JOHANNA.
Das ist Graf Dunois! Frisch, wackrer Streiter!
Der Sieg ist mit dir!
SOLDAT.
Der Burgunder greift
Die Brücke an.
ISABEAU.
Daß zehen Lanzen ihm
Ins falsche Herz eindrängen, dem Verräter!
SOLDAT.
Lord Fastolf tut ihm mannhaft Widerstand.
Sie sitzen ab, sie kämpfen Mann für Mann,
Des Herzogs Leute und die unsrigen.
ISABEAU.
Siehst du den Dauphin nicht? Erkennst du nicht
Die königlichen Zeichen?
SOLDAT.
Alles ist
In Staub vermengt. Ich kann nichts unterscheiden.
JOHANNA.
Hätt er mein Auge oder stünd ich oben,
Das Kleinste nicht entginge meinem Blick!
Das wilde Huhn kann ich im Fluge zählen,
Den Falk erkenn ich in den höchsten Lüften.
SOLDAT.
Am Graben ist ein fürchterlich Gedräng,
Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort.
ISABEAU.
Schwebt unsre Fahne noch?
SOLDAT.
Hoch flattert sie.
JOHANNA.
Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen,
Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren!
SOLDAT.
Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist
Umzingelt!
ISABEAU zuckt den Dolch auf Johanna.
Stirb, Unglückliche!
SOLDAT schnell.
Er ist befreit.
Im Rücken faßt der tapfere Fastolf
Den Feind – er bricht in seine dichtsten Scharen.
ISABEAU zieht den Dolch zurück.
Das sprach dein Engel!
SOLDAT.
Sieg! Sieg! Sie entfliehen!
ISABEAU.
Wer flieht?
SOLDAT.
Die Franken, die Burgunder fliehn,
Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde.
JOHANNA.
Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verlassen!
SOLDAT.
Ein schwer Verwundeter wird dort geführt.
Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst.
ISABEAU.
Der Unsern einer oder Fränkischen?
SOLDAT.
Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists.
JOHANNA greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten.
Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!
SOLDAT.
Sieh! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel
Verbrämt mit Gold?
JOHANNA lebhaft.
Das ist mein Herr, der König!
SOLDAT.
Sein Roß wird scheu – es überschlägt sich – stürzt,
Er windet schwer arbeitend sich hervor –
Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen.
Die Unsern nahen schon in vollem Lauf –
Sie haben ihn erreicht – umringen ihn –
JOHANNA.
O hat der Himmel keine Engel mehr!
ISABEAU hohnlachend.
Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette!
JOHANNA stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend.
Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not,
Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch,
In deine Himmel send ich meine Seele.
Du kannst die Fäden eines Spinngewebs
Stark machen wie die Taue eines Schiffs,
Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande
In dünnes Spinngewebe zu verwandeln –
Du willst und diese Ketten fallen ab,
Und diese Turmwand spaltet sich – du halfst
Dem Simson, da er blind war und gefesselt,
Und seiner stolzen Feinde bittern Spott
Erduldete. – Auf dich vertrauend faßt' er
Die Pfosten seines Kerkers mächtig an,
Und neigte sich und stürzte das Gebäude –
SOLDAT.
Triumph! Triumph!
ISABEAU.
Was ists?
SOLDAT.
Der König ist
Gefangen!
JOHANNA springt auf.
So sei Gott mir gnädig!
Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach.
Vorige ohne Johanna.
ISABEAU nach einer langen Pause.
Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin?
Wie brach sie diese zentnerschweren Bande?
Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt,
Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen.
SOLDAT auf der Warte.
Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie
Hinabgeführt?
ISABEAU.
Sprich, ist sie unten?
SOLDAT.
Mitten
Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller
Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort –
Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!
– Sie teilt die Haufen – Alles weicht vor ihr,
Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu!
– – Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen
Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken –
ISABEAU.
Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen?
SOLDAT.
Grad auf den König dringt sie an – Sie hat ihn
Erreicht – Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf.
– Lord Fastolf stürzt – Der Feldherr ist gefangen.
ISABEAU.
Ich will nicht weiter hören. Komm herab.
SOLDAT.
Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen.
Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran.
Er steigt herunter.
ISABEAU das Schwert ziehend.
So fechtet, Memmen!
Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt streckt das Volk der Königin die Waffen.
LA HIRE naht ihr ehrerbietig.
Königin, unterwerft Euch
Der Allmacht – Eure Ritter haben sich
Ergeben, aller Widerstand ist unnütz!
– Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin
Ihr wollt begleitet sein.
ISABEAU.
Jedweder Ort
Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne.
Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten.
Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld.
Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein.
SOREL wirft sich an des Königs Brust.
Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder!
KÖNIG.
Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis!
Zeigt auf Johanna.
SOREL.
Johanna! Gott! Sie stirbt!
BURGUND.
Sie hat geendet!
Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,
Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!
Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,
Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben
Ist noch zu spüren in der warmen Hand.
KÖNIG.
Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen,
Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.
SOREL.
Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!
BURGUND erstaunt.
Kehrt sie
Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod?
Sie richtet sich empor! Sie steht!
JOHANNA steht ganz aufgerichtet und schaut umher.
Wo bin ich?
BURGUND.
Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!
KÖNIG.
In deiner Freunde, deines Königs Armen!
JOHANNA nachdem sie ihn lange starr angesehen.
Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß
Ich bins nicht.
KÖNIG.
Du bist heilig wie die Engel,
Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.
JOHANNA sieht heiter lächelnd umher.
Und ich bin wirklich unter meinem Volk,
Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
– Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
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