Unsere Schuhe sind sofort nass; auf Wasserdurchquerungen sind wir Stadtmenschen immer nicht so vorbereitet. Der Pfad ist hier wieder zu sehen, doch vertrauenerweckend sieht er nicht aus. In gebückter Haltung schlagen wir uns durchs Unterholz, bis wir wieder aufrecht stehen können. Nun geht es weiter durch feinsten Regenwald. Das Gehölz und der Weg sind rutschig. Wieder Wasser überqueren, hier können wir aber von Stein zu Stein klettern. Der Fluss ist auch kräftiger und hier hätten wir mindestens nasse Beine bekommen. Die Steine sind tückisch glitschig und wir laufen vorsichtiger. Immer wieder kommen Stellen, die wir hochklettern müssen, dann geht es wieder steil bergab. Wir halten uns an Wurzeln und Ästen fest, damit wir nicht aus- oder abrutschen.
Die Belohnung für den mühseligen Weg ist einer der schönsten Wasserfälle, die ich bisher gesehen habe. In Milliarden Tropfen fließt das Wasser über den felsigen Abgrund auf dem sich Moos gebildet hat. Die Tröpfchen verteilen sich, bleiben hängen und schimmern im Sonnenlicht wie ein Teppich aus Diamanten. Ich kann mich gar nicht sattsehen und bedauere gleichzeitig, dass man diese Bilder auf Fotos nicht so realistisch festhalten kann.
Wir genießen also den Wasserfall vor Ort, ich untersuche die Rinnsale von Nahem und streiche über das nasse Moos. Dann müssen wir wieder zurück. Diesen Wanderweg kann man auch im Dunklen wandern, denn hier haben sich jede Menge der neuseeländischen Glühwürmchen angesiedelt, die die Wanderung zu einem Erlebnis machen. Aber uns beiden ist das ein bisschen zu gruselig und deshalb machen wir uns auf den Rückweg, bevor es zu dämmerig wird.
Der Weg zurück ist ebenso beschwerlich und Lisa ermahnt mich immer wieder, nach vorn zu sehen beim Laufen. Mein Kopf geht nämlich die ganze Zeit wie eine Drehleuchte hin und her, weil ich immerzu etwas Neues in der Umgebung entdecke. Ich bleibe hier stehen, gucke da und staune dort. Auf den Weg versuche ich mich auch zu konzentrieren, aber das fällt mir schwer in dieser Kulisse. Lisa hat aber keine Lust, mich den Weg nach Hause zu tragen, wenn ich falle und so höre ich noch ihren letzten Satz, in dem sie mich vor einem besonders glitschigen Stein warnt und schon liege ich. Wir sind beide furchtbar erschrocken, Lisa klettert wieder zurück, doch helfen kann sie mir nicht. Meine Beine liegen im Spagat und mein Fuß ist komisch verdreht. Doch mir tut nichts weh. Schnell stehe ich auf, trete ein paar Mal auf der Stelle. Bis jetzt alles gut. Also nichts wie zurück, bevor die Schmerzen kommen.
Als wir aus dem Wald heraustreten, hämmert mein Fuß, die Hose und Schuhe sind schlammverdreckt. Fast wortlos laufen wir zum Campingplatz zurück, doch staunen muss ich über die Landschaft immer noch. Der Himmel ist mittlerweile blau, ein paar weiße Wölkchen hängen über den sattgrünen Bergen, die Wiesen sind fett und saftig. Eine Idylle wie aus einem Kitschfilm.
Im Camper schauen wir uns meine Gliedmaßen an. Die Zehen sind etwas dick geworden und das Blut pumpt. Gebrochen ist nichts. Die Nacht wird ordentlich gekühlt, ansonsten können wir erstmal nichts machen. Lisa hat Angst, dass ich nicht mehr Auto fahren kann und sie vielleicht dran ist. Das werden wir morgen sehen.

Grüne Muscheln und riesige Magnolien
29.12.2013 Smiths Farm – Pelorus Bridge - Cable Bay (81,8 km)
Um 6:15 Uhr stehen wir auf. Die Nacht hat es wieder geregnet, es ist trüb und grau, die Wolken hängen tief. Der heutige Tag macht nochmal glasklar deutlich, dass es ohne Licht keine Farben gibt. Die Marlborough Sounds, die wir von den Bildern her so leuchtend blau und grün kennen, sind einfach nur grau und trist. Die Ausmaße sind natürlich trotzdem spektakulär, aber wir hätten es so gern in hellem Licht gesehen.
