Christian Kraft - Die Gorillafalle

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Zwei Jungen gehen auf Erkundungstour im afrikanischen Dschungel verloren. Sie wollten sich wilde Gorillas aus der Nähe ansehen, doch jetzt müssen sie aus dem Urwald Kameruns irgendwie lebendig wieder herauskommen. Auf der Spur der Gorillas und auf der Flucht vor Wilderern erleben sie ihr größtes Abenteuer und lernen, das Leben mit anderen Augen zu sehen.

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Personen (und Aussprache)

Alex [A-lex]

JayJay [DSCHÄI-dschäi]

JayJays Vater

Kusuni [KuSUni]

Songo [SONG-go]

Onana [O-NAna]

Ysis [I-sis]

Enoka [E-NOka]

Fabrice [Fa-BRIS]

Henri [O-RI]

Thibault [Ti-BO]

1. Die grüne Hölle

„Steh auf!“ sagte JayJay als Alex zum wiederholten Mal mit dem Fuß an einer Schlingpflanze hängengeblieben oder über einen Ameisenhügel gestolpert war. „Steh auf und pass auf, wo du hintrittst.“ Alex wischte sich mit dem feuchten Ärmel seines T-Shirts den Schweiß aus den Augen und schaffte es gerade so wieder auf die Beine.

Er konnte nicht mehr. JayJay und sein Vater warteten in zehn Metern Entfernung auf Alex. Sie hatten bereits mit der Machete einen schmalen Pfad durch die grüne Wand aus Ästen, Blättern und Lianen geschlagen und schienen immer noch voller Tatendrang zu sein. Aber Alex war am Ende seiner Kräfte. Drei Stunden hatten sie sich durch den afrikanischen Dschungel gekämpft, und er konnte es sich wirklich nicht mehr erklären, warum er freiwillig hierher gekommen war. Warum er freiwillig auf sein akklima­tisiertes Zimmer, den Kühlschrank, die Dusche, sein Bett und seine Abenteuerromane verzichtet hatte.

„Bitte! Ich brauche eine Pause!“ keuchte er.

„Das geht nicht“, antwortete JayJays Vater. „Wir müssen vor der Mittagssonne bei der Hütte angekommen sein. Es wird jede Minute heißer. Bitte beiß‘ die Zähne zusammen, es ist nicht mehr weit.“

Alex schloss resignierend die Augen und stöhnte leise. Ganz klar, so musste es in der Hölle sein. Heiß, brutal, unheimlich und er konnte nicht mehr. Nur war diese Hölle hier grün statt rot. Mühsam trottete er weiter hinter den beiden her und versetzte sich in Gedanken einen Monat zurück, als plötzlich JayJay vor seiner Tür gestanden hatte…

„Du wirst mir niemals glauben, was ich zum Geburtstag bekommen habe!“ rief JayJay, als er aufgeregt von einem Bein aufs andere trippelte. Wenn er aufgeregt war, redete er immer lauter, als es nötig war. „Meine Eltern haben mir eine Vier-Tages-Expedition in den Boumba-Bek Nationalpark geschenkt. Und ich darf jemanden mitnehmen! DAS wird ein Abenteuer! Echte Gorillas, Elefanten, mehrere Kilometer bis zur nächsten Straße! Bitte Alex, Du musst mitkommen!“ Alex wusste erst gar nicht, wovon JayJay sprach. „Du weißt doch,“ erinnerte ihn JayJay, „dass mein Vater Ranger im Nationalpark tief im Süden von Kamerun ist. Er kann uns alles zeigen! Ein Tagesausflug dorthin kostet normalerweise ein Vermögen! Aber weil er dort arbeitet, dürfen wir da für viel weniger Geld hin. Wir dürfen sogar dort schlafen! Stell Dir das doch mal vor!!!“

Alex dachte nach. Das war ihm alles nicht ganz geheuer. Was da passieren konnte! Andererseits verschlang er einen Abenteuerroman nach dem anderen, und das war die Gelegenheit, einmal aus der Hauptstadt Yaoundé herauszukommen und wirklich etwas zu erleben. „Na gut, ich bin dabei,“ hörte er sich sagen.

Das alles war jetzt eine gefühlte Ewigkeit her, und während ihm mal wieder ein riesiges dunkelgrünes Blatt ins Gesicht schlug, fragte Alex sich, warum er nicht einfach „nein“ gesagt hatte.

Als sie nach einer weiteren Stunde ankamen, war es kurz nach 10 Uhr und Alex hatte es aufgegeben, sich zu beschweren. Er war zu erschöpft, um wütend zu sein. „Endlich eine Dusche und ein Bett!“ dachte er bei sich. Aber selbst als JayJays Vater die aus Holzbrettern bestehende Tür mit den Worten „Willkommen in unserer 5-Sterne-Suite!“ öffnete, war Alex zu müde, um schockiert zu sein. Was er sah, war eine winzige Hütte aus Brettern, im Inneren gab es Essen in Dosen, mehrere Wasserkanister, einen Camping­ofen, eine zerbeulte Aluminiumschüssel (wahrscheinlich um sich zu waschen), und einen Stapel mit Papieren. Er schloss die Augen und setzte sich an die Außenwand gelehnt auf den Boden. Dort blieb er und war nicht mehr ansprechbar.

