Flüchtlingsdrama
eines Drillings
von
Isa Louise Reichenbach
Flüchtlingsdrama eines Drillings
Isa Louise Reichenbach
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.deCopyright: © 2016 Isa Louise Reichenbach ISBN 978-3-7375-8625-2 Lektorat: D. Müller und Meta Krug Konvertierung: Sabine Abels www.e-book-erstellung.deUmschlaggestaltung: Erik Kinting
Gewidmet meinem Begleiter Robert, der keine Mühe scheute, mich durch meine dunkelsten Tiefen zu begleiten. Dadurch konnte ich hier in meiner Heimat meine alten Wurzeln finden, die Erde auflockern und die Wurzeln tränken.
Ein Dank allen, die mir hindurch halfen.
Hommage an meine Familie.
Inhalt
Die Zeit, in die ich hineingeboren wurde Die Zeit, in die ich hineingeboren wurde Lange ist es her, als ich in einem kleinen, verschlafenen Örtchen direkt nach Kriegsende geboren wurde. Der Staub einiger eingestürzter Mauern lag noch in der Luft. Der kleine Kurort, in dem zuvor die Menschen durch die heilenden Quellen Linderung für ihre Leiden fanden, war zum Glück größtenteils erhalten geblieben. Nur weniges musste repariert werden, sodass das Leben wieder bald vorangehen konnte. Allerdings war die Geschäftigkeit, die vor dem Krieg geherrscht hatte, aufgrund der Umstände längst eine andere geworden: Es musste sogar Tauschhandel mit Lebensmitteln betrieben werden, um die nötigsten Nahrungsmittel auf dem Tisch servieren zu können. Es mangelte an allem, auch die dringend benötigten Gebrauchsgüter mussten irgendwie besorgt werden, um ein neues Leben beginnen zu können. Um den Ortskern befand sich Stacheldraht. Rund gewickelt zog er sich wie eine gekräuselte Girlande durch die Straßen der Innenstadt. Niemand konnte durchkriechen oder darübersteigen. Nicht jeder sollte in die besetzte Zone einfach so hineingehen können. Dort hatten sich wohl überwiegend Engländer einquartiert. An den Eingängen durch den Stacheldraht befanden sich kleine Wachhäuschen, an denen Posten jeden kontrollierten, der rein- und rausging. Um in die besetzte Zone zu gelangen, benötigte man einen Ausweis. Die Menschen, die den Krieg verloren hatten, sollten außen vor bleiben. Ein Zeichen des verlorenen Krieges, Grenzen zu setzen. Die Menschen nach den Kriegserlebnissen waren vorsichtig miteinander. Wenn sie sich trafen, sagte jeder einige nette Worte. So entstanden kleine Kontakte. Doch durch die vielen Heimatvertriebenen blieben sich die Menschen einander fremd. Die, die die Heimatlosen aufgenommen hatten, empfanden das oft als Einschränkung, denn solche Begegnungen sind nie einfach. Alle Menschen hatten mit dem Wiederaufbau zu tun und schufen sich neue Hausstände. Keiner hatte Zeit, die schlimmen Erlebnisse der Kriegszeiten zu verarbeiten. So wurde gearbeitet und geschwiegen. In diese Zeit wurde ich hineingeboren: ein mageres und mickrig-kleines Mädchen mit geringem Gewicht – eben den Umständen angepasst. Die Zeit war darauf angelegt, sich von wenigem zu ernähren und zurückhaltend zu sein. Es gab nicht alle Lebensmittel und vieles nur auf Verbrauchsmarken.
Wie meine Eltern sich kennenlernten
Kriegszeit, familiäre Belastungen und Schwangerschaft
Die Geburt der Zwillinge und das Trauma des Todes
Erneute Schwangerschaft und Kriegsende
Meine Geburt
Meine ersten drei Lebensjahre
Doktor Antze
Die Kriegsheimkehrer, das Zusammenleben und das Hochwasser
Unsere erste eigene Wohnung
Onkels Horsts Besuch mit Folgen
Tante Magda und Onkel Gerhard
Erziehung und Werte
Mein Bruder Kurt
Leben an der Flutmulde
Die neue Wohnung in Bad Oeynhausen-Lohe
Meine Schulzeit
Oma Meta
Familie, Alltag, Erschwernisse
Das Trauma des Krieges sitzt fest
Erinnerungen an schönere Zeiten
Seelische Belastungen
Familienfeste
Vorzeigekinder
Erster Kuraufenthalt
Pubertät
Erneuter Kuraufenthalt
Schattenseiten
Konfirmation und Ausbildung
Der Nebenjob
Ein einschneidender Verlust
Meine Jugend
Der Übergriff
Rückzug in mich selbst
Arbeitsalltag und die erste große Liebe
Maren
Sommerurlaub
Veränderung
Die Zeit, in die ich hineingeboren wurde
Lange ist es her, als ich in einem kleinen, verschlafenen Örtchen direkt nach Kriegsende geboren wurde.
