Claudia Thoß
Die Maske aus schwarzem Samt
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Inhaltsverzeichnis
Titel Claudia Thoß Die Maske aus schwarzem Samt Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1: Ein neuer Anfang
Kapitel 2: Briefe
Kapitel 3: Der Engel der Musik
Kapitel 4: Lektionen
Kapitel 5: Hinter der Maske
Kapitel 6: Nachspiel
Kapitel 7: Maskenball
Kapitel 8: Maskenball (Fortsetzung)
Kapitel 9: Unerwarteter Besuch
Kapitel 10: Ein letzter Abschied
Kapitel 11: Kein Weg zurück
Kapitel 12: Ein wenig befahrener Weg
Kapitel 13: Dem Dunkel entfliehen
Kapitel 14: Der Todeswald
Kapitel 15: Aufbruch
Letztes Kapitel: Schwarzer Samt
Impressum neobooks
Kapitel 1: Ein neuer Anfang
Christoph durchquerte das Foyer de la Danse, in dem die Ballerinen eifrig ihre Figuren übten. Die Vorbereitungen für die Saisoneröffnung an der Opera Garnier liefen auf Hochtouren. Direktor Poligny hatte darauf bestanden, den Vertrag zu unterzeichnen noch bevor er und sein Geschäftspartner Debienne ihre Amtszeit aufkündigten.
»Ein Countertenor, wie?« fragte Debienne, indem er Christophs Resümee überflog.
»Dieser Tage müssen wir nehmen, wen wir kriegen können, mein Lieber. Dank eines gewissen Vorfalls haben wir arge Verluste in der Besetzung erlitten. Und bedenke nur die anstehende Idomeneo- Aufführung . Es finden sich schon Rollen. Da können wir ganz auf Monsieur Gabriel vertrauen. Bei ihm hat der Junge während des Vorsingens anscheinend für großes Aufsehen gesorgt.«
Christoph gefiel es nicht, dass die Direktoren in seiner Anwesenheit redeten, als sei er nicht da. Dennoch freute er sich auf die neue Saison. Trotz guter Referenzen und einem Abschluss an der Akademie der Künste Schwedens blieb ein Countertenor eine Ausnahmeerscheinung. Ausgerechnet an der Opera Garnier genommen zu werden, war daher ein unerwartetes Glück, auf das er gern mit jemandem angestoßen hätte. Außer der Logenschließerin Giry, die ihm den Weg ins Direktionsbüro gewiesen hatte, kannte er bisher jedoch niemanden. Wenn wenigstens sein Vater diesen Erfolg noch erlebt hätte, es hätte ihn stolz gemacht. Doch der alte Daaé ruhte auf dem Friedhof von Perros Guirec, wie er es sich gewünscht hatte: An der Seite seiner Frau.
Christoph nahm den Vertrag entgegen und ließ sich seine neue Garderobe zeigen. Madame Giry, die vor dem Büro auf ihn gewartet hatte, führte ihn die Korridore entlang durch die verschlungenen Gänge der Oper. Offenbar war sie neben ihrer Tätigkeit als Logenschließerin auch die gute Seele des Hauses.
»Da wären wir, mein Junge.« Sie schloss auf und überreichte ihm den Schlüssel. »Es ist besser, abzuschließen bevor du die Garderobe verlässt. Man weiß nie, wer hier umgeht. Das Personal ist natürlich von jedem Verdacht ausgenommen, aber in letzter Zeit gab es kleinere Zwischenfälle.«
»Welche Zwischenfälle?«, hakte Christoph nach.
Vage hob Madame Giry die Schultern. »Ein Fass Tinte, das aus dem Direktionsbüro verschwand; eine vermisste Puderquaste oder ein Taschentuch. Und außerdem … Manche sagen, sie haben einen Geist gesehen, der in einem Frack durch die Menge geht.«
Bei dieser letzten Bemerkung hob Christoph die Brauen. Zwar hatte er davon gehört, dass Aberglauben unter Theaterleuten verbreitet ist, doch dies war das ausgehende neunzehnte Jahrhundert. Der Glaube an Geister erschien ihm unzeitgemäß.
»Ich werde es bedenken«, sagte er dennoch und steckte den Schlüssel in die Brusttasche seines Hemdes. Wobei ein Geist sich kaum von Türschlössern aufhalten ließe, setzte er gedanklich hinzu.
