Henry entwand sich aus der Umarmung, drehte sich um und stützte sich mit beiden Händen am Kaminsims ab. „Ich kann jeden anklagen! Und niemand hat das Recht, meine Entscheidungen anzuzweifeln!“, bekräftigte er seinen Standpunkt erneut.
„Und gibst damit deinen Gegnern einen wirklich guten Grund, wieder gegen dich zu rebellieren“, entgegnete sein Bruder hämisch. „Verdammt Heinrich! Du spielst Rudolf damit in die Karten, warum kapierst du das nicht?! Er wird sich mit Savoyen verbünden und Satorius lacht sich ins Fäustchen! Die warten doch nur darauf, einen Grund für einen Krieg gegen dich zu finden! Die Savoyer lieben ihre Königin, weil sie eine von ihnen ist! Aber dich, würden sie lieber heute als morgen, zum Teufel jagen!“, fuhr er nun wirklich ärgerlich fort.
Richard stieß einen schweren Seufzer aus. „Hast du eigentlich einmal Sybilla selbst dazu befragt?“, fragte er vorsichtig.
„Er hat noch kein einziges Wort seither mit ihr gewechselt“, antwortete Wilhelm ungehalten und Henry drehte sich wütend zu ihnen um.
„Und das werde ich auch nicht!“, zischte er, was Richard entnervt die Hände in die Luft werfen ließ.
„Du willst ihr also nicht einmal die Chance geben, sich zu erklären! Höre sie wenigstens einmal an und dann kannst du immer noch eine Entscheidung treffen! Verdammt, sie liebt dich! Sie hat immer nur dich geliebt und stand immer zu dir oder denkst du wirklich, dass sie in all den Jahren nichts von deinen abwegigen Liebeleien ahnte?!“, fragte er verständnislos.
Der König senkte daraufhin kurz das Haupt und schnaubte nur auf seine spöttische Art. Richard kratzte sich verlegen die gerunzelte Stirn und atmete erst einmal tief durch, um sich wieder zu beruhigen. „Und was geschieht mit Amanoue?“, fragte er leise, Henry hob den Blick und sah ihn mit verengten Augen an. Maßlose Wut, aber auch tiefe Trauer spiegelten sich darin wider und so war es nun Richard, der vor ihm den Blick niederschlug.
„Ich will nicht über ihn sprechen“, hörte er Henry antworten und der Schmerz war deutlich herauszuhören.
„Er hat ihn eingesperrt, seitdem“, antwortete Wilhelm stattdessen.
„Aber das geschah doch schon vor Wochen!“, entfuhr es Richard regelrecht erschrocken. „Seit der Geburt? Du hast ihn seitdem eingesperrt? Das war Anfang Dezember und jetzt haben wir Januar“, hängte er fassungslos daran.
„Du hast dir ja auch reichlich Zeit gelassen“, erwiderte Henry zähneknirschend.
„Ich konnte doch nicht ahnen, was hier los war! In der Nachricht stand nur, dass ich so schnell wie möglich zurückkommen sollte! Und sie war von deinem Bruder“, verteidigte sich sein Onkel und Wilhelm verdrehte die Augen neben ihm. „Außerdem brauchte der Bote eben auch seine Zeit…“
„Ja, genau! Ein paar Tage, hin und zurück! Und du hast erstmal eine Woche überlegt, um überhaupt zu antworten! Oder war der zu Fuß unterwegs?“, brummte Henry schnippisch zurück.
Richard schnaufte laut aus. „Ich war eben noch immer etwas wütend, über deinen liebevollen Hinauswurf“, rechtfertigte er sich höhnisch. „Ist doch selbstredend, dass ich den Boten ausgefragt habe und der erklärte mir lediglich, dass ihre Majestät einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hätte und es ansonsten nichts zu berichten gäbe! Ich konnte doch nicht ahnen, was hier wirklich los war!“
Wieder rollte Wilhelm mit den Augen. „Ihr zwei seid beide solche…“, raunte er dazwischen, zwang sich dann aber zur Ruhe und winkte schließlich nur noch ab.