Der Staub einiger eingestürzter Mauern lag noch in der Luft. Der kleine Kurort, in dem zuvor die Menschen durch die heilenden Quellen Linderung für ihre Leiden fanden, war zum Glück größtenteils erhalten geblieben. Nur weniges musste repariert werden, sodass das Leben wieder bald vorangehen konnte. Allerdings war die Geschäftigkeit, die vor dem Krieg geherrscht hatte, aufgrund der Umstände längst eine andere geworden: Es musste sogar Tauschhandel mit Lebensmitteln betrieben werden, um die nötigsten Nahrungsmittel auf dem Tisch servieren zu können. Es mangelte an allem, auch die dringend benötigten Gebrauchsgüter mussten irgendwie besorgt werden, um ein neues Leben beginnen zu können.
Um den Ortskern befand sich Stacheldraht. Rund gewickelt zog er sich wie eine gekräuselte Girlande durch die Straßen der Innenstadt. Niemand konnte durchkriechen oder darübersteigen. Nicht jeder sollte in die besetzte Zone einfach so hineingehen können. Dort hatten sich wohl überwiegend Engländer einquartiert. An den Eingängen durch den Stacheldraht befanden sich kleine Wachhäuschen, an denen Posten jeden kontrollierten, der rein- und rausging. Um in die besetzte Zone zu gelangen, benötigte man einen Ausweis. Die Menschen, die den Krieg verloren hatten, sollten außen vor bleiben. Ein Zeichen des verlorenen Krieges, Grenzen zu setzen.
Die Menschen nach den Kriegserlebnissen waren vorsichtig miteinander. Wenn sie sich trafen, sagte jeder einige nette Worte. So entstanden kleine Kontakte. Doch durch die vielen Heimatvertriebenen blieben sich die Menschen einander fremd. Die, die die Heimatlosen aufgenommen hatten, empfanden das oft als Einschränkung, denn solche Begegnungen sind nie einfach. Alle Menschen hatten mit dem Wiederaufbau zu tun und schufen sich neue Hausstände. Keiner hatte Zeit, die schlimmen Erlebnisse der Kriegszeiten zu verarbeiten. So wurde gearbeitet und geschwiegen.
In diese Zeit wurde ich hineingeboren: ein mageres und mickrig-kleines Mädchen mit geringem Gewicht – eben den Umständen angepasst. Die Zeit war darauf angelegt, sich von wenigem zu ernähren und zurückhaltend zu sein. Es gab nicht alle Lebensmittel und vieles nur auf Verbrauchsmarken.
Wie meine Eltern sich kennenlernten
Meine Mutter Claire stammte aus einer pommerschen Großstadt. Sie war klein und zierlich mit dunklen Haaren und schwarzen, lebendigen Augen. Die von den durchlebten Ereignissen verängstigte und unsichere junge Frau erwartete mich, das Kind, das in ihr heranwuchs, voller Freude und Erschrecken. Lähmende Gefühle waren durch die Verluste entstanden, aber auch Zwiespalt, denn nichts war mehr wie vorher.
Ihr Vater war bei der Deutschen Bundesbahn als Wagenmeister tätig und konnte die Familie gut versorgen. Er hatte mit seiner Frau schon ein kleines Haus am Rande der Großstadt Stettin. Im Kreise einer frohen Familie wuchs meine Mutter mit ihren beiden Schwestern – einer älteren und einer jüngeren und alle bildhübsch mit schwarzen Augen und Haaren – heran. Der Opa und die Mutter waren Schneidermeister. Sie hatten viele gute Kunden in Stettin und erfreuten sich großer Beliebtheit. Auch die Familie wurde stets mit stilvoller und moderner Kleidung versorgt. Es mangelte an nichts.
So konnten alle drei Mädchen unbesorgt zu jungen Frauen herangewachsen. Gern gingen sie in das bekannte Stadtcafé Ufa , in dem Tanzveranstaltungen stattfanden. Mutter und die älteste Schwester machten eine Ausbildung in Büros und die jüngste wurde Friseurin.
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