Monica Maier - Nicht alle sehen gleich aus

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In Berlin ist seit 2015 erst recht nichts mehr beim Alten. Die Deutschkurse boomen. Die Deutschlehrerin Annika von Stockhausen (42) muss in ihrem Deutschkurs bei einem Berliner Bildungsträger wirklich einiges leisten: einen anstrengenden Muslim vor die Klassenzimmertüre setzen, sich mit der Arroganz eines Brexugees und der Desillusionierung einer spanischen Krankenschwester arrangieren oder Pflegepersonal aus Vietnam und Afrika anwerben. Mit ihrem marokkanischen Ehemann Karim Ait Kaouki (38) an ihrer Seite bewegt sie sich zwischen den Kursteilnehmern und den Buchreligionen. Desillusioniert von ihrer Klasse und ihrem Bildungsträger wechselt sie den Arbeitgeber und hilft sich damit zur Abwechslung mal selbst.

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Monica Maier

Nicht alle sehen gleich aus

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Inhaltsverzeichnis Titel Monica Maier Nicht alle sehen gleich aus Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Monica Maier Nicht alle sehen gleich aus Dieses ebook wurde erstellt bei

Eine nachhaltige Begegnung

Ohne Grenzen

Couscous Royale

Das Opferfest Eid ul-Adha

Berlin im Anflug

Disharmonischer Umgangston

Ohne Bildung geht nichts

Tarek

Das liebe Geld

Zitronenland

Nicht mit mir

Akademikeriat

Kalte Schnauze

Lehrerinnenkopfkino

Kolonien und Gastarbeit

Öl im Parfüm

Rollenbilder und Tabus

Sozialromantik adieu

Im Prüfungsmodus

Wiedersehen am Flughafen

Man sieht sich immer zwei Mal

Auf gute Nachbarschaft

Falsche Freunde

Gute Aussichten

Mamadou und Nele

Impressum neobooks

Eine nachhaltige Begegnung

Zwei Pilotwale schwammen unter dem Segelboot hindurch und tauchten plötzlich an die Wasseroberfläche. Annika und Karim sahen sich an. Das Ehepaar war zwei Seemeilen von der Stadt Tanger entfernt. Der Motor knatterte laut. Karim, selbst Marokkaner, saß etwas versetzt hinter ihr und steuerte. Als Einheimischer lenkte er die in die Jahre gekommene Jolle gekonnt auf dem Atlantik in Richtung offene See. Die Segel hatten sie nicht gesetzt, weil es im Moment noch zu wenig Wind gab. Annika schwieg und genoss es, endlich am Meer zu sein.

Während die Tierwelt sich problemlos mit den Strömungen abfand, gab es Menschen, die hier, wo Atlantik und Mittelmeer sich kreuzten, ihr Leben aufs Spiel setzten um an Spaniens Südspitze zu kommen. Diese lag im Moment nur ungefähr 50 km weit weg. Annika rückte die Billigsonnenbrille auf ihrer etwas groß geratenen Nase zurecht. Auf dem leicht bewegten Wasser glitzerte das septemberliche Sonnenlicht, als die Tiere schon wieder abgetaucht zu sein schienen. Die vom Boot verursachten sanften Wellen schlugen spielerisch auf und ab und spiegelten sich sogar in ihrem schwarzem Smartphone. Und als hätte sie es geahnt hörte sie auf einmal einen Benachrichtigungston, der mit seiner hohen Frequenz sogar den Motor übertönte. Sie hielt das Handy in den Schatten des Segelmastes, um den Instagram-Kommentar zu ihrem geposteten Foto von orange- und gelbfarbigen Kitesurfern zu lesen. Karim wunderte sich über sie. Ihre Mutter aus Wien habe ein pochendes Herzemoji geschickt, sagte sie zu ihm. Eine leichte Brise strich über ihre gebräunten Arme. Sie dufteten nach Arganöl. Plötzlich stoppte ihr Mann den Motor.

„Was ist los?“, rief sie irritiert. Er wirkte seltsam gefasst und sah sie so weiß an, wie ein Marokkaner aus dem Volk der Berber im äußersten Fall erblassen konnte, zeigte mit seiner ausgestreckten Hand nach backbord und antwortete ziemlich nervös: „Das Schlauchboot!“