Trotzdem halten wir in den Marlborough Sounds an einem Aussichtspunkt und studieren die Landschaft. Das fjordähnliche Netzwerk von Wasser und Inseln sowie Halbinseln entstand im Laufe der Jahre aus Erdbewegungen. Nach der Mãori-Mythologie sollen die Furchen Kuppes Finger sein, die er im Kampf gegen einen riesigen Oktopus in die Erde gegraben hatte.
Unser nächster Halt ist Havelock, eine kleine Ortschaft, die berühmt für seine „green lipped mussels“, die Grünschalmuscheln, ist.
Im „Mussel Pot“ kostet eine kleine Portion schon 40 $, doch wir wollen erstmal probieren. Also suchen wir uns ein kleineres Café, wo wir uns eine Probierportion bestellen. Die Kellnerin ist wahnsinnig nett und empfiehlt uns erstmal eine wirklich kleine Portion, was sich im Endeffekt als goldrichtig erweist. Lisa schmecken die Muscheln nämlich nicht und so darf ich sie allein aufessen. Mein Lieblingsessen wird es auch nicht, aber ich finde sie auch nicht schlimm.
Wir gehen noch ein wenig spazieren und bewundern die riesige Magnolia Grandiflora, eine Magnolienart mit Blüten so groß wie Kinderköpfe. Unberührt und rein weiß thronen sie über unseren Köpfen und Lisa fotografiert und fotografiert.
Nach diesem Päuschen geht es weiter zur Pelorus Bridge, einer winzigen Sehenswürdigkeit am Pelorusfluss. „Die kleine Insel tiefgrünen Walds liegt 18 km westlich von Havelock versteckt zwischen unscheinbarem Weideland. Das landschaftlich reizvolle Schutzgebiet birgt einen der letzten Bestände an Flussauenwäldern in Marlborough, der nur erhalten blieb, weil eine Stadt, 1865 auf dem Reißbrett entworfen, nie gebaut wurde. Nach verheerenden Waldrodungen, die sich bis 1912 fortsetzten, erkannte man die Bedeutung des verbliebenen Waldrestes. Ein Schutzgebiet wurde geschaffen–dankbar begrüßt von heutigen Besuchern, die die zahlreichen Wanderwege ablaufen, eine historische Brücke bewundern, im klaren Pelorus River baden (der so schön ist, dass Regisseur Peter Jackson ihn als Drehort für einen Teil seiner Verfilmung von „Der Herr der Ringe“ auswählte) …“
Aus: Lonely Planet Reiseführer Neuseeland (2013) von Charles Rawlings-Way, Seite 462
Der Regen lässt kurz nach, als wir an der Brücke ankommen, die zunächst unspektakulär auf uns wirkt. Das Besondere ist das glasklare Wasser, durch das man bis auf den Flussgrund sehen kann. Am liebsten würde man hier reinspringen. Aber nicht bei der Kälte ;-).
Wir bahnen uns unseren Weg durch die Sounds. Hier geht es bergauf und bergab, die Kurven sind zahlreich und steil und der Regen hämmert auf unseren Camper ein. Wir durchqueren die Sonnenstadt Nelson im absoluten Regenschleier und alles ist grau. An besonders steilen Kurven mit imposantem Ausblick in die Tiefe, kriegt Lisa Angst. Doch wir wollen nicht mehr weit. Noch acht Kilometer unebene Straße mit viel Steinbruch und Schlammlawinen auf der Fahrbahn. Immer wieder sind Stücke gesperrt oder Schilder aufgestellt, was die Fahrbahn noch verengt. In der Cable Bay regnet es sich richtig ein und wir fragen uns, ob die acht unbefestigten Kilometer morgen noch befahrbar sind, wenn jetzt schon so viele Erdabgänge auf der Straße liegen. Aber es gibt nur diese Strecke zurück. Hier in der Cable Bay, so erzählt uns Campchefin Barbara, hätte es erst heute zu regnen begonnen. Wir ziehen den Regen wohl mit uns.
Wir bereiten uns erstmal unser Mittagessen zu, welches aus Meatpie (Steak & Cheese von Pams) besteht, dazu Eier mit Zucchini, Lauch, Sandwiches mit Cheddar und Salat. Nach dem Essen gammeln wir ein bisschen herum, lesen und übertragen die Fotos auf den Mac. Als der Regen nicht nachlässt, beschließen wir, trotzdem einen Spaziergang zu machen und ziehen uns dick und wasserfest an.
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