Alexandre Dumas - Die Kameliendame

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Bei der Besitzversteigerung der toten Marguerite Gautier, einer nach ihrer Lieblingsblume »Kameliendame« genannte Kurtisane, trifft der Erzähler auf ihren ehemaligen Geliebten, Armand Duval, der die Geschichte seiner Liebe erzählt. Nachdem sie sich kennen gelernt und ineinander verliebt haben, gibt Marguerite ihr früheres Leben auf, um mit ihm zusammenzuleben. Armands Vater ergreift Maßnahmen, um die Beziehung zu unterbinden, da Marguerite dem Glück und dem Ansehen seines Sohnes sowie der Familie im Wege steht. Marguerite verlässt schließlich aus Liebe zu Armand das Anwesen. Später erfährt Armand, dass sie ihr bisheriges Leben wieder aufgenommen hat. Von den wahren Beweggründen ihres Handelns weiß er nichts. Im Ausland erfährt Armand von Marguerites Krankheit, die ihr ausschweifendes Leben noch intensiviert hat, um auf diese Weise ihren Tod zu beschleunigen. In Toulon erfährt er schließlich von ihrem Tod. Die wahren Gründe ihres Verhaltens erfährt er erst durch einige Briefe Marguerites.

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Alexandre Dumas

Die Kameliendame

Inhaltsverzeichnis

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

Impressum

I

Ich bin der Ansicht, daß man Personen nur dann erfinden kann, wenn man die Menschen sehr genau studiert hat, wie man eine fremde Sprache auch nur dann sprechen kann, wenn man sie ernsthaft erlernt hat.

Noch bin ich nicht alt genug, um erfinden zu können. Deshalb begnüge ich mich damit, nachzuerzählen. Ich bitte den Leser, von der Wahrhaftigkeit dieser Erzählung überzeugt zu sein. Alle Personen, mit Ausnahme der Heldin, leben noch.

Übrigens befinden sich in Paris Augenzeugen, die die meisten der hier zusammengefaßten Begebenheiten miterlebt haben. Sie können, falls man mir nicht glauben sollte, die Wahrhaftigkeit bestätigen. Ein eigenartiger Zufall spielte mir alle Einzelheiten in die Hände, so daß ich allein in der Lage bin, darüber zu schreiben. Ohne dieses Wissen wäre eine fesselnde und vollständige Wiedergabe unmöglich. Am zwölften März 1847 las ich in der Rue Lafitte ein großes, gelbes Plakat, das eine Nachlaßversteigerung von Möbeln und wertvollen Raritäten ankündigte. Der Name der Verstorbenen war nicht angezeigt, wohl aber, daß die Versteigerung am Sechzehnten um fünf Uhr in der Rue d'Antin Nr. 9 stattfinden sollte.

Außerdem wurde bekanntgegeben, daß man am Dreizehnten und Vierzehnten die Wohnung und das Mobiliar besichtigen könne.

Schon immer bin ich ein Liebhaber von erlesenen Gegenständen gewesen. Deshalb nahm ich mir vor, diese Gelegenheit nicht zu versäumen. Wenn ich auch nicht beabsichtigte, etwas zu kaufen, so wollte ich doch dabeisein. Am nächsten Morgen begab ich mich in die Rue d'Antin Nr. 9. Es war noch früh, und doch waren schon viele Besucher und vor allem Besucherinnen in der Wohnung. Mit Erstaunen, ja mit Bewunderung betrachteten sie den Luxus, der sie umgab, obgleich sie selbst auch Samtroben und Kaschmirschale trugen und ihre eleganten Wagen unten vor dem Portal warteten. Bald jedoch verstand ich ihr Staunen. Ich sah mich genauer um und konnte unschwer feststellen, daß ich mich in der Wohnung einer Kurtisane befand. Nichts interessiert die Damen der Gesellschaft - und es waren auch Damen der Gesellschaft anwesend - mehr als die Gemächer dieser Frauen, deren Wagen jeden Tag die ihren mit Schmutz bespritzen. Sie haben neben ihnen eine Loge in der Oper und im Schauspiel und halten Paris mit ihrer auffallenden Schönheit, ihrem Schmuck und ihren Skandalen in Atem. Die, bei der ich mich hier befand, war gestorben. Die tugendhaftesten Frauen durften nun bis in ihre Gemächer vordringen. Der Tod hatte die zwielichtige Atmosphäre geläutert. Übrigens konnten sie ja auch zu ihrer Entschuldigung, falls es notwendig sein sollte, sagen, daß sie zu einer Versteigerung kamen, ohne zu wissen, wer hier gewohnt hatte. Sie hatten die Plakate gelesen und wollten sich das ansehen, was sie ankündigten, und schon im voraus ihre Wahl treffen: nichts natürlicher als das. Und nichts hinderte sie daran, unter all diesen Kostbarkeiten nach den Geheimnissen des Kurtisanenlebens zu fahnden, von dem man ihnen sicher viel Seltsames erzählt hatte. Unglücklicherweise aber hatte das vergötterte Geschöpf seine Geheimnisse mit ins Grab genommen. Trotz aller Neugier konnten die Damen nur in Augenschein nehmen, was nach dem Tode versteigert werden sollte, und nicht in Erfahrung bringen, um welchen Preis alle diese Dinge erworben wurden.