„Was?“, fuhr Henry ihn an, „Arschlöcher?!“
Wilhelm hob überrascht die Augenbrauen und nickte tatsächlich. „Ja, dass auch! Ich wollte es eigentlich nicht so derb ausdrücken, aber ja, ihr seid beide manchmal echte Arschlöcher und beide vom gleichen Schlag! Müsst ihr ausgerechnet jetzt die beleidigten Leberwürste spielen? Wir haben echt andere Sorgen, als euren angekratzten Stolz! Seht mich nicht so schockiert an, es ist so! Und ich habe allmählich echt die Schnauze voll davon! Seit Jahren sehe ich mir das jetzt schon mit an! Ihr streitet euch wegen jedem Furz und liegt euch gleich darauf wieder in den Armen! Jetzt ist Schluss damit! Du bist jetzt da und wir sollten nun endlich eine Lösung finden! Und du“, wandte er sich direkt an Henry, „wirst dich endlich wieder wie ein vernünftiger Mensch benehmen, mit dem man ein vernünftiges Gespräch führen kann! Zu deiner Erinnerung, du bist hier nicht nur ein gewöhnlicher, gehörnter Ehemann, sondern auch unser aller König und trägst damit die Verantwortung für uns alle! Und deshalb musst du erst recht deine Gefühle hintenanstellen! Du wirst Sybilla zumindest die Chance einer Verteidigung lassen und wir drei werden über sie urteilen! Außerdem interessiert es mich brennend, wie es dein kleiner Lustknabe angestellt hat, sie flachzulegen“, meinte er und schüttelte auch gleich geradezu ungläubig den Kopf darüber.
Henrys Brust war mit jedem seiner Worte mehr angeschwollen und er stand kurz vor dem Platzen. „Richtig, ich bin euer König und somit verbiete ich dir, so mit mir zu reden! Was fällt dir ein?!“, brüllte er seinen jüngeren Bruder an, doch der verzog nur gelangweilt das Gesicht.
„Jetzt geht das wieder los“, murmelte er genervt vor sich hin. „Gut, wenn es dir danach besser geht, brüll mich an oder wirfst du mich jetzt auch raus?“, meinte er relativ gelassen.
„Heinrich, Wilhelm hat recht, lass uns nicht länger streiten und unseren Groll beiseitelegen“, lenkte wenigstens Richard ein und streckte ihm die rechte Hand entgegen. „Es tut mir leid, bitte vergib einem störrischen alten Mann“, sagte er geknickt.
Henry holte tief Luft, atmete geräuschvoll aus und drehte sich zierend hin und her. „Du hast mich zutiefst verletzt und warst nicht da, als ich dich am nötigsten gebraucht hätte“, grummelte er und wieder wurden seine Augen feucht. „Ich kann einfach nicht mehr“, gestand er leise und schon lagen sie sich in den Armen.
„Jetzt bin ich ja da, ist schon gut“, versuchte sein Onkel ihn zu trösten und klopfte ihm den Rücken, während Henry leise schluchzend nickte.
„Wie konnten sie mir das antun, wie konnte er mir das antun?“, weinte er mit der Stirn auf Richards Schulter und der unterdrückte nun selbst nur noch mühsam die Tränen.
Wilhelm hob leicht mit dem Kopf schüttelnd die Augenbrauen und seufzte schwer. „Könnten wir jetzt endlich wieder zur Sache kommen? Ich bekomme allmählich Hunger und bin am Verdursten!“, brummte er, stand auf und ging hinüber zum Tisch. Er schenkte sich einen Becher Wein ein und trank einen großen Schluck.
„Mir auch“, krächzte Henry und zog die Nase hoch. Wilhelm goss den Pokal voll, reichte den seinem Bruder und der trank wie ein Verdurstender.
„Ich auch“, knurrte Richard, wischte sich über die Augen und so füllte Wilhelm den dritten Becher.
„Hier“, meinte er, seinem Onkel das Getränk übergebend und alle drei tranken nochmals.
„Gut“, sagte Henry schließlich doch einsichtig und räusperte sich, um den Kloß in seinem Hals endgültig los zu werden. „Dann wollen wir uns mal anhören, was Sybilla dazu zu sagen hat“, murmelte er und die beiden anderen atmeten erleichtert auf.
***
Sybilla betrat mit gesenktem Haupt das private Audienzzimmer und blieb mitten im Raum stehen. „Eure Majestät“, kam es leise über ihre bebenden Lippen und sie knickste etwas unsicher. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und auch ein schwarzer Schleier bedeckte ihr lockiges, rötliches Haar.
„Ihr wisst, warum Ihr hier seid?“, fragte Wilhelm kühl und die Königin sah ihn fragend an. „Euch wird Ehebruch vorgeworfen und dazu habt Ihr noch versucht, Eurem Gemahl ein Balg unterzujubeln! Was sagt Ihr dazu?“
„Bitte Henri, Eure Majestät, vergebt mir, es war nicht so, ich wollte es nicht, ich schwöre es!“, prasselte es sofort aus ihr hervor und sie fiel händeringend auf ihre Knie. „Er war es, er hat mich irgendwie gefügig gemacht, ich konnte mich nicht einmal wehren, oh bitte, bitte, das ist die Wahrheit“, bettelte sie und schlug schluchzend die Hände vor ihr deutlich ausgemergeltes Gesicht.
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