»Ich verstehe dich doch«, versuchte Sandro im entschuldigenden Tonfall zu beruhigen. »Dessen ungeachtet ist das Leben viel schöner, wenn man einen Partner hat. Jemand, mit dem man gemeinsam Dinge unternimmt – seine Freizeit verbringt. Das braucht jeder. Sogar du!«
»Nein. Solche Dinge brauchen bestenfalls Muschis.«
»Hey! Ich bin keine Muschi!«
»Hier Anwesende ausgeschlossen«, fügte ich augenrollend hinzu.
»Nope.« Er mutete richtig angefressen an. »Das lasse ich dir nicht durchgehen!« Für einen Augenblick hielt er inne. »… Außer, du reagierst so frustriert, weil du unausgeglichen bist.« Damit formten seine Lippen ein neues breites Grinsen, welches ich ihm am liebsten aus seiner geschniegelten Visage geschlagen hätte.
Anstatt die Nerven zu verlieren, steckte ich die Autoschlüssel in die Hosentasche. »Du meinst wohl etwas Ähnliches wie Sex, oder?«
Sandro schnippte mit den Fingern. »Ganz genau!«
Ein frustriertes Grummeln drang aus meinem Mund. »Denkt eigentlich die ganze Ortschaft, ich sei sexuell frustriert, oder wie?«
»Wie kommst du denn darauf?« Sandro klang ernsthaft überrascht, sein anwachsendes Feixen strafte sein Schauspiel jedoch Lügen.
»Ihr seid alle total bescheuert. Ernsthaft!« Dies kundgetan, setzte ich an, mich Richtung Ausgang zu begeben. Da betrat eine vermummte Person die Filiale – vom Körperbau her höchstwahrscheinlich ein Mann – mit einer Pistole in der Hand, welche er selbstredend auf mich richtete.
Ganz klasse!
Echt Super!
Es wurde immer besser heute …
Und von einer Sekunde auf die andere kippte mein Schalter um. Dies bedeutete im Detail: Sämtliche unwichtigen Dinge wurden ausgeblendet, mein Gefühl wurde auf ein soziopathisches Niveau heruntergeschraubt und mein beschleunigter Herzschlag sowie meine erhöhte Atemfrequenz verringerten sich. Dadurch hielt sich mein Körper davon ab, in einen Ausnahmezustand zu verfallen. Hyperventilation hätte mir in einer solchen Situation nämlich wenig unterstützt.
»Auf den Boden, oder ich knall dich ab!«, brüllte der Saftsack mit leicht slawischem Akzent und fuchtelte mit der Waffe wild durch die Luft.
Dabei erhaschte ich einen Blick auf seinen Finger, welchen er einen Tick zu fest auf dem Abzug hielt.
Glock 17, Gen 4. Gesicherte Waffe.
Sehr interessant.
»Hey, Pussy! Auf den Boden, habe ich gesagt!«
Offensichtlich war der Pseudo-Bankräuber ein wenig nervös.
Ich fasste nach der Dienstwaffe unter meiner Lederjacke und entsicherte sie, währenddessen ich sie auf den Kerl richtete. »Jetzt legst du dich auf den Boden, Muschi, oder ich vergesse mich.«
Es trat eine Pause ein.
Die Sekunden vergingen und vergingen.
Der Sack machte weiterhin keine Anstalten, meinen Anweisungen Folge zu leisten.
Damit wurde ich wütend.
Richtig wütend.
Unheimlich wütend.
Als wäre dieser Tag nicht stressig genug gewesen. Als hätte ich mir nicht genügend dumme Sprüche anhören müssen!
Und nun sollte ich überdies meinen Flieger verpassen – aus dem einzigen Grund, weil ein verfickter Balkan-Vollidiot glaubte, er könne eine Bank ausrauben … in meinem Kaff, in meiner Freizeit, und bei einem überstundenschiebenden Sandro?!
»Hey, Fucker!« Ich nahm des Balkan-Depps Brustkorb ins Visier. »Willst du mir echt den Tag versauen? … Ja? Echt?« Langsam drückte ich den Abzug durch. »Dann tu es. Versau mir meine ersten Urlaubsstunden … dann versau ich dir dein Leben.«
Seine Hand fing zu zittern an.
Ich bemerkte eine Bewegung seines Daumens.
Ein brachialer Stoß Adrenalin jagte mir in die Blutbahn.
Die Waffe war scharf.
Sollte ich abdrücken? Ihm direkt ins Herz schießen?
Der darauffolgende elendige Papierkram hätte mir meinen Urlaub komplett zunichtegemacht.
Nein.
Eine andere Option musste her.
Ich ließ mich fallen, zielte auf seinen Oberschenkel und drückte ab.
Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch das Foyer. Im Anschluss daran folgte ein Schmerzschrei – und der Typ brach zusammen.
»Sandro, hast du die Polizei informiert?«
Ich rappelte mich auf, stürmte zu dem sich am Boden windenden und schreienden Jugo-Sack, kickte die neben ihm liegende Glock zur Seite, sicherte meine Waffe und steckte sie weg.
»Sandro?«
Zum Glück führte ich auch außer Dienst stets meine Achter mit mir. Jedoch nicht aufgrund irgendwelcher Sexpraktiken meinerseits. Derlei kranken Scheiß konnten sich diese Fifty-Shades-Of-Grey-Groupies geben. In meinem Fall war diese Gewohnheit alleine meinem Sicherheitsbewusstsein geschuldet.
Mit diesem heutigen Tag hatte sie sich bezahlt gemacht!
Ha!
Seit Jahren hatte ich mir deshalb blöde Meldungen seitens Dan anhören müssen.
Nun würde die Retourkutsche folgen!
Mit geübter Eleganz zog ich die Handschellen aus der Innentasche meiner Lederjacke hervor und legte sie dem winselnden Balkan-Deppen an.
Dieser begann tatsächlich zu schluchzen.
»Na, da haben wir wohl einen ganz Harten.«
Erst auf Achtzigerjahre-Badboy machen und dann zum Heulen anfangen … das waren mir die Liebsten!
»Ich brauche doch gar keinen anzurufen«, vernahm ich Sandro endlich. »Schließlich bist du eh schon da.«
Ich riss dem Bankräuber die Sturmhaube vom Schädel. »Mach keine Witze und melde das der Zentrale.«
Der Kriminelle zeigte mir eine hässliche Visage – zusammengewachsene Augenbrauen, wulstige Lippen sowie eine rattenähnliche Gesichtsform –, welche sich durch die Schmerzen ungleich hässlicher verzog.
»Hab ich schon«, kam es von hinten. »Bin ja nicht blöd.«
Gott, die jungen Leute heutzutage!
»Fotze«, würgte mein neuer Freund wimmernd hervor. »Du blöde Fotze.«
Ich zog den Arsch hoch – und er stieß einen neuen Schmerzschrei aus.
Der Typ war unerwartet leicht. Hatte wahrscheinlich mit der geringen Körpergröße von nicht einmal einem Meter sechzig zu tun.
Waren heutzutage eigentlich sämtliche Männer so groß wie Frauen aus den Siebzigern?
»Halt einfach deine Fresse.« Ich verstärkte meinen Griff. »Sonst breche ich dir überdies einen Arm, Hurensohn.«
»Hey! Keine Kraftausdrücke!«, schimpfte Sandro merklich angepisst. »Du bist Polizistin – und kein Assi. Du hast eine Vorbildfunktion.«
Wie bitte?!
Ich drehte mich zu dem hübschen Jüngling. »Alter, was ist eigentlich los mit dir? Du hättest erschossen werden können. Hast du das schon kapiert?«
Und der regte sich über meine Umgangsformen auf?!
»Klar.« Sichtlich unberührt zuckte dieser die Schultern. »Aber es ist ja nichts passiert.«
Ich wollte etwas erwidern, da wurde ich von vertrautem Sirenengeheul unterbrochen. Und keine zehn Sekunden später flutete Blaulicht das weiß gestrichene Foyer.
»Ist ja nichts passiert«, wiederholte ich Sandros irrsinnige Meldung und schleppte den Jammerlappen eines Kriminellen nach draußen. »Die Jugend heutzutage spielt definitiv zu viele Ballerspiele.«
Ich trat vor die Tür – und konnte bloß den Kopf schüttelnd.
Die gesamte Polizeistation stand vor mir – mit teils glücklichen, teils leicht verängstigten Gesichtern.
Das passierte, wenn eine Polizeidienststelle an permanentem Arbeitsmangel litt.
Dieser Anblick bestätigte meine Vermutung, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man unseren Posten aus Kostengründen dichtmachen würde.
Meine Kollegen liefen zu mir – Tom, dieser Idiot, die Waffe gezogen.
»Bist du verletzt?«, fragte Dan besorgt.
Ich zeigte ihm ein sarkastisches Lächeln. »Nein, das siehst du doch. Aber der.« Damit übergab ich meinem Kollegen den Ausländer. »Den Bericht kriegt ihr von meinem Urlaub aus per Mail zugeschickt. Ich hab nämlich keine Zeit für ein Aufnahmeprotokoll.« Ich nickte Richtung Bank. »Und das Wichtigste hat sowieso Sandro gesehen.« Wütend schaute ich zu Tom. »Und du, Tom. Steck die Waffe endlich weg, du Depp. Die Drecksarbeit ist längst erledigt.«
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