»Ja … ja, ich weiß.« Jans Wangen nahmen ein sanftes Pink an. »Dennoch. Ich brauche die Arbeit. Ich brauche sie. Wenn ich sie verliere …« Wie um sich davon abzuhalten etwas Unüberlegtes zu verlauten, presste er die Lippen aufeinander.
Es war mir durchaus bewusst, welch hohen Stellenwert im Leben ein geregeltes Einkommen und ein fixer Arbeitsplatz besaßen. Da gab es kaum Ausnahmen.
Nichtsdestoweniger erschien Jans Reaktion allmählich ins Extreme abzugleiten. Insbesondere, wenn man für einen Chef wie Manfred arbeiten durfte.
Hatte Jan hohe Schulden? Waren Schuldeneintreiber hinter ihm her? Oder drohte die Bank ihm mit einer Pfändung?
Ich ließ von ihm ab, trat zu meiner Handtasche und fischte das Handy zwischen Portemonnaie und anderem Kleinkram hervor.
»Hier bitte.«
Dankend wie ansteigende Furcht auf seinem hübschen Antlitz ruhend nahm er es entgegen – bebende Hand inklusive.
Was war bloß los?
Wenn ich es nicht besser wüsste, schien Jan einem weiteren Nervenzusammenbruch beängstigend nahe.
»Jan?« Sachte legte ich meine Hand auf seinen Arm. »Was hast du? Kann ich dir helfen? Du wirkst so fertig. Ich mache mir Sorgen.«
Nervöse Augen trafen auf meine. Pinke Wangen wurden dunkelrot.
»Ich … ich –« Ein unwillkürliches Schlucken unterbrach seinen Erklärungsversuch. »Ich … nun … ja …«
»Was hast du?«, versuchte ich in einem sanften Tonfall ihn zum Weiterreden zu animieren. »Du kannst es mir gerne sagen.« Jäh wurden meine eigenen Wangen heiß. »Du hast mich eben erst geküsst … da kannst du mir ebenso sagen, was dich bedrückt.«
Stumm schüttelte er den Kopf, blickte zu Boden, dann zu mir zurück.
Ich dachte bereits, er würde weiterschweigen, da fuhr er letztlich doch fort. »Erstens … fürchte ich mich vor Manfreds Reaktion … Noch nie habe ich das Hotel während der Arbeitszeit ungefragt verlassen … Und zweitens –«
Mit einer jeden einzelnen Faser meines Körpers spürte ich Jans explosionsartig zunehmende Aufregung.
Wie gerne hätte ich ihm diese genommen!
Er wrang die Hände, visierte irgendeinen nicht vorhandenen Punkt des Laminatbodens an. Ich wiederum versuchte seine auf mich übergegangene nervliche Belastung, welche sich in Form von prickelnd-stechenden, auf- und niederwallenden über meinen Rücken jagenden Wellen bemerkbar machte durch tiefe Atemzüge abzumildern.
»… Ich … ich –« Nochmals hielt er inne, nahm nun selbst einen tiefen Atemzug, ehe er mich endlich wieder anzublicken getraute. »Ich habe furchtbare Angst vorm Telefonieren.«
Dies gestanden, fühlte mich eigenartigerweise um mindestens tausend Tonnen Sedimentgestein erleichtert.
Vielleicht sogar mehr.
Und Jan?
Seiner Mimik nach zu urteilen, empfand er auf dieselbe Weise.
Und ich verstand endlich, was hier los war.
Wie versteinert hielt dieser wunderschöne Mensch das Telefon in der linken Hand, besah dieses zumeist überbewertete Stück Technik mit leiser Sorge. »Ich … ich fürchte mich seit jeher. Wenn ein Telefon läutet, wird mir bereits ganz anders.«
»Ist schon gut. Es ist alles gut.« Ich streichelte ihm über den Rücken – eine Reaktion, ebenso unwillkürlich, wie ihm einen schüchternen Kuss auf die Wange zu setzen.
Überrascht blickte er mich an – mit ziemlicher Sicherheit genauso überrascht wie ich ihn.
Ich wusste nicht, woher ich diesen Mut nahm. Besser gesagt: Allmählich wusste ich überhaupt nichts mehr. Ich wusste nicht, was mit mir geschah. Ich wusste nicht, was mit Jan passierte. Meine Gedanken schlugen Purzelbäume, meine Gefühle verhielten sich wie gehetztes Wild …
Lag dies an seinem Liebesgeständnis? Lag es an den Küssen? Oder hatte womöglich alleine das Gewitter Schuld daran?
