Dabei schrie und winkte er wie verrückt.
Stille. Nur der nachtschwarze Himmel.
Und die Wüste.
„Müssen wohl gerade alle Kaffeepause machen“, entgegnete Max gedehnt und spuckte wieder aus.
„Das dürf-“
„Jetzt will ich dir mal etwas sagen, mein Freund: Die Gefangenen kommen mit einem Raumschiff hierher und werden über den ganzen Planeten verteilt. In einem Knast gibt es Regeln, feste Mahlzeiten und Strukturen. Das alles bietet Oasis nicht . Und das wissen sie. Es sind Menschen wie du ich. Naja, mehr wie ich“, setzte er hinzu und fing sich einen bitterbösen Blick von Hansen ein. „Sie müssen akzeptieren, dass sie nie wieder nach Hause kommen und sie müssen für sich selbst sorgen. Es ist ein hartes und raues Klima hier und die Netten und wirklich Guten werden gefressen. Keine Sekunde lang würde ich meinem schlimmsten Feind diese Hölle wünschen. Begreifen Sie bitte eines, Hansen“, er holte tief Luft und brüllte drauflos: „Diese Menschen werden nie wieder ihre Heimat sehen. Sie werden nie wieder die Spaghetti ihrer Mama kosten und nie wieder ein Kino oder ein Museum von innen sehen. Begreifst du den Ernst der Lage, du kranker Wichser!?“ Max wartete keine Antwort ab und fuhr fort: „Du hast bestimmt nicht das Recht, wie ein selbstgerechter Henker über Leben und Tod zu entscheiden. Diese Menschen sind am Ende und seit zwanzig Jahren schaue ich zu ihnen herunter und wünsche mir, ich könnte helfen. Auch wir bei SpaceTec sind nicht aus Stein – im Gegenteil: würde nur einer von uns abfällige Bemerkungen machen, fliegt er raus.“ Er atmete erschöpft aus. „So, und jetzt mach doch was du willst.“ Er winkte müde ab und ließ die Waffe sinken.
Plötzlich sprang der Motor an und für eine Millisekunde starrten beide entsetzt zum Streifenwagen, bis Michel Brown die passende Schaltung fand und Vollgas gab. Röhrend und knarrend beschleunigte der Wagen in der Dunkelheit und Sekunden später war von ihm nichts zu sehen.
Verdattert starrten beide dem Nichts entgegen, das den Wagen verschluckt hatte.
Michel Brown hatte sich soeben empfohlen.
Max blickte zur Stelle und versuchte zu verstehen, was jetzt einfach passieren musste: sie würden nicht rechtzeitig zur Gulfire kommen, was zweierlei zu Folge hatte. Erstens würde die Automatisierung dafür sorgen, dass das Raumschiff wieder verschwand. Zweitens würden sie festsitzen.
„Was machen wir denn jetzt?“ fragte Hansen panisch.
Leise stöhnend wandte sich Max ab und drückte an sein Ohr. Schnell stellte er den Kontakt zu Smith her. „Smith?“
„Curley, Sir. Smith musste sich mal hinlegen.“
Er kannte natürlich Curley. Ein ebenso tüchtige Frau aber sehr bestrebt ganz nach oben zu kommen. Curley war ein wandelndes Vorschriftenverzeichnung – was nicht passte, durfte nicht passieren. Das könnte ein Problem werden. Smith hingegen war einer der Kollegen, der sich liebend gerne an die Haken seines Vorgesetzten hängte und viel flexibler war. Aber auch ein überstrapazierter Verstand wie der von Max Snow verstand, dass selbst ein Preston Smith Schlaf brauchte. „Curley, sehen Sie meine Position?“
„Ja, Sir.“
„Uns wurde der Wagen gestohlen. Schicken Sie ein Team, um mich abzuSnown.“ Innerlich zählte er von zehn an rückwärts. Wartete. Als er bei zwei angekommen war, war die Botschaft natürlich: „Nein, Sir, das ist ganz schlecht.“
„Weil die Vorschriften besagen, dass…“
„…, dass nach mehrmaligen Gebrauch der Gulfire intensive Wartungsarbeiten vorgeschrieben sind.“
Max nickte. Er kannte das Regelwerk auswendig. Er begann in einem Singsang zu proklamieren: „Und die intensiven Wartungsarbeiten…“
„…könnten bis zu zehn Stunden dauern. Ja, Sir. Da können wir nichts machen.“ Er holte tief Luft. Blieb nur noch das Team, das mit einem Shuttle unterwegs war. Ein Shuttleflug sollte doch drin sein. Schließlich saß er auf Oasis fest und nicht in Wisconsin an einer Bushaltestelle. „Und das Shuttle? Schicken Sie ein Team runter. Kümmern Sie sich bitte darum, Curley. Ich hatte eine anstrengenden Tag.“
Wieder zählte er von zehn an rückwärts. Und wieder antwortete Curley: „Nein, Sir, das ist ganz schlecht.“
Schrecklich, wie berechenbar manche Dinge waren. Das nahm einen den ganzen Reiz am Leben.
