Einige Sekunden ist es still zwischen uns. Ihr aufmerksamer Blick ruht auf mir. Mir ist bewusst, dass sie versucht meine Reaktion auf ihren Vorschlag herauszufinden und ihr daher nichts entgeht. Doch das versuche ich auch gerade.
Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob ich überhaupt den Schritt in die Richtung Selbstständigkeit machen soll. Dabei ist es erstmal egal, in welche Richtung es gehen sollte. Um genau zu sein, klang so etwas bis jetzt immer nur lächerlich für mich. Daher habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet. Klar, während meiner Schulzeit habe ich einmal kurz darüber nachgedacht, ob ich mein Hobby zum Beruf machen soll, aber das war während der Schulzeit. Da hat man immer noch andere Wünsche und Vorstellungen. Spätestens dann, wenn man mit beiden Beinen im Leben steht, wird man wach und weiß, dass es nicht immer so läuft, wie man es gerne hätte.
Und sind wir doch mal ehrlich: Die meisten Leute finden ihre Partner im wahren Leben alleine. Sie brauchen keine Unterstützung!
„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, erwidere ich also und sehe sie dabei entschuldigend an.
Einen Moment wartet sie noch, als würde sie darauf warten, dass ich noch etwas von mir gebe. Doch dann atmet sie tief durch.
„Lass es dir wenigstens durch den Kopf gehen. Ich will nicht, dass du in ein paar Jahren aufwachst und merkst, dass du etwas verpasst hast.“
Mit einem eindringlichen Blick betrachtet sie mich. Mir ist bewusst, dass sie erst dann nachgeben wird, wenn ich zustimme. Daher nicke ich. Sofort scheint sie sich darüber zu freuen und zieht mich für eine weitere Umarmung zu sich heran.
„Ich bin mir sicher, dass du es nicht bereuen wirst. Der Anfang ist immer schwer, aber davon solltest du dich nicht abschrecken lassen.“
Mit diesen Worten dreht sie sich um und geht wieder zu ihrem Wagen. In der nächsten Sekunde ist sie bereits aus meinem Sichtfeld verschwunden.
Ich hingegen bleibe noch einige Sekunden stehen und sehe ihr nach, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen habe. Dabei versuche ich zu verarbeiten, was gerade geschehen ist. Doch die Wahrheit ist, dass das nicht so einfach ist.
Mir ist bewusst, dass Danas Oma eine Naturgewalt ist. Schon alleine deswegen muss man bei ihr jederzeit mit allem rechnen.
Allerdings habe ich damit eindeutig nicht gerechnet.
Ich hasse Krankenhäuser. Das habe ich schon immer und werde ich auch immer. In der Vergangenheit habe ich immer einen großen Bogen darum gemacht, herkommen zu müssen. Wenn es nicht unbedingt sein musste, habe ich mich erfolgreich darum gedrückt. Auch jetzt würde ich das am liebsten machen. Allerdings ist mir bewusst, dass ich in diesem Fall genau das nicht tun kann.
Vor drei Tagen ist meine Mutter ins Krankenhaus gekommen, nachdem sie sich nach einem sehr unglücklichen Sturz das Bein gebrochen hat. Gerne hätte ich sie schon eher besucht, allerdings ging das aufgrund meiner Arbeitszeiten nicht. Ich hatte mir ihr telefoniert und es ihr erklärt. Meine Mutter hatte mir mehrmals gesagt, dass es nicht schlimm ist und ich mich um meinen Job kümmern soll. Sie sei dort gut aufgehoben und ich bräuchte mir keine Sorgen machen. Allerdings hat das nicht dafür gesorgt, dass mein schlechtes Gewissen verschwunden ist.
Aus diesem Grund gehe ich noch beim Bäcker vorbei, ehe ich mich auf den Weg mache. Ich möchte ihr ein paar Kuchenstücke mitbringen, weil ich weiß, dass sie diese liebt.
„Hi“, begrüße ich sie schließlich, als ich eine halbe Stunde später ihr Zimmer betrete.
Kaum habe ich einen Fuß in den sterilen Raum gesetzt, sehen mich ihre beiden Bettnachbarinnen neugierig an. Mir war bewusst, dass meine Mutter kein Einzelzimmer haben wird. Allerdings habe ich auch nicht damit gerechnet, dass sie gleich mit zwei weiteren Frauen auf einem Zimmer liegt.
„Felicity“, begrüßt mich meine Mutter gut gelaunt und strahlt mich an.