»Dann herzlich willkommen, Christoph Daaé. Wenn du irgendetwas brauchst, wende dich jederzeit an mich. Unsere Ballettratten hast du ja schon gesehen, im Foyer de la Danse. Meine kleine Meg ist seit kurzem Prima Ballerina. Die Primadonna des Hauses wirst du auch bald kennenlernen. Vor der nimm dich besser in Acht.«
Die Warnung ließ Christoph erneut die Brauen heben. Zuerst ein Geist, nun eine Primadonna. Aber als er in Madame Girys gutmütiges Gesicht sah, zerstreuten sich seine Bedenken und er dankte ihr nochmals für ihren freundlichen Empfang.
»Ich muss wieder an die Arbeit, mein Junge. Du findest mich im Foyer, wenn du etwas brauchst.« Beim Hinausgehen raschelte ihr brauner Taftrock. Christoph starrte noch einen Moment lang auf die Tür, dann schaute er sich in dem Zimmer um.
Die Garderobe lag in einem Dämmerlicht, das von einer Petroleumlampe auf dem Frisiertisch herrührte. Fenster gab es keine. Eine zweite kleinere Petroleumlampe befand sich auf dem Tisch vor der Chaise Longue, nahe der Tür. Christoph setzte sich vor die Kommode und betrachtete sich im Spiegel. Auf dem Frisiertisch lümmelten einige Utensilien, ein Kamm, Haarnadeln und sogar frische Taschentücher. Als Christoph eine der Schubladen öffnete, fand er darin ein Fässchen Tinte, eine Schreibfeder und einen Bogen Briefpapier. Er inspizierte auch den Kleiderschrank. Bis auf ein paar Kleiderbügel stand er leer. Christoph atmete tief den Geruch von altem Holz und Staub ein. Aber da war noch etwas anderes, das er nicht genau zuzuordnen vermochte. War es eine Art Parfum oder eine andere Substanz? Der Geruch war zu flüchtig.
Christoph schloss Schranktüren und Schubladen, und trat wieder auf den Flur hinaus. Wie von Madame Giry empfohlen, schloss er hinter sich ab. In den Korridoren und auf der Treppe eilten verschiedene Leute an ihm vorbei: Bühnenbildner, Techniker, ein paar Ballettratten, wie Madame Giry sie genannt hatte. Sie tuschelten und kicherten.
»Das war sicher das Phantom«, wisperte eine von ihnen bedeutungsvoll. Er ließ die vier Mädchen vorbei und schritt anschließend die Treppe zum Großen Foyer hinunter. Ab und an nickte ihm jemand zu, doch die meisten gingen unbehelligt ihrer Arbeit nach. Das Phantom, überlegte Christoph, schien nur die jungen Gemüter zu beunruhigen. Dabei erinnerte er sich an die Geistergeschichten, die sein Vater ihm einst erzählt hatte. Legenden aus dem hohen Norden hatten ihn als Kind fasziniert und seine Phantasie beflügelt. Doch nun schien es ihm, als seien diese Dinge in einem früheren Leben passiert.
***
Nach dem Ende der Proben kehrte Christoph in seine Garderobe zurück. Beim Eintreten bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Was genau es war, konnte er jedoch nicht sagen. Der Geruch schien ein anderer - reifer, wenn man es so nennen wollte. Die Möbel standen noch, wie er sie verlassen hatte; abgesehen von einer einzelnen Rose auf dem Chiffonier, die dort lag als habe man sie beiläufig platziert.
»Ich bin mir sicher, den Raum abgeschlossen zu haben«, murmelte er vor sich hin, halb im Zweifel, halb erschrocken darüber, wie einfach es war, in seine Privatsphäre einzudringen.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken.
»Christoph, mein lieber Junge, ein Besucher erwartet dich im Foyer de la Danse.« Logenschließerin Girys Stimme hatte diesen mütterlichen Ton, den sie bei allen Ballettmädchen und ihm unter allen Neulingen anschlug. Vielleicht, weil er unter allen Sängern der Oper eine Ausnahme darstellte.
»Eine Minute, Madame. Ich kleide mich an und treffe ihn unten.«
»Ich werde ihm ausrichten, auf dich zu warten.«
»Danke.« Er griff nach der Rose und roch daran. Ihr süßlicher Duft erinnerte ihn an die aufkommende Frühlingszeit. Zugleich war es der Beginn seines ersten Jahres an der Opera Garnier. Die Direktion war freizügig genug gewesen, ihn für zwei Spielzeiten im Voraus zu verpflichten, ungeachtet ihrer Abdankung. Andererseits hatte Christoph bisher keine Gelegenheit gehabt, die neue Direktion kennenzulernen. Es hieß, sie stellten sich auf der Eröffnungsgala in einigen Tagen erstmals vor.
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