4. September
Immer „wehrhafter“ werde ich offenbar. In der Bahn: Ein junger Mann telefoniert laut, berichtet von seinen erholsamen Nächten, vom entspannten Frühstück und wie gut es ihm geht. Frohe Nachrichten eigentlich. Aber er trompetet dermaßen laut in sein Handy, dass es eine Zumutung für alle Mitfahrenden ist.
„Meine Güte, geht das nicht was leiser?“ möchte ich wissen.
Der Mann guckt mich an, telefoniert aber weiter, bei gleicher Lautstärke. Keine Reaktion also. Die kommt dafür vom einzigen weiteren jungen Mann in meiner Nähe. Er guckt mich derart finster und böse an, dass es zum Fürchten sein müsste. Er nimmt vermutlich Partei für seinen Altersgenossen gegen mich, die Alte. Daraufhin rutscht mir noch raus: „Sie gucken ja auch schon so dämlich wie der Typ da drüben.“ Diesen Einwand überhört er, vermutlich ist das auch besser so. Vielleicht wäre ich von ihm noch angegriffen worden. Ich bin froh, als beide ausgestiegen sind. Sollte ich das Einmischen in unangenehme Situationen künftig Jüngeren überlassen? Genervt geguckt haben ja mehrere Leute.
Etwas anderes habe ich zuletzt gemacht, da war eine junge Passantin das Opfer. Sie überquerte links von mir die Straße, wollte dann nach rechts gehen, unmittelbar vor mir, kreuzte also meinen Weg, und ich hätte bloß stehen bleiben müssen. Doch mir war nicht danach, ausgebremst zu werden. Also habe ich ihr bei meinem unbeirrten Weitergehen leider einen kräftigen Tritt gegen den rechten Knöchel verpasst. Ob ich allmählich gemeingefährlich werde?
7. bis 10. September – Dublin mit Britta
Sonntagvormittag Ankunft in Dublin. Auf dem Weg zum „Castle-Hotel“ entlang der belebten O’Connell Street werden wir begleitet von Massen von Fußballfans. Auf den Bürgersteigen sind Stände aufgebaut mit Fanartikeln, anhand derer wir erkennen, dass die Mannschaften von England und Irland gegeneinander spielen werden. Es gibt keine Schals mit dem Aufdruck der verehrten Mannschaft, wie wir sie kennen, sondern eher so kleine Dinger in entsprechender Farbgebung, die man sich ans Revers oder an den Hut stecken kann. Nachdem wir im Hotel eingecheckt und die Koffer untergebracht haben, ziehen wir los, um die Umgebung zu erkunden.
„Guinness is good for you“ – diesen Werbespruch lesen wir, und viele andere Werbetafeln rund um dieses Bier beherrschen die Wände eines Pubs, den wir besuchen. Ein Lokal mit sehr alter Einrichtung, die bei Britta und mir sofort ein Lommerzheim-Feeling aufkommen lässt.
„Are you from Austria? You speak like my wife, she’s from Austria.“ Mit diesen Worten spricht uns ein Mann am Nebentisch an. Wir reden miteinander, aber da wir nicht alles verstehen, was er uns sagen oder fragen will, fühlt er sich vielleicht nicht richtig ernst genommen, und verzieht sich bald.
Bei der späteren Stadtrundfahrt erläutert uns der Tour-Guide allerhand Sehenswertes; wenn es gerade nichts zu erklären gibt, singt er.
Montag
Beim Frühstück im Hotel kommen wir uns vor wie in einem Taubenschlag. Viele Leute, viele Geräusche. Und viel zu essen. „Please a little bit of scrambled eggs, tomatoes and ham.“ bestelle ich bei der Buffetkraft. Ein voller Teller wird mir überreicht, von wegen a little bit, aber ich schaffe es, ihn zu leeren. Lange nicht mehr habe ich morgens so viel zu mir genommen.
Danach gehen wir auf Tour durch den Innenstadtbereich. Die vielen Läden, bunt und einladend gestaltet. Vielfarbig. Ich kaufe Frühstückstee, allerdings nur der schönen Blechdose wegen, die es ohne Inhalt nicht gibt. Dabei habe ich Britta kurz vorher erklärt, dass wir zuhause nichts mehr kaufen für den Haushalt. Nur noch Zeug, welches gegessen oder getrunken werden kann. Nun also die Dose …
Nach einer Kaffeepause in einem Pub gehen wir zum Trinity-College, nicht nur, um die imposanten Gebäude in der weitläufigen Anlage dieser Universität zu bestaunen, sondern um uns das „Book of Kells“ anzuschauen. Doch die wartende Menschenmenge und voraussichtliche Dauer von neunzig Minuten bis zum Einlass lässt uns zurückschrecken. Wir sind uns schnell einig: So bildungsbeflissen sind wir nicht, dass wir die kostbare Dubliner Zeit fürs Warten vergeuden. Außerdem hatten Britta und ich schon vor Jahren, gleich zu Beginn unserer ersten Städtetour nach München, beschlossen, auf das Betreten von Kirchen und Museen weitgehend zu verzichten. Es hat sich stets bewährt, lieber zu beobachten, wie sich die Menschen in ihrer Stadt, in ihrem persönlichen Umfeld bewegen.