Indes konnte man hier wirklich wertvolle Dinge erstehen, Das Mobiliar war auserlesen. Rokokomöbel aus Rosenholz, Vasen aus Sevres- und Chinaporzellan, Meißener Figuren, Seide, Brokate und Spitzen, es fehlte nichts. Ich schlenderte durch die Wohnung und folgte den vornehmen Neugierigen. Sie betraten einen Raum, dessen Wände mit kostbaren persischen Wandbehängen ausgestattet waren. Ich wollte ihnen folgen, als sie fast im selben Augenblick wieder herauskamen, verlegen lächelnd, als schämten sie sich dieser Sehenswürdigkeit. Nun wünschte ich um so lebhafter, diesen Raum zu sehen. Es war das Boudoir, und unzählige zierliche Toilettengegenstände zeugten von der maßlosen Verschwendungssucht der Verstorbenen. An der Wand stand ein Tisch, sechs Fuß lang und drei Fuß breit, auf dem alle Kostbarkeiten von Aucoc und Odiot glitzerten. Es war eine wundervolle Sammlung, und keiner der vielen Toilettengegenstände, die so notwendig sind für diese Frauen, war nicht aus Gold oder wenigstens aus Silber. Alle diese Dinge mußten nach und nach und nicht durch ein einziges Liebesverhältnis zusammengekommen sein. Mir, der ich durchaus nicht entsetzt war beim Anblick des Boudoirs einer ausgehaltenen Frau, mir machte es Freude, die einzelnen Gegenstände näher zu betrachten. Dabei stellte ich fest, daß sie alle aufs wundervollste mit den verschiedensten Initialen und Kronen graviert waren.

Ich bewunderte alle diese Kostbarkeiten, von denen jede einzelne eine Preisgabe des armen Mädchens bedeutete, und ich sagte mir, daß Gott sehr gütig zu ihr gewesen sei, weil er nicht gewollt hatte, daß sie eine der üblichen Folgen ihrer Lebensweise erdulde. Er hatte sie in ihrem Luxus und in ihrer Schönheit sterben lassen, bevor das Alter, dieser erste Tod der Kurtisanen, nahte.

Gibt es wohl etwas Trostloseres, besonders für diese leichtlebigen Frauen, als das Alter? Ihre Reize schwinden, und sie entwürdigen sich immer mehr. Und die beständige Reue, nicht etwa wegen des schlechten Lebenswandels, sondern wegen der falschen Berechnungen und des unklug angelegten Geldes, ist eines der betrüblichsten Dinge, die es für sie gibt. Ich kannte eine einstmals sehr freigebige Dame, der von ihrer Vergangenheit nichts geblieben war als eine Tochter, die, wie ihre Zeitgenossen sagten, ebenso schön war, wie die Mutter es einst gewesen sei. Zu diesem armen Mädchen sagte die Mutter dann immer nur: »Du bist meine Tochter«, wenn sie von ihr forderte, daß sie im Alter von ihr versorgt werde, wie sie einst das Kind versorgt hatte. Das arme Wesen, es hieß Louise, gehorchte der Mutter und gab sich hin, ohne eigenen Willen, ohne Leidenschaft und ohne Freude, wie sie einen Beruf ausgeübt hätte.

Diese beständige und allzu frühe Ausschweifung, geschürt durch eine immerwährende Kränklichkeit des Mädchens, hatten in ihr das Gefühl für Gut und Böse ersterben lassen, das Gott auch ihr sicher mitgegeben hatte und das bei ihr zu suchen niemand auf den Gedanken kam. Immer wieder muß ich an dieses junge Mädchen denken, das fast täglich zur gleichen Stunde auf den Boulevards zu sehen war. Ihre Mutter begleitete sie stets ebenso beharrlich, wie eine wahrhaft liebevolle Mutter ihre Tochter begleiten würde. Ich war damals noch sehr jung und bereit, für mein Teil die lockere Moral meines Jahrhunderts gutzuheißen. Ich erinnere mich indessen, daß derAnblick dieser skandalösen Überwachung mir Verachtung einflößte und mir eine häßliche Erinnerung hinterließ. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich niemals auf dem Antlitz eines jungen Mädchens einen ähnlich unschuldigen und zugleich melancholischen Ausdruck gesehen habe. Man hätte sagen können, sie war die Gestalt gewordene Resignation. Eines Tages leuchtete das Antlitz des jungen Mädchens auf. Unter all den Ausschweifungen, die ihr die Mutter zumutete, schien Gott der Sünderin ein Glück bereitzuhalten. Und warum sollte er, der sie zu einer Sünderin werden ließ, warum sollte er sie ohne Trost die leidvolle Last ihres Lebens tragen lassen? Eines Tages also stellte sie fest, daß sie in Hoffnung war, und alles noch Ehrbare in ihr zitterte vor Freude. Die Seele hat seltsame Schlupfwinkel!

Louise beeilte sich, die für sie so beglückende Neuigkeit ihrer Mutter mitzuteilen. Was nun geschah, ist so schändlich, daß man wohl besser daran täte, es zu verschweigen, wenn es nicht notwendig wäre, diese bitteren Tatsachen von Zeit zu Zeit vom Martyrium dieser Wesen künden zu lassen; dieser Wesen, die man verdammt, ohne sie zu hören, die man verachtet, ohne ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist schändlich, aber die Mutter antwortete dem jungen Mädchen, sie hätten nicht einmal genug für zwei, und für drei würde es niemals reichen. Derartige Kinder seien unnütz, und eine Schwangerschaft bedeute nur verlorene Zeit.

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