»Soll ich für dich anrufen?«, schlug ich nach einer längeren Weile unseres gegenseitigen stummen Anstarrens vor. »Es macht mir nichts aus.«
Seine heißen Wangen schafften das denkbar Unmögliche und wurden abermals einen kräftigen Ton dunkler.
Er lenkte den Blick Richtung Boden. »Das … das wäre wirklich nett … Aber was denken dann die Leute von mir? Dass ich es nicht einmal zustande bringe, mich persönlich zu melden, wenn ich so mir nichts, dir nichts verschwinde?«
Da sprach er ein wahres Wort.
»Ich verstehe … Willst du alleine telefonieren? Tust du dir dann leichter? Soll ich die Küche verlassen?«
Unbeobachtet konnte man sich schließlich besser konzentrieren und seinen Ängsten Herr werden.
Abrupt hob er den Kopf – pure Dankbarkeit breitete sich in seinem Gesicht aus.
»Ist es wirklich in Ordnung? … Ich brauche auch nicht lange.«
»Überhaupt kein Problem … Ich muss ohnehin erst einmal unter die Dusche.«
»Meine Güte!« Er weitete die Augen. »Das habe ich vollkommen vergessen … Ja, geh dich duschen. Es wäre furchtbar, würdest du dich erkälten.« Um seine Äußerung zu bekräftigen, drückte er mich bedächtig von sich weg.
Ein Zeichen, seinem Wunsch zu entsprechen.
»In Ordnung. Ich hole mir nur schnell ein Gewand, dann bin ich schon verschwunden und du kannst Manfred anrufen.«
Alsbald ich vor meinem geöffneten Schrank stand, überkam mich ein heftiger Adrenalinausstoß. Und diesem folgten ein Dutzend Weitere …
Nun befand ich mich in derselben Situation, wie Jan vorhin: Was sollte ich anziehen?
Meinen alten Achtzigerjahretrainingsanzug – mein Vater wollte diesen jedes Mal wegwerfen, wenn er ihn sah – konnte ich nicht überziehen. Er war verschlissen und ausgeblichen. Das smaragdgrüne Seidennegligé stellte jedoch dieselbe unmögliche Option dar. Und reine Unterwäsche ging erst recht nicht …
Himmel, noch einmal!
Da hatte ich diese schöne Wäsche für eben einen solchen Anlass wie den heutigen gekauft – um für meinen Freund oder einen an mir interessierten Mann gut auszusehen – und nun konnte ich diese Kleidungsstücke aus exakt diesem Grund nicht tragen …
Welch Bild hätte ich damit abgegeben?!
Da kannte ich Jan theoretisch ein paar Tage. Da hatten wir uns heute das erste Mal geküsst … Und dann sollte ich mit einem sexuell aufreizenden Stück Stoff am Leib in seine Arme fallen?
…
Nein.
Nein.
Nein, das ging nicht. Das konnte ich nicht tun. Das wäre billig und unpässlich … und überhaupt: Ich war doch kein männermordender Vamp!
…
Wie war ich damals überhaupt auf die Idee gekommen, mir solch teure Unterwäsche zu kaufen? Schließlich war ich bloß eine alte Jungfrau … und keine Hure!
Mit anwachsender Panik durchsuchte ich den Schrank. Ehe ich vollends die Nerven verloren hätte, entdeckte ich zum Glück mein champagnerfarbenes Seidenshirt und die dazu passende kurze Hose, welche ich letzten Herbst – und nach tagelangem Zaudern – erstanden hatte.
Ich atmete erleichtert aus.
Das ging!
Zwar zeigte die Hose viel Bein … sehr viel Bein … dafür punktete das Shirt mit einem geraden Schnitt, welches mein ohnedies geringes Dekolleté nicht zusätzlich in Szene setzte.
Ich nahm das feine Gewand an mich, öffnete eine kleine Lade, aus der ich einen Slip herausfischte und eilte ins Bad.
»Ich bin dann unter der Dusche, in Ordnung?«
Jan nickte mir aus drei Metern Entfernung zu – das Telefon nach wie vor wie eine Art todbringendes Gerät in der Hand haltend. »Ja, in Ordnung.«
»Du machst das. Ich weiß es.« Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, welches er unsicher erwiderte, und schloss daraufhin die Tür.
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