Sie erschrak, ein panisches „Oh mein Gott“ entfuhr ihr beim Anblick des aufblasbaren, drei Meter langen gelben Etwas, das da querab von Süden kam und ihren Weg kreuzte. Karim konnte mit dem Segelboot umgehen. Was aber, wenn es schiefging und sie im offenen Meer in dieses Ding reinfuhren? Langsam trieb das Schlauchboot auf sie zu, keiner der Insassen ruderte mehr. Zehn zählte sie auf die Schnelle. Ihr Gefährt lag so tief im Wasser, dass sie ohnehin schon die ganze Zeit nicht so richtig vorwärtsgekommen sein konnten. Die Männer sahen das Segelboot mit ausgestelltem Motor in einer Entfernung, die sie als überwindbar einschätzten vor sich, und Annikas weiße Haut. Das war eine Chance auf die ersehnte spanische Küste nach einer stundenlangen nächtlichen Fahrt. Naivität und Hoffnung besaßen keine Grenzen, schon gar nicht, wenn man wie sie dem Traum von einem besseren Leben folgte. Ein sehr Muskulöser unter ihnen stand auf und sprang in den Atlantik. Noch bevor das, was sie sah, in ihrem Verstand ganz angekommen war, tat es ihm ein Zweiter schon nach, dann der Dritte, der sich mit seinem Holzruder in der Hand eher ins Wasser fallen ließ. Annika entfuhr ein Schrei des Entsetzens. Denn des Schwimmens war dieser Mann nicht hundertprozentig mächtig, so, wie er sich an dem Ruder festklammerte. Eine Mischung aus Verzweiflung, Panik und selbstmörderischer Verrücktheit hatte die drei Gesprungenen dazu gebracht, sich selbst derart in Gefahr zu bringen – und die beiden Urlauber, die ihren Weg kreuzten, gleich mit. Sie musste sich am Mast festhalten. Es wurde ihr mulmig in der Magengegend zumute und sie sah hilfesuchend zu Karim hinüber.

Zum Glück erschien der weiterhin recht gefasst, obwohl ihm das Adrenalin ebenso in den Körper geschossen sein musste wie ihr auch. Ihre Blicke trafen sich nur den Bruchteil einer Sekunde lang, denn jetzt war Reagieren angesagt. Annika steckte das Handy schnell in den wasserdichten durchsichtigen Schutzbeutel, der um ihren Hals hing, und versuchte, ihren Mann in einem Anfall von Panik an der Pinnen-Steuerung wegzuschubsen. Am liebsten würde sie vor lauter Angst den Motor sofort wieder anschmeißen, um sich schnell von dem Schlauchboot zu entfernen. Sie gab Karim das auch zu verstehen. Der aber wehrte ab, drückte sie weg und wirkte dabei ziemlich aufgebracht. Sie würde nur Wellenschlag verursachen mit ihrer Aktion und die Männer noch mehr gefährden, brauste er auf. Er wollte eindeutig helfen. Sie ja eigentlich auch.

Die drei jungen Afrikaner erreichten schon fast unter Keuchen und Nachluftschnappen das Boot, und er versuchte verzweifelt, in seiner Muttersprache Berberisch wenigstens noch die anderen Schlauchbootinsassen davon abzuhalten, ebenfalls über Bord zu springen. Sie verstünden sein Rufen, das wurde Annika klar, aber nur zu gerne als Aufforderung und Einladung, zu ihm zu schwimmen. Wenn sie seiner Sprache überhaupt mächtig waren! Denn ihre Kumpels im Wasser brüllten ihnen in einer unverständlichen afrikanischen Sprache ebenfalls etwas zu. Wie sie später erfahren sollte eine Anweisung, an Bord zu bleiben, bis sie es selbst erst einmal aufs Segelboot geschafft hätten. Trotzdem hörte man es plötzlich wieder klatschen. Ein weiterer junger Mann prallte auf den Atlantik auf. Es war für Annika schrecklich, das mitansehen zu müssen.

„Mein Gott! Tu was!“, rief sie panisch. Sie hatte die Sonnenbrille auf den Kopf hochgeschoben, wodurch sich ihre langen Haare etwas bändigen ließen und nicht mehr ins Gesicht hingen. Der Glatzkopf strampelte im Wasser so verzweifelt mit allen Vieren, dass ihm ein anderer Mann aus dem Schlauchboot das zweite Ruder zur Hilfe hinstreckte. Just in dem Moment griff der Breitschultrige, der als erster gesprungen war, aus dem Wasser heraus schon nach dem Außenmotor und strahlte Karim unter der Glut der Vormittagssonne entgegen. Er freute sich wie ein Kind, es geschafft zu haben, sein Gesichtsausdruck war sympathisch und überhaupt nicht verzweifelt, wie Annika erwartet hatte. In der Nähe sieht alles anders aus, dachte sie erstaunt.

„Oh mein Gott!“, kreischte sie dann aber, als der Mann hochkletterte und die Jolle gefährlich zu schwanken begann. Fast hätte er den Motor mit sich und damit unrettbar in die Tiefen des Atlantiks gerissen, wenn Karim den schweren Körper nicht geistesgegenwärtig backbord gepackt und mit einem einzigen Ruck hochgezogen hätte. Nass klatschten zirka 90 Kilogramm auf den Boden vor ihre Füße und der Nicht-Marokkaner keuchte ein freundliches „Bonjour Madame, bonjour Monsieur“. Er war total außer Atem.

„Qu’est-ce-que vous faites ici?“, gab sie auf Französisch zurück, das in der ehemaligen französischen und teils spanischen Kolonie neben den verschiedenen berberischen Dialekten und dem Arabischen bekanntlich Verkehrssprache war. Sie wich so viele Zentimeter von ihm ab, wie auf diesem engen Raum überhaupt möglich waren, und sah vor sich dabei Karim schon am nächsten Schlauchbootschiffbrüchigen dran. „Was er hier macht, fragst du? Siehst du doch! Beruhig dich! Wir holen die jetzt alle rein, wir können sie doch nicht ertrinken lassen, oder?“, rief er auf Deutsch und krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch.

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