»Ich bedauere den Auftrag, den ich zu erfüllen habe, aber ich verhafte Sie, Herr General Fabio Conti!«
Fabrizzio glaubte, der Wachtmeister mache einen schlechten Witz, indem er ihn mit General anredete.
›Das soll dir teuer zu stehen kommen!‹ sagte er sich. Er beobachtete die verkleideten Gendarmen und spähte nach einem günstigen Augenblick, um aus dem Wagen herauszuspringen und sich in die Felder zu retten.
Die Gräfin lächelte keck darauflos und sagte dann zu dem Wachtmeister:
»Bester Herr Wachtmeister, halten Sie diesen sechzehnjährigen Jungen für den General Conti?«
»Sind Sie nicht die Tochter des Generals?« fragte der Wachtmeister.
»Sehen Sie sich meinen Vater an!« scherzte die Gräfin und wies auf Fabrizzio. Die Gendarmen brachen in ein tolles Gelächter aus.
»Zeigen Sie Ihre Pässe vor und reden Sie nicht!« befahl der Wachtmeister, den die allgemeine Heiterkeit ärgerte.
»Die Damen nehmen nie Pässe mit, wenn sie nach Mailand fahren«, sagte der Kutscher mit kalter Philosophenmiene. »Sie kommen von ihrem Schloß Grianta. Das hier ist die Frau Gräfin Pietranera und das die Frau Marchesa del Dongo.«
Gänzlich außer Fassung gebracht, lief der Wachtmeister vor die Pferde des Wagens und beriet sich dort mit seinen Leuten. Diese Beratung dauerte schon reichlich fünf Minuten, als die Gräfin Pietranera die Herren um Erlaubnis bat, daß der Wagen ein paar Schritte weiter in den Schatten fahre. Die Hitze war drückend, obgleich es erst elf Uhr war. Fabrizzio blickte sich sehr aufmerksam um, ob sich nicht ein Weg zur Flucht böte, da sah er auf einem Seitenpfad, der durch die Felder führte, ein junges Mädchen der staubigen Landstraße zuschreiten. Es mochte vierzehn bis fünfzehn Jahre alt sein und weinte ängstlich in das vorgehaltene Taschentuch. Zwei Gendarmen in Uniform begleiteten es; hinterher schritt, ebenfalls zwischen zwei Gendarmen, ein großer, magerer Herr, gravitätisch wie ein hoher Staatsbeamter, der einer Prozession folgt.
»Wo habt ihr denn die erwischt?« rief der in diesem Augenblick gänzlich verwirrte Wachtmeister.
»Sie liefen querfeldein und ohne Paß.«
Der Wachtmeister war sichtlich nahe daran, seinen Verstand zu verlieren; statt der zwei Gefangenen, die er haben sollte, standen fünf vor ihm. Er ging ein paar Schritte seitwärts und ließ nur einen seiner Leute zurück, den Verhafteten mit dem würdevollen Gebaren zu bewachen, dazu einen, um die Pferde am Weiterfahren zu hindern.
»Bleib!« flüsterte die Gräfin Fabrizzio zu, der schon aus dem Wagen gesprungen war. »Es wird sich alles machen.«
Sie hörte einen der Gendarmen rufen: »Ach was! Wenn sie keine Pässe haben, sind sie allemal ein guter Fang!«
Der Wachtmeister schien nicht ganz so entschlossen. Der Name der Gräfin Pietranera verursachte ihm Bedenken. Er kannte den General, wußte aber nicht, daß er gestorben war. ›Der General ist nicht der Mann, der mit sich spaßen läßt, wenn ich seine Frau ohne Grund festnehme‹, sagte er sich.
Während diese Beratung fortdauerte, spann die Gräfin ein Gespräch mit dem jungen Mädchen an, das neben dem Wagen im Straßenstaub stand; seine Schönheit fiel ihr außerordentlich auf.
»Sie werden einen Sonnenstich bekommen, Signorina«, sagte sie, und halb zu dem Gendarmen gewandt, der die Pferde bewachte: »Der brave Soldat wird wohl nichts dagegen haben, wenn Sie in den Wagen steigen.«
Fabrizzio, der um den Wagen herumschlich, sprang schnell herbei, um der jungen Dame beim Einsteigen behilflich zu sein. Sie hatte schon einen Fuß auf den Wagentritt gesetzt, und Fabrizzio stützte ihr den Arm beim Einsteigen, als der große Mann, der sechs Schritt hinter dem Wagen stand, sie mit einer Stimme, die gebieterisch klingen sollte, anbrüllte: »Bleib auf der Straße! Der Wagen gehört uns nicht. Wie kannst du einsteigen?« Fabrizzio hatte diesen Befehl überhört; das junge Mädchen wollte, statt in den Wagen zu steigen, zurücktreten. Als Fabrizzio es weiterhin stützte, fiel es in seine Arme. Er lächelte, und das Mädchen errötete tief. Es löste sich aus seinen Armen, und einen Augenblick sahen sie sich gegenseitig an.
