»Good morning!«, begrüßte mich der Berufsfotograf.
Ach ja, der Fotograf. Den gab es auch noch.
Mit ihm hatte ich gestern einen kurzen Plausch geführt. Er war vierzig, lebte in London und arbeitete für ein Reisemagazin, das sich auf Inselparadiese spezialisiert hatte. Michael, so sein Name, hatte ebenfalls für fünf Tage gebucht. Der einzige Unterschied zu mir: Er musste nichts bezahlen. Ich hatte mein komplettes Erspartes hingeblättert.
So war das Leben.
»Did you sleep well?«
Ich schenkte ihm ein Lächeln. »I couldn’t remember a night I have slept that peacefully before.«
Bereits gestern hatte er mir einige unterschwellige Avancen gemacht. Beim Rochenfüttern zum Beispiel war er äußerst nahe zu mir getreten, um mir bei den Kameraeinstellungen zu helfen. Des Weiteren lächelte er stets eine Idee zu viel. Darüber hinaus suchte er ständigen Blickkontakt.
Ich musste zugeben, ich fühlte mich geschmeichelt. Immerhin sah er überaus passabel aus: grünblaue Augen, eine normale Figur – mit einem angedeuteten Wohlstandsbäuchlein – und diese umwerfende einladende Art gepaart mit seinem strahlenden Lächeln.
Dennoch.
Ich war nicht aus auf einen One-Night-Stand oder eine Fernbeziehung. Überdies zeugte ein weißer Rand an seinem Ringfinger von einem Ehering, welchen er mit ziemlicher Sicherheit in seinem Koffer versteckt hielt.
Darauf hatte ich absolut keinen Bock. Niemals würde ich mit einem Mann ins Bett springen, dessen ihn inniglich liebende Ehefrau zu Hause sehnsüchtig wartete.
Ein wenig Flirten allerdings – das ging immer. Außerdem lenkte es ab. Sonst wäre es mir ohnehin langweilig geworden.
»May I ask you if you want to sit with me?«
»Yes, that’s nice. Thank you.« Ich setzte mich zu ihm – und er warf mir ein breites Lächeln zu.
»You are looking incredible today.«
Typischer englischer Charmeur. »Thank you.«
»What do you want to drink?«, unterbrach uns ein Kellner.
Ich bestellte einen Kakao, Michael einen Tee.
Wie britisch.
»I will go snorkeling today. Do you want to come with me?«
Ich verneinte. »I am not into diving or snorkeling. I just want to relax or swim – at least today.«
Er wirkte betrübt. »Aww, that’s bad. I really hoped we could spend more time together.«
»Maybe tomorrow?«
Michael nickte. »All right. Tomorrow.« Mahnend erhob er den Zeigefinger. »But don’t dare to turn me down again.«
Ich schmunzelte. »I promise.«
Offensichtlich würde mir der Kleine länger erhalten bleiben.
Nach dem Frühstück warf ich mich auf eine hölzerne Liege, vergrub die Füße im schneeweißen Sand und schloss die Augen. Erst gestern hatte mich aufgrund meines vermaledeiten Ex schlechte Laune geplagt. Heute hingegen empfand ich diese Sache wie vor dreißig Jahren erlebt. Wie es schien, war dieser Urlaub tatsächlich dringend nötig gewesen. Das Geräusch eines Wasserflugzeugs verscheuchte meine Überlegungen. Wurden neue Urlauber angeliefert? Hoffentlich nicht noch mehr Frischverheiratete. Das ewige Geschmuse und Geturtel ging mir gigantisch auf den Sack.
Klar, ich freute mich für diese Leute. Es war immer schön, wenn es den Menschen gut ging. Und doch, es störte mich – und es tat weh. Möglicherweise lag dies an dem Umstand, selbst niemals glücklich verliebt gewesen zu sein und sich durchwegs alleine durch das Leben plagen zu müssen.
Nein. Es war besser so. Das Alleinsein schützte mich vor weiteren Enttäuschungen.
Seufzend nahm ich das Wasserflugzeug in Augenschein.
Soweit es die grelle Sonne zuließ, erkannte ich zwei aussteigende Pärchen.
Ich kniff die Augen zusammen.
Und ein einzelner Mann.
