»Er tut es in der besten Absicht«, bemerkte sie. »Aber es hat nicht die Wirkung, die er beabsichtigt; der arme Junge.«
Sie erging sich sodann in Erklärungen, daß man von ihm doch auch keine Bildung verlangen könne, da er sein ganzes Leben in der Tanzschule zugebracht und nichts andres getan habe als lehren und sich abplagen, sich abplagen und lehren von morgens früh bis abends spät! Und was läge schließlich daran! Sie könne Briefe genug für beide schreiben, sie habe es auf ihre Kosten erfahren, und es sei viel besser für ihn, liebenswürdig als gelehrt zu sein.
»Übrigens bilde ich mir auch nicht ein, ein gebildetes Mädchen zu sein, das ein Recht hätte, darüber die Nase zu rümpfen«, sagte sie. »Ich weiß wahrhaftig selbst wenig genug, dank meiner Erziehung.«
»Etwas muß ich Ihnen noch erzählen, solange wir allein sind«, fuhr sie unterwegs fort, »was ich Ihnen nicht gern gesagt hätte, bevor Sie Prince gesehen haben, Miß Summerson! Sie wissen, wie es bei uns zu Hause zugeht. Bei uns etwas lernen zu wollen, was für mich als Princes Frau von Nutzen sein könnte, ist unmöglich. Bei uns herrscht ein solches Durcheinander, daß es einfach nicht geht. Und ich war immer noch mehr entmutigt, wenn ich es versucht habe. So übe ich mich jetzt ein wenig ... bei wem glauben Sie wohl?... bei der armen Miß Flite! Ganz früh am Morgen helf ich ihr das Zimmer aufräumen und die Vögel besorgen; dann koche ich ihr den Kaffee – sie hat es mich natürlich lehren müssen –, und ich habe ihn so gut kochen gelernt, daß Prince behauptet, es sei der allerbeste, den er jemals gekostet hat, und würde sogar den alten Mr. Turveydrop, der hinsichtlich Kaffee sehr eigen ist, in Entzücken versetzen. Ich kann auch kleine Puddings machen und weiß schon, wie man einen Hammelrücken, Tee und Zucker und Butter und andre zum Haushalt gehörige Dinge einkauft. Mit der Nadel bin ich noch nicht besonders geschickt«, sie warf einen Blick auf die Ausbesserungen an Peepys Frack, »aber vielleicht kann ich mich darin noch vervollkommnen. Seit ich mit Prince verlobt bin und mich mit allen diesen Dingen beschäftige, glaube ich besser aufgelegt und Ma gegenüber versöhnlicher gestimmt zu sein. Heute morgen packte es mich wieder, als ich Sie und Miß Clare so nett und hübsch aussehen fand und mich über Peepy und mich selbst schämen mußte, aber im großen ganzen, glaube ich, bin ich besserer Laune als früher und versöhnlicher gegenüber Ma.«
Es rührte mich tief, zu hören, wie sehr sich das arme Mädchen bemühte.
»Liebe Caddy«, sagte ich, »ich fühle mich sehr zu Ihnen hingezogen und hoffe, wir werden bald die besten Freundinnen sein.«
»Ach wirklich?« rief Caddy. »Wie glücklich mich das machen würde.«
»Liebe Caddy, wir wollen gleich von jetzt an Freundinnen und du und du sein und recht oft über diese Sachen plaudern und versuchen, uns darin zurechtzufinden, ja?«
Caddy war außer sich vor Freude. Ich sagte ihr in meiner altmodischen Weise alles Mögliche, um sie zu trösten und zu ermutigen, und hätte es an diesem Tage nicht übers Herz gebracht, etwas Nachteiliges über den alten Mr. Turveydrop zu sagen.
Wir hatten jetzt Mr. Krooks Haus erreicht und sahen den Privateingang offen stehen. Am Türpfosten klebte ein Zettel des Inhalts, daß im zweiten Stock ein Zimmer zu vermieten sei. Caddy erzählte mir, während wir die Treppe hinaufgingen, man habe einen plötzlichen Todesfall im Hause gehabt und Totenschau, und unsre kleine Freundin sei vor Schrecken krank geworden.
Da Tür und Fenster des leeren Zimmers offen standen, blickten wir hinein. Es war das Zimmer mit der dunkeln Tür, auf die Miß Flite bei meiner letzten Anwesenheit im Haus so geheimnisvoll meine Aufmerksamkeit gelenkt hatte.
– Was für ein trauriger und unwohnlicher Raum es war; ein düsterer, trauervoller Ort, der in mir ein seltsames Gefühl von Leid und sogar von Furcht erweckte. –
»Du siehst blaß aus«, sagte Caddy, als wir heraustraten. »Ist dir kalt?«
– Mich hatte tatsächlich im Zimmer ein Schauer überlaufen.