›Das wäre eine reizende Gefängnisgenossin‹, sagte sich Fabrizzio. ›Welche Versonnenheit hinter dieser Stirn! Sie muß zu lieben verstehen!‹
Der Wachtmeister kam gewichtig heran und fragte: »Welche von den Damen heißt Clelia Conti?«
»Ich«, sagte das junge Mädchen.
»Und ich«, setzte der alte Herr hinzu, »bin der General Fabio Conti, Kammerherr Seiner Hoheit des Fürsten von Parma. Ich finde es im höchsten Grade unziemlich, daß ein Mann meines Standes wie ein Dieb behandelt wird.«
»Als Sie sich vorgestern im Hafen von Como einschifften, haben Sie da nicht den Polizeiinspektor, der nach Ihrem Paß fragte, grob abgewiesen ? Nun, heute vergilt ers.«
»Mein Boot war schon abgestoßen. Ich hatte Eile. Ein Unwetter war im Anzug. Ein Mann ohne Uniform rief mir vom Staden zu, ich sollte in den Hafen zurückkehren. Ich habe ihm meinen Namen zugerufen und meine Fahrt fortgesetzt.«
»Und diesen Morgen haben Sie sich aus Como gedrückt?«
»Ein Mann wie ich braucht keinen Paß, um von Mailand aus den Comer See zu besuchen. Heute morgen sagte man mir in Como, ich werde am Tor angehalten werden. Ich bin mit meiner Tochter zu Fuß weggegangen, in der Hoffnung, auf der Straße irgendeinen Wagen zu treffen, der uns nach Mailand brächte, wo ich sicherlich meinen ersten Besuch dem Kommandierenden General mache, um mich zu beschweren.«
Der Wachtmeister war zweifellos eine große Sorge los.
»Sehr wohl, Herr General! Sie sind verhaftet und folgen mir nach Mailand! – Und Sie, wer sind Sie?« fragte er Fabrizzio.
»Mein Sohn,« warf die Gräfin rasch ein, »Ascanio, Sohn des Generalleutnants Pietranera.«
»Ohne Paß, Frau Gräfin?« fragte der Wachtmeister sehr höflich.
»In seinem Alter hat er noch nie einen gehabt; er reist niemals allein, sondern stets mit mir.«
Während dieses Gesprächs zeigte sich der General Conti den Gendarmen gegenüber mehr und mehr in seiner Würde gekränkt.
»Kein Wort weiter!« rief einer von ihnen. »Sie sind verhaftet, und damit basta!«
»Danken Sie noch Ihrem Schöpfer,« sagte der Wachtmeister, »daß wir Ihnen erlauben, sich irgendein Bauernpferd zu mieten; andernfalls marschieren Sie trotz Staub und Hitze und trotz Ihrem Range als Kammerherr von Parma ganz einfach zu Fuß zwischen unseren Pferden!« Der General begann zu fluchen.
»Wollt Ihr wohl ruhig sein?« wiederholte der Gendarm. »Ich sehe keine Generalsuniform. Da könnte jeder kommen und sagen, er sei General.«
Der General erboste sich noch mehr. Unterdessen hatten sich die Umstände im Wagen bedeutend gebessert. Die Gräfin behandelte die Gendarmen, als ob sie ihre Dienstboten wären. Sie gab einem einen Taler, er solle aus einem Bauerngut, das man in einer Entfernung von zweihundert Schritt liegen sah, eine Flasche Wein und vor allen Dingen frisches Wasser holen. Es war ihr auch gelungen, Fabrizzio zu beruhigen, der darauf bestanden hatte, sich in das Gehölz auf dem Hügel zu retten. »Ich habe gute Pistolen!« hatte er gesagt. Dann setzte sie bei dem wütenden General durch, daß seine Tochter im Wagen Platz nehmen durfte. Bei dieser Gelegenheit erzählte der General, der gern von sich und seiner Familie sprach, den Damen, daß seine Tochter erst zwölf Jahre alt sei; sie sei am 27. Oktober 1803 geboren, aber alle Welt halte sie für vierzehn oder fünfzehn, so gescheit sei sie.
›Ein ganz gewöhnlicher Mensch!‹ sagten die Augen der Gräfin zur Marchesa. Der Gräfin war es zu danken, daß die Angelegenheit nach einstündiger Verhandlung ins reine kam. Ein Gendarm, der in einem Nachbardorfe zu tun hatte, lieh dem General Conti sein Pferd, nachdem ihm die Gräfin gesagt hatte: »Sie bekommen zehn Franken dafür!«
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