoren könnten dieser Versuchung widerstehen, schließlich waren wir die auflagenstärkste Zeitschrift in ganz Amerika. Weltweit hatten wir einen nicht zu verachtenden Anteil am Kuchen der Zeitungsbranche.
Leider fand ich auf keiner einzigen Internetseite ein Bild von ihr. Offenbar wollte die Autorin unerkannt bleiben, was ich gut nachvollziehen konnte. Schade, denn eigentlich machte ich mir immer gern ein Bild meines Gesprächspartners, bevor ich ihn oder sie traf.
Eine Stunde später hörte ich den Benachrichtigungston meines privaten E-Mail-Postfachs. Ich hatte absichtlich dieses gewählt, denn meine anderen geschäftlichen Mails hatte die Snyder auf einen Account einer Kollegin umleiten lassen, damit ich mich voll und ganz auf diese Artikelreihe konzentrieren konnte.
Hektisch rannte ich zum Schreibtisch. Wie gehofft blinkte mir eine Mail von Clodette Poirot entgegen. Schön, dass eine erfolgreiche Autorin, die bestimmt schon an der nächsten Geschichte saß, so schnell antwortete.
Mit einem Klick öffnete ich den Brief:
Sehr geehrte Miss Jones
Vielen Dank für Ihre freundliche Anfrage. Ich würde Ihnen gern für ein Interview zur Verfügung stehen, allerdings habe ich, wie Sie sicherlich schon korrekt geschlussfolgert haben, ein geschlossenes Pseudonym. Dementsprechend gebe ich nur selten Interviews und wenn, dann verlange ich eine vorher unterschriebene Verschwiegenheitserklärung. Diese habe ich Ihnen beigefügt.
Sollten Sie unter diesen Umständen noch Interesse an einem Interview mit mir haben, senden Sie mir die Erklärung bitte unterschrieben zurück. Als möglichen Termin könnte ich Ihnen den morgigen Nachmittag anbieten.
Mit freundlichen Grüßen
Clodette
Wow! Die Frau imponierte mir. Ich mochte es, wenn Menschen wussten, was sie wollten und dementsprechend agierten. Ich nahm an, dass Miss Poirot eine der Autorinnen war, die professionell und durchsetzungsfähig ihr Ziel verfolgten.
Rasch druckte ich die beigefügte PDF-Datei aus, unterschrieb und schickte sie, nachdem ich das Blatt eingescannt hatte, zurück an die Urheberin.
Ich war neugierig. Was würde mich erwarten? Eine Hausfrau, die im Schlabberlook auf der Couch mit einem Laptop auf den Knien die Romane heruntertippte?
Um nicht völlig unwissend zu dem morgigen Termin zu erscheinen, lud ich mir den aktuellen Roman von Miss Poirot runter. Zumindest einige der Seiten wollte ich gelesen haben, bevor ich mich mit der Autorin traf. Der Millionärsroman, den ich mir zuvor gekauft und erstaunlicherweise bereits zu Ende geschmökert hatte, war entgegen den Erwartungen, die ich ursprünglich gehabt hatte, gar nicht so schlecht gewesen.
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