Daher gleich weiter zum Dublin Castle, unserem nächsten Programmpunkt. Im dortigen Parkbereich nehmen wir eine kleine Mahlzeit zu uns, Sandwich und Bagel, erstanden in einem der vielen Shops rundum, und sehen uns um. Der mit viel Sträuchern und Blühendem gestaltete Bereich mit den dahinter liegenden prächtigen alten Gebäuden ist sehr schön anzusehen. Alles wirkt ruhig und friedlich. Doch ohne dass wir sie haben herankommen sehen, beginnt plötzlich eine Schar junger Menschen, die Wegesränder auszustechen. Ein Forschungsprojekt? Es wirkt, als würden sie alle im gleichen Takt mit ihren Werkzeugen auf den Boden einstechen.
Mit dem Rundfahrtbus fahren wir bis zur Brauerei „Guinness“. Wir hören spannend Dargebotenes über die Geschichte des Bierbrauens und darüber, wie wichtig gute Zutaten wie Hopfen, Malz, Hefe und Wasser sind. Eine Bierprobe soll am Schluss alles abrunden, doch vorher werden wir darüber unterrichtet, wie man richtig trinkt: Man nimmt das gefüllte Glas zur Hand und riecht zunächst am verlockenden Inhalt, hebt den Arm, wobei der Ellenbogen quer zum Körper gehalten wird, führt das Glas zum Mund, nimmt einen Schluck und lässt das Bier im Mund verweilen. Dann erst schluckt man das kühle Nass.
Im Obergeschoss der Brauerei, einem großen, rundum verglasten Raum mit Blick über Dublin bis hin zur Küste, bekommt jeder Besucher eine Pint und darf überprüfen, ob das soeben Gelernte auch umzusetzen ist. Bei mir klappt es gut. Doch ich finde den Raum, auf den ungehindert die Sonne scheint, ziemlich überheizt. Schnell spüre ich, dass ich ein rotes Gesicht bekomme. Und schnell kann ich so manchen Blick der Umstehenden bei meinem Anblick übersetzen: „Ob die zuviel getrunken hat?“ Aber mich kennt außer Britta hier ja niemand, also tue ich, als wären mir derartige Vermutungen egal.
Da das Wetter gut ist, besser als noch vorgestern in Köln, bewegen wir uns viel draußen. Und bald schon fällt auf, dass die meisten Menschen an der Ampel bei Rot keineswegs stehen bleiben, auch alte Menschen mit Rollator oder Mütter mit Kinderwagen. Sie kennen die möglicherweise veralteten Taktschaltungen, die an fast allen Kreuzungen dafür sorgen, dass über geraume Zeit die Verkehrsteilnehmer aller Richtungen rotes Licht sehen. Doch wir lernen schnell dazu, und lassen uns von den Menschen mitziehen.
Auch auffallend und für uns ungewohnt ist, dass auf den Straßen immer mal wieder ein Mensch laut schreit. Gestern sahen wir eine Frau, die einem Mann (ihrem?) die halbvolle Bierdose aus der Hand riss und unter lautem Gezeter damit wegging. Es gab wohl Ärger über den Alkoholkonsum. Heute steht eine gut angezogene Frau an einem Obststand, und wettert mit vielen, unfreundlichen Gesten herum, ohne offenbar jemanden ganz speziell zu meinen.
Auf der Suche nach einem Restaurant begegnen wir diversen richtig fein gemachten Damen samt den dazu passenden Herren. Quer durchs Viertel, dessen Straßen mit dicken Pflastersteinen bestückt sind, bemühen sich viele Frauen, den abendlichen Weg mit extrem hohen Absätzen zu bewältigen. Wir hatten schon davon gehört, dass man in Irland ausgesprochen gut gestylt das Haus verlässt, um Restaurants, Bars oder sonstige Clubs zu besuchen, aber dass uns an einem ganz normalen Montagabend so viele feine irische Ladies begegnen, überrascht uns doch.
Endlich finden auch wir ein ansprechendes Lokal, um ein Essen zu uns zu nehmen; Britta bestellt Fleisch mit Gemüse, und ich Lasagne mit Salat, beide Gerichte mit Fritten. Die sehr dick geschnittenen Kartoffelprodukte werden gewissermaßen hochgestapelt serviert, und man muss beim Aufspießen vorsichtig zu Werke gehen, damit nicht der gesamte Stapel auseinander rutscht.
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