Auch am Ende des Flurs saß einer im dunklen Anzug in einer Sitzecke und nickt dezent als er Wolf aus dem Aufzug kommen sah. Vor der Türe zur Suite 1008 wurde er von einem weiteren Man in Black durch Nicken begrüßt. „Herr Wolf, ich denke, Sie wissen, was jetzt kommt und ich danke für Ihr Verständnis.“ Er hatte ihn tatsächlich nach Waffen durchsucht. Sommer musste bedroht werden, er hatte offenbar Angst.
Ralf Sommer begrüßte Wolf und kam gleich zur Sache. „Herr Wolf, Sie wurden mir von Alfred Wagner empfohlen. Er meinte, ich könne offen mit Ihnen reden und auf Ihre Verschwiegenheit über dieses Treffen vertrauen.“ Darauf Wolf: „Diskretion ist mein Werkzeug, sie ist für mich noch wichtiger als für Sie. Abgesehen davon, falls ich eine Möglichkeit sehe, dazu beitragen zu können, für Ihre Situation eine Lösung zu finden, werden wir einen Vertrag unterzeichnen, der eine Geheimhaltungspflicht für beide Seiten beinhaltet. Herr Wagner wurde zum Teil von dieser Pflicht befreit sonst hätte er mich Ihnen nicht empfehlen können. Nun, wo drückt der Schuh, Herr Sommer?“
„Wie aus den Medien allgemein bekannt, werde ich meine Partei in den Wahlkampf führen und als Spitzenkandidat antreten. Mit der Aussicht auf großzügige finanzielle Unterstützung der Partei in diesem Wahlkampf, wurde mir nahegelegt, mich für eine Gesetzesänderung einzusetzen. Nachdem ich mein Engagement diesbezüglich ausgeschlossen habe, wurde die Gangart verschärft und meine Familie bedroht“, erklärte Sommer. „Um welches Gesetz handelt es sich?“, wollte Wolf wissen.
„Das Organtransplantationsgesetz. Es regelt die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen, die nach dem Tode oder zu Lebzeiten gespendet werden. Die Voraussetzungen für die Entnahme von Organen bei Verstorbenen und Lebenden sind gesetzlich genau festgelegt. Demnach ist der zu Lebzeiten erklärte Wille für oder gegen eine Organspende maßgebend und strikt zu beachten. Mit der so genannten Entscheidungslösung, d.h. der Möglichkeit eines jeden Bürgers zu Lebzeiten freiwillig eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen, räumt das Organtransplantationsgesetz dem Selbstbestimmungsrecht jedem Menschen seinem über den Tod hinaus fortwirkenden Persönlichkeitsrecht höchste Priorität ein. Der Arzt muss den festgelegten Willen des Verstorbenen beachten. Hat der Verstorbene auf seinem Organspendeausweis entschieden, dass er nicht spenden möchte, muss der Arzt diesen Willen so akzeptieren. Hat sich der Verstorbene hingegen für eine Spende entschieden, wird geprüft, ob seine Organe für eine Spende in Frage kommen. Ist das der Fall und wurde der endgültige, nicht behebbare Ausfall des Gehirns diagnostiziert, werden Organe entnommen. “ Sommer seufzte, griff nach dem Wasserglas und nahm einen Schluck. „Es ist kein Geheimnis, dass ein sehr dringliches Interesse besteht, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.“
Und Wolf: „Was ist dagegen einzuwenden?“
Sommer fuhr fort: „Es gibt schon seit längerem Bestrebungen, die Organspende wie in manch anderen Ländern zu regeln – nämlich so, dass Organe entnommen werden, wenn man nicht explizit widersprochen hat. Die erwähnte, angestrebte Gesetzesänderung strebt hingegen einen weit extremeren Einschnitt in das existierende Persönlichkeitsrecht an. Sie soll es komplett aushebeln. Unterm Strich würde es bedeuten, dass jeder Mensch nach dem Tod Organspender wäre, ohne jeglichem Selbstbestimmungsrecht.“ Wolf hakte nach: „Herr Sommer, Sie sprachen von einer Drohung gegen Ihre Familie. Wie sieht die Drohung aus?“ Darauf Sommer: „Unser Sohn Felix“, Sommer griff in die Innentasche seines Jacketts und reichte Wolf ein Foto. Es zeigte einen blonden Jungen im Teenageralter auf einem Siegerpodest. Er trug einen Trainingsanzug und hielt stolz eine goldene Medaille hoch. Wolf schätzte ihn auf ungefähr zehn Jahre. In das Foto war offensichtlich per Photoshop eine überdimensionale Spritze eingesetzt worden, die direkt über ihm schräg auf ihn zeigte. Wolf fragte: „Ist es denn realistisch, vorausgesetzt Ihre Partei gewinnt die Wahl, dass Sie so eine Gesetzesänderung überhaupt umsetzen könnten.“ Sommer: „Nun das wäre sicherlich ein sehr langer Weg bis dorthin. Jedoch die erwähnte Änderung, dass Organe entnommen werden könnten, wenn man nicht explizit widersprochen hat, wäre dann als Zwischenetappe zu sehen. Das ist Politik, es werden permanent Kompromisse verhandelt. Man verlangt die ganze Hand, und nimmt den kleinen Finger. Wohlbemerkt, als Zwischenetappe.“ Sommer nahm das Foto wieder entgegen, hielt es mit beiden Händen vor sich, betrachtete es konzentriert und meinte: „Ich kann natürlich nicht beweisen, dass es hier einen Zusammenhang gibt, aber es liegt auf der Hand.“ Sommer wollte noch nicht erklären, was es mit der Spritze auf sich hatte. Auch ohne diese Information war die Drohung eindeutig. Noch war nicht entschieden, ob Wolf in der Sache tätig würde, und ob er überhaupt eine Hilfe wäre. Alfred meinte, er wäre der richtige Mann.