Da ich in den letzten Sekunden die Blicke der anderen beiden Frauen erwidert habe, werde ich erst jetzt auf sie aufmerksam. Sie liegt in ihrem Bett und ihr Bein wurde in eine Schlinge gesteckt, sodass es ein Stück nach oben gezogen wurde.
Aufmerksam betrachte ich es, während ich mich ihr nähere. Kaum habe ich ihr Bett erreicht, stelle ich den Kuchen auf dem Beistelltisch ab und beuge mich zu ihr herunter, um sie zu umarmen.
„Was machst du nur für Sachen?“, frage ich sie und unterdrücke dabei ein Seufzen.
Wundern dürfte es mich eigentlich nicht. Schließlich sprechen wir hier von meiner Mutter. Sie hatte schon immer das Talent, in jedes Fettnäpfchen zu treten, was sie finden kann. Das hat sie allerdings noch nie geschafft.
„Beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass es keine Absicht war?“
„Nicht wirklich“, kontere ich.
Aufmerksam betrachtet mich meine Mutter, nachdem ich mir einen Stuhl an das Bett gezogen habe. Mir ist bewusst, dass sie mich kennt und ich noch nie etwas vor ihr verheimlichen konnte. Auf jeden Fall nicht gut. Daher merkt sie nun auch, dass mich etwas beschäftigt. Und das ist ausgerechnet der Vorschlag von Gerda.
„Was gibt es neues?“, erkundigt sie sich.
„Nicht sehr viel“, gebe ich von mir und sehe mich dabei zu allen Seiten hin um.
Ich kann nur schwer für mich behalten, dass ich mich hier eindeutig nicht wohlfühle. Es kommt mir so vor, als müsste ich mich schlecht fühlen, weil es mir besser geht, als den Leuten, die sich hier befinden. In gewisser Weise kann man behaupten, dass ich deswegen ein schlechtes Gewissen habe.
Allerdings kann ich sagen, dass die beiden Frauen, mit denen meine Mutter auf einem Zimmer liegt, nicht den Eindruck auf mich machen, als wären sie schwer krank. Zumindest nicht auf den ersten Blick.
Ich bin aber auch kein Arzt und kann das daher nicht richtig einschätzen. Außerdem kenne ich ihre Krankenakte nicht.
„Du bist eine schlechte Schauspielerin“, stellt sie als nächstes fest und zieht so meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und unser Gespräch.
Einen Moment denke ich darüber nach, was sie damit meint. Doch dann wird mir bewusst, dass sie auf meine Aussage anspielt. Einen Moment denke ich darüber nach, ob ich ihr davon berichten oder es lieber für mich behalten soll. Doch ich kenne meine Mutter. Sie wird so lange keine Ruhe geben, bis ich es ihr gesagt habe.
„Gerda ist der Meinung, dass ich eine Partnervermittlung eröffnen soll“, murmle ich schließlich.
„Ich finde das super“, erklärt sie begeistert. „Um genau zu sein bin ich schon lange der Meinung, dass du diesen Schritt machen sollst. Vielleicht nicht unbedingt mit einer Partnervermittlung, aber dass du deine eigene Firma gründest. Allerdings sehe ich immer wieder, dass dein Job dich nicht glücklich macht. Und als deine Mutter will ich, dass du glücklich bist.“
Mein Mund öffnet sich, doch so genau weiß ich auch wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Bis jetzt hatte sie nie ein Wort darüber verloren. Daher hatte ich keine Ahnung, dass sie diese Meinung vertritt. Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Doch gerade frage ich mich, ob sie vielleicht mit meinem Dad oder jemand anderen schon einmal darüber gesprochen hat.
Vielleicht sogar mit Gerda.
Irgendwie gefällt mir dieser Gedanke überhaupt nicht. Dabei geht es nicht unbedingt darum, dass sie sich darüber unterhalten haben. Ich habe viel eher ein Problem damit, wenn andere hinter meinem Rücken über mich sprechen. Doch schnell rufe ich mir in Erinnerung, dass die beiden es sicherlich nicht böse gemeint haben.
Bevor ich sie danach fragen kann, geht die Tür plötzlich ein weiteres Mal auf. Es dauert einen Moment, doch schließlich erkenne ich, dass ein Mann, der ungefähr in meinem Alter sein muss, das Krankenzimmer betritt. Aufgrund des Kittels und seines selbstsicheren Auftretens erkenne ich, dass er ein Arzt ist.
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