Ein weiterer Fotograf vielleicht? Oder womöglich jemand, der zur Abwechslung seine Scheidung feierte?
Ich musste über meinen eigenen bescheuerten Gedanken schmunzeln.
Falls solche Feiern überhaupt stattfanden, wäre dieser Typ wohl eher nach Spanien geflogen. Ballermann stellte in einem solchen Fall zweifelsohne die bessere Wahl dar.
Ich atmete tief durch, beendete die Gedankenspiele und schloss die Lider – plante noch ein wenig die kommenden Tage durch. Heute würde ich ausschließlich relaxen. Das bedeutete, Massagen und kleine Nickerchen, morgen ein wenig schwimmen und ein paar Fotos. Und übermorgen folgte das Highlight schlechthin: Einige Stunden auf einer einsamen kleinen Insel verbringen.
Für gewöhnlich wurde dieses Abenteuer von Frischverliebten in Anspruch genommen. Und seien wir uns ehrlich: Was gab es Schöneres, als mit dem meistgeliebten Menschen auf einer winzigen Insel alleine Zeit zu verbringen?
Keine anderen Urlauber, kein Hotelpersonal … bedingungslose Privatsphäre.
Sex auf dem weißen Sandstrand?
Mir wurde es etwas warm.
Das hätte sogar mir gefallen.
Nun. In meinem Fall ging es nicht um Sex, sondern um Fotos der verschiedenen Muster des Sandes – entstanden durch Ebbe und Flut. Hier, auf Naladhu wäre es mir natürlich ebenso möglich gewesen, dieses Naturschauspiel einzufangen. Allerdings störten mich die den Sand mit ihren Füßen aufwirbelnden und mir andauernd vor die Linse tretenden Urlauber.
Auf einer verlassenen Insel irgendwo im Nirgendwo konnte ich stundenlang auf einem Platz hocken und die Wellen beobachten, wie diese schöne Linien in den Sand malten.
Einen ruhigeren Fotoausflug konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen: keine Leute, keine Pärchen, kein Geplapper – einzig ich und meine Kamera.
Mit aufkommender Vorfreude fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Und erwachte friedlich und ausgeruht. Und zum Glück nicht verbrannt, dem Schatten nach zu urteilen, welcher gefährlich weit weggewandert war. Wie lange hatte ich geschlafen? Schätzungsweise an die zwei oder drei Stunden. Ich stand auf, ergriff mein Handtuch und machte mich auf den Weg zurück zum Bungalow. Falls ich richtig vermutete, müsste das Mittagessen längst im Gange sein.
Lächelnd betrachtete ich die sattgrüne Vegetation. Zu Hause war ich die Pünktlichkeit in Person. Hier hingegen schaffte ich es nicht einmal, rechtzeitig zum Essen zu erscheinen, geschweige denn den Sonnenaufgang zu fotografieren –
»Na, den Arsch kenne ich doch von irgendwo her«, verscheuchte eine tiefe Stimme jegliche Überlegungen.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich kapierte, was damit gemeint war und von woher diese Äußerung überhaupt kam: nämlich von rechts hinten.
Ich drehte mich um –
Und blickte einem mir bekannt vorkommenden, shirtlosen und breit grinsenden Macker mit Sonnenbrille ins Gesicht.
Der Typ vom Flughafen?!
Konnte das die Möglichkeit sein?
»So einen Arsch vergesse ich nicht«, posaunte er weiter.
»Der Gockel?« Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen. »Nein. Das glaube ich jetzt nicht!«
Für den Moment eines Wimpernschlags nahm ich seine unverschämt gut aussehende Gestalt in Augenschein: Ein überwältigendes Sixpack – oder genauer gesagt Eightpack – durchtrainierte, wohlgeformte, lange Beine und ein Bizeps, bei dem selbst Jean Claude van Damme vor Neid erblassen würde …
Weshalb sahen Machos eigentlich immer dermaßen gut aus?
Dann fiel mir ein weiteres Detail auf: Dieses Mal schien der Typ kein Haargel verwendet zu haben.
Glücklicherweise!
Das leicht lockige Haar stand ihm um Welten besser.
»Der Gockel?«, äffte er meine Worte hörbar beleidigt nach. »Ich bin kein Gockel!«
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