MISSES: Wäre die Leiche in der Badewanne ein Fremder, dann würde man Sie unter Umständen gar nicht verdächtigen.
KATE: Und jetzt?
MISSES: Schon eher.
KATE: Wie meinen Sie das, „eher“?
MISSES: Sie sind die Hauptverdächtige!
KATE: ICH???
MISSES: Bei Verbrechen dieser Art, immer!
KATE: Was soll das denn bitte heißen, „Verbrechen dieser Art“? Wenn irgendein Toter in einer Hotelbadewanne gefunden wird? Sollte man da nicht eher das Personal verdächtigen?
MISSES: Ich meine bei Verbrechen zwischen Ehemann und Ehefrau. Wobei...
KATE: Ja?
MISSES: Für gewöhnlich trifft es da eher die Frau. Ich meine als Opfer.
KATE: Na, dann darf ich mich ja glücklich schätzen. Ich wurde zwar nicht ermordet, auch wenn das eher Ihrer Statistik entsprechen würde, aber dafür bin ich verdächtig. Na vielen Dank auch!
MISSES: Das klingt ein wenig…
KATE: Ungehalten? Undankbar? Unverhohlen?
MISSES: Äh… ja!
KATE: Tut mir leid, ich wollte nicht so resolut wirken. Aber ich habe eine Leiche in meiner Badewanne gefunden und ich bin verständlicherweise nicht besonders erfreut darüber.
MISSES: Weil es Ihr Mann war.
KATE: Und weil es nicht im Prospekt stand. (unsicher) Oder?
MISSES: Nein.
KATE: Das beruhigt mich ein wenig, Miss… oder Mrs.?
MISSES: Inspektor, um genau zu sein. Inspektor Misses, aber da ich auch verheiratet bin, bin ich privat Mrs. Misses. Und Sie?
KATE: Oh, ich bin ebenfalls verheiratet. Oder… (deutet Richtung Bad) … war !
MISSES: Das dachte ich mir schon, aber das war nicht ganz das Ziel meiner Frage.
KATE: Bitte? Oh, natürlich, Verzeihung. Ganz ehrlich, da Sie zu meinem Zimmer gekommen sind, habe ich natürlich angenommen, dass Sie wissen, wer ich bin. Aber Sie haben natürlich recht, es wäre nur höflich, wenn ich mich Ihnen auch vorstelle. KATE Müller. Darf ich Ihnen etwas anbieten?
MISSES: Bitte?
KATE: Nun, ich bin ja so eine Art Gastgeberin. Außerdem werden die Sachen in der Minibar langsam warm, also vielleicht sollte man das ausnutzen.
MISSES: Danke, aber nicht im Dienst.
KATE: Stimmt ja, Sie müssen ja arbeiten.
MISSES: Und Sie…
KATE: Trauern.
MISSES: Bitte?
KATE: Ich muss trauern. Ich denke, das erwartet man von mir. (holt sich etwas aus der Minibar und mixt sich daraus ein Getränk)
MISSES: Also, wo Sie es selbst ansprechen…
KATE: Wirke ich Ihnen zu gefasst?
MISSES: Ein bisschen. Ich frage mich, warum?
KATE: Warum fragen Sie sich das und nicht mich?
MISSES: Wa…rum?
KATE: Das ist einfach. Haben Sie schon einmal eine unerfreuliche Ehe geführt?
MISSES: Äh…
KATE: Oder sollte ich sagen freudlos? Lieblos? Enttäuschend? Die Art Ehe, bei der Sie sich wünschen würden, Sie könnten in eine Zeitmaschine steigen und Ihrem jüngeren Ich ausreden, an einem bestimmten Abend in eine bestimmte Bar zu gehen und sich von einem bestimmten charmanten jungen Mann einen Cocktail ausgeben zu lassen?
MISSES: Nuuun…
KATE: Natürlich nicht, denn niemand denkt für gewöhnlich so weit. Die meisten denken eher: „Hätte ich dieses Arschloch doch nie kennengelernt!“ Und: „Ist es eigentlich unvermeidlich, dass ich anschließend was mit meinem Scheidungsanwalt anfange?“
MISSES: Und, ist es?
KATE: Ist es nicht, aber es ist offensichtlich die Art und Weise, wie sich diese Spezies fortpflanzt.
MISSES: Ah.
KATE: Nur bin ich kein Freund von Anwälten.
MISSES: Eher von Zeitreisen? (holt aus ihrer Tasche ihre Plastikhandschuhe und versucht, sie anzuziehen)
KATE: Man wird doch noch träumen dürfen. Aber, um auf die Frage zurückzukommen, die Sie nicht gestellt haben, die aber seit Ihrer Ankunft über uns im Raume schwebt: Das Verhältnis zwischen mir und meinem Mann war mit unerfreulich noch sehr höflich umschrieben. Da Sie sich ja wahrscheinlich erkundigen werden, werden Ihnen die Wörter „Streit“ und „angeschrieen“ bestimmt unterkommen.