Er atmete laut ein. „Lassen Sie mich raten: auch eine intensive Wartungsarbeit.“
Curley klang, als würde sie gleich weinen. „Ja, Sir. Tut mir leid.“
Fick dich doch! Du mit deiner geheuchelten Anteilnahme, du blöde Kuh! Ich werde hier entweder gefressen, getötet oder vergewaltigt. Alles auf einmal oder schön in umgekehrter Reihenfolge! Ich bin dein Chef! Wenn ich zuhause bin, lasse ich dich alle Büroklammern zählen und archivieren!
Er schluckte trocken und besann sich eines Besseren. „Das ist nicht Ihre schuld, Curley. Machen Sie Feierabend. Ich halte schon durch.“
Sie schnäuzte sich in ein Taschentuch. „Da wäre noch etwas, Sir.“
„Reden Sie schon, Mann!“ sagte er flapsig. Er spürte, wie sich ein Magengeschwür bildete. Der Krampf war noch auszuhalten- geradeso.
„Nein, Sir, die Firmenleitung hat sich gemeldet. Schon viermal in den letzten zwei Stunden. Sie wollen Sie morgen unbedingt sprechen.“
Natürlich, dachte Max böse. Mein Vorgesetzter hat gespürt, dass die Welt sich über mich erleichtert und will auch dabei sein und sein Häufchen setzen. Besten Dank, Gott! Gibt es dich überhaupt?
Max war Profi, aber nicht so. Langsam kämpften Panik und Frustration über die Kontrolle über sein Nervensystem und beide wurden Erste. „Morgen passt mir gut. Ich denke, so gegen zehn Uhr bin ich tot. Legen Sie den Termin auf elf. Danke und Gute Nacht.“
Er legte auf und starrte an sich herunter.
Und das Beste?
Es begann zu regnen…
Ein sanfter Herbstregen setzte ein, und zwar einer, der das tiefe Bestreben besaß lange und andauernd zu sein und sich vorher an einer kalten Wetterfront gekuschelt hatte. Aber das war noch nicht alles. Ein irres Grinsen zeichnete sich auf Maxs Gesicht gefährlich ab und auch hier zählte er innerlich von zehn runter und zeigte mit seinem Arm Richtung Hansen.
„Was machen wir denn jetzt?“ fragte Hansen panisch.
Danke, Universum. Auf dich ist Verlass.
Und das Universum antwortete auf seine Art.
Nach einer halben Stunde waren sie völlig durchnässt und froren bitterlich.
Zehn Stunden . In zehn Stunden würden Snow und Hansen eine geeignete Stelle für die Gulfire finden, die, wenn sie dort ankamen, leer und dunkel auf sie warten würde. Das war nicht das Problem; das Problem waren die zehn Stunden.
Zum einen: irgendwo dort draußen organisierte eine ziemlich gefährliche Frau die wohl größte Menschenjagd, die Oasis je gesehen hatte. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass Snow, ganz gleich, wer er war, irgendetwas mit ihrem Laboranten vorhatte. Browns Kenntnisse garantierten ihnen einen ausgezeichneten Drogenhandel und seine bloße Abwesenheit würde alles kompliziert machen – versteht sich. Ebenso war zu erwarten, dass die Gang einfach erwartete, dass man hart mit den beiden Entführern umging. Was würden sie also vermutlich tun? Jeden Stein im Umkreis von mehreren Meilen umdrehen und erst dann die Suche zu beenden, wenn Brown lebend und Snow und Hansen aufs Schärfste bestraft worden waren. Was wäre das Vernünftigste? Jetzt, wo Brown entkommen war, würde er wahrscheinlich zurückfahren und seiner Gang mitteilen, wo er Snow und Hansen zuletzt gesehen hatte. War es klug einfach zu flüchten? Wäre es nicht besser sich ein tiefes, tiefes Loch zu suchen und darauf zu hoffen, dass die Menschenjäger sie vor Ablauf der zehn Stunden nicht finden würden? Oder sich nach den Sternen zu orientieren und zu laufen, bis die Füße Blasen warfen…
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