Wir waren bei unsern Gesprächen so langsam gegangen, daß mein Vormund und Ada schon vor uns angekommen waren. Wir fanden sie in Miß Flites Dachstübchen. Sie besahen sich die Vögel, während ein Arzt, der so gutherzig war, Miß Flite mit großer Teilnahme und Sorgfalt zu behandeln, freundlich mit ihr am Kamin sprach.
»Meine ärztliche Behandlung ist zu Ende«, sagte er und trat vor. »Miß Flite befindet sich bereits viel besser und kann morgen wieder im Gericht erscheinen, wenn ihr soviel daran liegt. Wie ich höre, hat man sie dort sehr vermißt.«
Miß Flite nahm das Kompliment wohlgefällig auf und machte uns einen gemeinsamen Knicks.
»Sehr geehrt, abermals die Mündel in Sachen Jarndyce bei mir zu sehen!« sagte sie. »Se-hr glücklich, Jarndyce von Bleakhaus unter meinem bescheidnen Dach zu empfangen!« Sie knickste. »Meine liebe Fitz-Jarndyce«, – diesen Namen hatte sie sich für mich ausgedacht – »seien Sie mir doppelt willkommen.«
»Ist sie sehr krank gewesen?« fragte Mr. Jarndyce den Arzt. Sie antwortete selbst, obgleich mein Vormund nur leise flüsternd gesprochen hatte.
»Oh, entschieden unpäßlich! Oh, sehr unpäßlich«, sagte sie vertraulich. »Kein Schmerz, Sie verstehen... Aufregung! Nicht so sehr körperlich, als nervös – nervös! Die Sache ist«, erklärte sie uns mit unterdrückter, bebender Stimme, »wir hatten einen Todesfall hier. Es war Gift im Hause. Ich bin solchen schrecklichen Dingen gegenüber außerordentlich empfindlich. Es entsetzte mich. Nur Mr. Woodcourt weiß, wie sehr. Mein Arzt, Mr. Woodcourt«, stellte sie mit großer Förmlichkeit vor, »die Mündel in Sachen Jarndyce – Jarndyce von Bleakhaus – Fitz-Jarndyce.«
»Miß Flite«, sagte Mr. Woodcourt mit ernster, wohlwollender Stimme, als wende er sich an sie, während er zu uns sprach und seine Hand sanft auf ihren Arm legte. »Miß Flite beschreibt ihre Krankheit mit ihrer gewohnten Akkuratesse. Ein Vorfall im Hause hat sie erschüttert, der eine stärkere Person als sie hätte stark mitnehmen müssen. Und sie wurde vor lauter Aufregung und Trübsal krank. In der ersten Hast der Entdeckung brachte sie mich hierher. Leider zu spät, um dem Unglücklichen noch helfen zu können. Ich habe mich für diese Enttäuschung dadurch entschädigt, daß ich seitdem hierher kam und ihr ein wenig nützlich gewesen bin.«
»Der freundlichste Arzt vom ganzen Kollegium«, wisperte mir Miß Flite zu. »Ich erwarte ein Urteil am Tag des Gerichts. Und dann werde ich Güter verschenken.«
»Miß Flite wird in ein paar Tagen wieder gesund und wohlauf sein«, sagte Mr. Woodcourt und sah sie mit einem prüfenden Lächeln an. »Mit andern Worten, wieder ganz auf dem Damm. Haben Sie gehört, welches Glück sie gehabt hat?«
»Ein ganz außerordentliches Glück«, bestätigte Miß Flite mit strahlendem Gesicht. »Denken Sie nur, jeden Samstag übergibt mir Konversations-Kenge oder Guppy – bei Konversations-K. – ein Kuvert mit Schillingen – mit Schillingen! Ja, ja, Sie dürfen mir's glauben! Immer die gleiche Anzahl ist im Kuvert. Immer einer für jeden Tag in der Woche. Jetzt wissen Sie es. Und gerade zur rechten Zeit gekommen, nicht wahr? Jaaaa! Woher, glauben Sie wohl, kommen diese Kuverts? Das ist die große Frage. Natürlich. Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube? Ich glaube«, sie trat mit einem schlauen Blick zurück und hielt den rechten Zeigefinger höchst bedeutsam in die Höhe, »daß der Lordkanzler in Hinblick auf die Länge der Zeit, wo das Große Siegel geöffnet ist – denn es ist schon sehr lange geöffnet –, das Geld schickt. Bis das Urteil, das ich erwarte, erfolgt. Das ist sehr anerkennenswert, sehen Sie. Auf diese Weise einzugestehen, daß der Prozeß sich wirklich etwas langsam für das irdische Leben abwickelt. So zartfühlend! Als ich neulich im Gerichtssaal war – ich wohne den Sitzungen regelmäßig bei mit meinen Dokumenten –, stellte ich ihn zur Rede, und er gestand fast. Das heißt, ich lächelte ihn von meiner Bank aus an und er lächelte mich von seiner Bank aus an. Aber ist es nicht ein großes Glück, wie? Und meine junge Freundin verwendet das Geld für mich so vorteilhaft. Oh, ich versichere Ihnen, außerordentlich vorteilhaft!«
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