2. Im Camp

„Alex!“ weckte ihn JayJays Stimme. Alex versuchte, seine verklebten Augen zu öffnen. Er saß halb in sich zusammen­gesunken an der Hütte und sein ganzer Körper tat weh. Es war so unendlich heiß! Der Schweiß tropfte ihm vom Kinn auf die Brust.

Plötzlich bemerkte er noch andere Stimmen. Stimmen die er nicht kannte. Es waren Männer- und Frauenstimmen, sie sprachen französisch und englisch. Er öffnete das linke Auge und schloss ist gleich wieder, weil der weiße Himmel ihn blendete. Dann versuchte er es noch einmal. Dieses Mal konnte er es aushalten. Er sah, wie sich verschwommene Gestalten vor seinem Auge bewegten. Er öffnete auch das rechte Auge und langsam wurde das Bild schärfer. Da waren noch mehr Hütten, vier oder fünf, wie ein kleines Dorf, alle waren in einem Kreis angeordnet. Rund herum war rot-brauner schlammiger Boden. Die sich bewegenden Gestalten waren zu normalen Menschen geworden, die geschäftig hin und her liefen, ab und zu lachte jemand. Aber Alex beachteten sie nicht wirklich.

„Was ist passiert? Wo bin ich?“ fragte er wie benommen zu sich selbst.

„Wir sind im Camp. Du weißt doch, wo wir hin wollten. Hast du wirklich alles vergessen? Du hast über eine Stunde geschlafen, Alex. Im Sitzen. Du musst jetzt unbedingt etwas trinken…“

JayJay gab ihm eine Thermosflasche und Alex trank. Das kühle Wasser beförderte ihn langsam wieder zurück ins Leben.

„Alex“, drängte JayJay, „es ist jetzt zwei Uhr, und wir wollten heute eigentlich noch unseren ersten Versuch unternehmen, die Gorillas zu sehen. Kusuni sagt, die Gruppe, die wir zu sehen bekommen könnten, wäre heute nicht weit entfernt. Aber wir müssten bald los. Schaffst du das?“

„Puh, wenn es unbedingt sein muss. Aber wer ist dieser Kusuni?“

„Das ist unser Führer im Dschungel. Papa hat ihn mir gerade vorgestellt. Er ist ein Pygmäe, ein Einheimischer, und kennt den Dschungel wie seine Westentasche. Wenn Gorillas in der Nähe sind, dann ist er der erste, der es merkt. Er findet jede Spur.“

Alex stand auf und streckte seine müden Glieder. JayJay redete einfach weiter: „Aber bevor wir gleich aufbrechen, muss ich dir zuerst noch ein paar Dinge sagen, die für dich im Camp wichtig sind. Du musst daran denken, dass du immer viel trinkst. Das Wasser bekommen wir aus einer Quelle nicht weit vom Camp. Nur darfst du das Wasser niemals direkt aus der Quelle trinken, weil du da schlimme Krankheiten bekommen kannst. Wir müssen das Wasser immer zuerst im Camp abkochen. Überhaupt musst du dich vor Krankheiten in acht nehmen. Deswegen musst du auch jeden Abend eine Tablette gegen Malaria einnehmen.“

Alex hatte von Malaria gehört. Er hatte gelesen, dass sehr viele Menschen an der Krankheit gestorben waren, er hatte gelesen von dem Fieber, das Menschen für mehrere Tage oder Wochen ans Bett gefesselt und ihnen dabei fast den Verstand geraubt hatte.

„Außerdem“, fuhr JayJay fort, „darfst du niemals, wirklich niemals das Camp alleine verlassen. Sobald der Dschungel dich verschluckt, lässt er dich nicht wieder heraus.“

Alex überkam ein mulmiges Gefühl als gerade JayJays Vater zu den beiden Jungen trat. „Wie ich sehe, seid ihr beide gleich startbereit? Ich will euch vorher aber noch etwas über die Gorilla­familie erzählen: Wir haben hier eine Familie von insgesamt sechzehn Tieren. Songo ist der Silberrücken. Er beschützt seine Familie und er hat das Kommando. Erschreckt euch nicht - er ist riesig. Außerdem gibt es sieben Weibchen und acht Jungtiere.

Kusuni und ich werden immer mit euch unterwegs sein. Tut genau, was wir sagen. Ihr dürft euch niemals von uns entfernen. Seid immer möglichst leise und ruhig. Macht keine hektischen Laute oder Bewegungen. Die Gorillas sind an Menschen gewöhnt. Falls wir sie aber trotzdem verärgern sollten und einer der Affen uns angreift, dann bleibt einfach gerade stehen und tut gar nichts.

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