Wolf kam vom Joggen zurück ins Bootshaus. Er hörte die Dusche. Wolf hatte bei der Renovierung des Bootshauses und seiner Wohnung im ersten Obergeschoss zwei Gästezimmer mit Gästebad errichten lassen. Außer Julia hatte er allerdings nie Gäste.
Mit Sommer hatte er vereinbart, dass er Nachforschungen vornehmen würde, und sie sich in zwei Tagen nochmals treffen würden, um dann zu entscheiden, ob eine Zusammenarbeit zustande käme. In Gedanken sah er den stolz in die Kamera lachenden Felix und überlegte, ob er mit diesem Auftrag Julia wieder in Gefahr bringen würde.
Nachdem auch er geduscht hatte, machte er für Julia und sich Rühreier. Seine Spezialität war, zerlassene Butter in das mit einer Gabel aufgequirrlte rohe Ei unterzurühren, bevor er das Ei nur kurz in die heiße Pfanne gab. Ein wenig frischen Schnittlauch, Fleur du Sel, frisch gemahlenen Pfeffer, sonst nichts. Die Butter gab dem Gericht den sämigen intensiven Geschmack. Sie hatten nicht viel Zeit, Julia war spät dran, sie musste zur Vorlesung.
Jakob Beringer hatte vor zehn Jahren einige Stunden damit verbracht, die Aufnahmen abzuhören, die bei den Sommers durch die mit den ShuBro-Mikrofonen ausgestatten Öffnungssensoren deren neuer Alarmanlage aufgenommen wurden. Das Ergebnis war sehr ernüchternd. Er suchte sich Abendsequenzen aus Wohnzimmer, Küche und sogar Schlafzimmer und kam sich vor wie bei Big Brother. Diskussionen über den Babysitter von Felix, offenbar ihr Sohn, oder über den Nagelpilz unter Sommers großem linken Zehennagel waren wirklich nicht das, was sich Beringer erwartet hatte. Im Grunde wusste er selbst nicht einmal, was er sich erwartet hatte und musste sich bald eingestehen, dass das schlicht weg ein absoluter Reinfall war. Er wünschte sich, er hätte die ShuBro-Mikrofone bei interessanteren Leuten eingebaut und öffnete unwillkürlich die Kundenliste der Steel Security Corporation . Als er Name für Name durchging, kam er auf die Idee, die ihn schlussendlich reich machte.
Er überlegte sich, wie er es anstellen könnte, die ShuBro-Mikrofone in allen Alarmanlagen zu implementieren oder zumindest dort, wo es wahrscheinlich war, interessante Informationen zu erhalten. Er würde eine unheimliche Menge an Informationen sammeln, die er aber auch entsprechend lagern und abrufbar machen musste. Der Plan war nicht nur technisch und logistisch eine Herausforderung, er war höchst illegal. Keiner durfte die Abhörfunktion seiner Alarmanlagen entdecken.
In den nächsten Tagen ging er wieder und wieder alle Prozesse von der ersten Kontaktaufnahme seiner Kunden mit der Steel Security Corporation , des Beratungs- und Verkaufsgesprächs mit dem jeweiligen Sales Manager, der Konzepterstellung für das jeweilige Gebäude je nach Kundenbedürfnis, der Bestellung der notwendigen Komponenten bis hin zur Montage, Inbetriebsetzung und Wartung durch. Bei den Komponenten, welche bei den Sommers eingebaut wurden, hatte er in der Nacht vor dem vereinbarten Montagetermin die Shu-Bro Mikrofone selbst in die Öffnungssensoren und Bewegungssensoren eingesetzt. Sie waren nicht als Mikrofone zu erkennen und wurden von Beringer zwischen zwei Bauteile gesetzt. Nur nach einer kompletten Zerlegung in alle Einzelteile würden sie einem Techniker auffallen, wenngleich nicht als Mikrofone. Beringer musste also eine Möglichkeit finden, die Mikrofone in großer Menge zu bekommen und diese von seinen Mitarbeitern unbemerkt in die Komponenten einzusetzen. Und er wollte sie natürlich nicht Nacht für Nacht selbst einbauen.
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