MISSES: Werden sie?
KATE: Garantiert. Mehrmals !
MISSES: Also keine gute Beziehung?
KATE: Eine Untertreibung.
MISSES: War Hass im Spiel?
KATE: Sind Sie schon mal von jemandem so richtig enttäuscht worden?
MISSES: Ja.
KATE: Ich denke, dann kennen Sie die Antwort.
MISSES: Das war…
KATE: Mehr als Sie wissen wollten?
MISSES: Sehr informativ.
KATE: Ich freue mich immer, wenn ich helfen kann.
MISSES: Ihnen ist doch aber klar, dass Sie sich damit selbst verdächtig machen, oder?
KATE: Ich glaube, ich würde mich eher verdächtig machen, wenn Sie diese Dinge von jemand anderem erfahren. Und außerdem…
MISSES: Ja?
KATE: (lächelt) Ich habe den Mord ja nicht begangen, also was hab ich zu befürchten?
Szene 3
(Es klopft an der Tür.)
KATE: Entschuldigen Sie mich bitte.
MISSES: (verschwindet im Bad)
KATE: (öffnet die Tür) Ah, Tony.
TONY: (tritt auf) Darf ich reinkommen?
KATE: Es ist gerade etwas ungelegen.
TONY: Oh.
KATE: Wegen der Leiche. Im Badezimmer!
TONY: Oh. Ja. Dafür möchte ich mich im Namen des Hotels, der Hotelkette und des Unternehmens, dem wir angehören, aus tiefstem Herzen entschuldigen.
KATE: Darf ich mit einem Rabatt rechnen?
TONY: Nein.
KATE: Wie schade.
TONY: Es ist ja nicht so, als wären wir für diese Leichen verantwortlich.
KATE: Nicht?
TONY: Nicht... immer.
KATE: Aber manchmal schon?
TONY: Wir sind nicht besonders stolz darauf, das dürfen Sie mir glauben. Aber... sagen wir, es ist nicht das erste Mal, dass sich eine Leiche in einem unserer Badezimmer findet.
KATE: Sollte mich das beunruhigen?
TONY: Aber nein... (denkt nach) Obwohl, jetzt wo ich darüber nachdenke…
KATE: Liegt es am Hotelpersonal?
TONY: Ich möchte das nicht pauschal so sagen.
KATE: Dann bin ich ja froh.
TONY: Worüber.
KATE: Dass ich keine Pauschalreise mache.
TONY: Das gefällt mir.
KATE: Wäre da die Leiche denn im Preis inbegriffen?
TONY: Ich glaube, wir sind noch nicht so weit, für ein solches Angebot zu werben.
KATE: Das klingt aber fast so, als wäre es nicht ganz ausgeschlossen.
TONY: Die Urlaubsbranche ist hart umgekämpft, da muss man irgendwann über Leichen gehen, wortwörtlich.
KATE: Es klingt so, als wäre das schon passiert.
TONY: Sie meinen die... Zwischenfälle?
KATE: Ja.
TONY: Die waren sehr... unangenehm.
KATE: Für die Opfer.
TONY: Ja, für die auch. Besonders beim ersten. Der Ermordete sollte gar nicht sterben.
KATE: Ist das bei Mordopfern nicht immer so?!
TONY: In diesem Fall kam noch eine besondere Tragik dazu. Denn... wie sich herausgestellt hat, befand sich der Mann im falschen Hotel.
KATE: Der Ermordete.
TONY: Der Mörder.
KATE: Bitte?
TONY: Komisch, oder? Also auf eine sehr tragische Weise. Er sollte den Herrn in Zimmer 216 ermorden.
KATE: Und das hat er nicht?
TONY: Doch. Aber im Park Hotel. Sein eigentliches Opfer befand sich allerdings im Park Motel . Es war also nicht unser Fehler.
KATE: Hat man den Mann entschädigt?
TONY: Weil er sich im Hotel geirrt hat?
KATE: Ich meinte nicht den Killer.
TONY: Das Opfer? Natürlich nicht!
KATE: Hat er sein Opfer denn bekommen?
TONY: Das ist nicht bekannt, er wurde erschossen, bevor er verhört werden konnte.
KATE: Gab es Blut im Badezimmer?
TONY: Diesmal nicht.
KATE: Wann denn dann?
TONY: Neapel 2015. Das war eine waschechte Tragödie!
KATE: Welcher Art?
TONY: Mit tödlichem Ausgang.
KATE: Das sind oft die besten.
TONY: Nicht, wenn sie den Begriff Blutbad im Badezimmer wörtlich nehmen. Wissen Sie, wie traumatisch das jedes Mal für das Reinigungspersonal ist?
Читать дальше